Ehe-Tatort aus Berlin: Knietief im Klischee
Tatort Berlin: Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) haben es mit eine "Amour fou" zu tun. © rbb/Andrea Hansen
Eine "Amour fou", also eine verrückte Liebe, ist das eigentlich nicht: Sanierte Altbau-Wohnung, Plattensammlung, Gartenlaube – das klingt eher nach gehobenem Hipster-Dasein als nach feuriger Beziehung. Doch auch 2017 und auch in einer Stadt wie Berlin stellt die offen gelebte Männer-Ehe zwischen Enno und Armin für manche eine Provokation dar. Lehrer Enno wird in seiner Schule offen angefeindet und vom Direktor wegen eines Gerüchtes sogar beurlaubt. Am nächsten Morgen ist er tot, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt auf dem Rasen vor seiner Gartenlaube am Tempelhofer Feld.
Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) erfahren von Armin (Jens Harzer) die ganze Vorgeschichte: Einst hatten einige Jugendliche das Auto des Paares angezündet, Lehrer Enno aber hat sich dem jungen Duran (Justus Johannsen) angenommen, war für ihn ein Ersatzvater. Doch angeblich wurden die beiden beim Liebesspiel erwischt, nun ist Enno tot und Duran verschwunden.
Zum ersten Mal dürfen sich Rubin und Karow einem Fall ohne Vorgeschichte widmen – die langwierige Story um den Tod von Karows Partner wurde im vergangenen Fall abgeschlossen. Dafür gibt es in "Amour fou" das volle Brett an Gesellschafts-Klischees. Knietief waten die Kommissare vom Tatort Berlin durch die Melodramatik des edlen Ritters, der das arme Kind aus der Gosse rettet. Dass dabei etwas faul ist, ist von Anfang an klar. Zu krass ist der Gegensatz zwischen den Ghetto-Kids und dem intellektuellen Pärchen.
Die bürgerliche Ehe als Abgrund
Vielmehr dient dieser Tatort dazu, über diverse Ehe- und Beziehungsmodelle zu philosophieren. Dabei ist die immer noch nicht akzeptierte Homo-Ehe von Armin und Enno trotz aller Klischees die, die am ehesten bürgerlichen Standards entspricht – ein netter Seitenhieb für alle konservativen "Werte"-Bewahrer. "Dankbarkeit ist der Oralsex-Trigger in der bürgerlichen Ehe" so Karow gegenüber Armin, als die Gerüchte um ein Verhältnis zwischen dem toten Enno und seinem eigentlich heterosexuellen Schützling zur Sprache kommen. Und die Auflösung am Ende macht auf traurige Weise deutlich, welchen eingeschränkten Status unkonventionelle Beziehungen noch immer haben.
Wie üblich in Berlin geht es auch nicht ohne Privatkram der Ermittler. Nina Rubin beendet ihr Party-Leben und feiert die Wiedervereinigung mit Mann und Sohn, nur um gleich in die nächste Krise zu schlittern. Karow wiederum fühlt sich zu Boheme Armin hingezogen und kokettiert mit seiner Bisexualität, nicht nur aus Lust, sondern auch gegenüber seiner Umwelt. Nach wie vor spielt er gegenüber Nina Rubin nicht mit offenen Karten, die Geheimnisse vergiften das Arbeitsklima.
Jens Harzer einmal mehr mit Charakter-Rolle
Die zentrale Schlüsselfigur Armin wird gespielt von Theater-Star Jens Harzer, der im vergangenen Herbst im Wiesbaden-Tatort " Es lebe der Tod" den Widersacher von Felix Murot gab. Die tranquilizerartig vor sich hergetragene Sanftmut seiner Figur ist hier in " Amour fou" aber auch einen Tick zu nah am Klischee vom gut situierten Schwulen – und geht mit der Zeit auf die Nerven.
Der Berliner Tatort "Amour fou" erzählt seine Geschichte in stimmungsvollen Bildern der Hauptstadt - ein dicker Pluspunkt gegenüber den immer etwas sterilen und beliebigen Vorgängern. Doch nach der verschachtelten Maihack-Geschichte zum Auftakt kommt dieser Fall etwas zu flach daher. Die finale Auflösung hingegen ist recht charmant und kann zur Abwechslung mal wieder überraschen. Doch noch immer hat man das Gefühl, der gar nicht mehr so neue Berlin- Tatort ist noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt und hat noch nicht sein ganzes Potential gezeigt.