Kieler Tatort: Blaue Haare unterm Schleier
"Borowski und das verlorene Mädchen": Julia (Mala Emde) ist zum Islam konvertiert und will nach Syrien. © NDR/Christine Schroeder
Eine Woche bevor Borowski gemeinsam mit Charlotte Lindholm das Taxi nach Leipzig zur großen Jubiläums-Party besteigt, muss der Kommissar noch einen Mord am Tatort Kiel lösen. Auch wenn wir diese zumindest merkwürdige Programmplanung nicht gutheißen können, legen wir Euch "Borowski und das verlorene Mädchen" wärmstens ans Herz. Ein Tatort mit Botschaft und Inhalt, und dann auch noch gut gemacht – gibt es in dieser Form selten.
Dass der x-te Islamisten-Tatort sehenswert ist, liegt vor allem an zwei Personen. Mala Emde ("Meine Tochter Anne Frank") verkörpert die konvertierte Julia beeindruckend, aber zu keinem Zeitpunkt übertrieben oder aufdringlich. Und Cutterin Heike Parplies hat diesen Tatort von allem Überflüssigen und Redundantem befreit und so Raum geschaffen für die Geschichte. Es genügt, wenn Borowski und Brandt durchs Gebüsch zu einer Leiche geführt werden, es braucht kein klingelndes Handy, entsetzte Gesichter, Anfahrt zum Fundort und das hochgehaltene Absperrband.
Toll: Mala Emde als konvertierte IS-Braut
Die von Mala Emde gespielte Julia stammt eigentlich aus einer Durchschnitts-Familie, hat jedoch den Boden unter den Füßen verloren. Der Vater starb bei einem Unfall, an dem die Mutter Schuld hatte, dem brutalen Bruder hat sie sich entfremdet. Mit zerschundenen Armen taucht Julia bei der Polizei auf und berichtet, ihr Bruder wollte ihre Freundin Maria umbringen und habe sie gefesselt, als sie eingreifen wollte. Sarah Brandt (Sibel Kekilli) und Borowski (Axel Milberg) glauben ihr zunächst nicht, doch wenig später wird Marias Leiche in der Förde gefunden.
Bei den Ermittlungen entdecken die Kieler Ermittler, dass Julia durch ihre Freundin Amina (Sithembile Menck) Kontakt zu einer Salafisten-Gemeinde bekommen hat und zum Islam konvertiert ist. Sie unterwirft sich den Riten des Glaubens und trägt Schleier, darunter sind noch die blauen Haare des rebellischen Teenagers versteckt. Die 17-Jährige ist fest entschlossen, nach Syrien zu gehen und dort einen Kämpfer zu heiraten, den sie bislang nur via Skype kennt. Ist Marias Mörder in der Moschee zu finden? Der frisch entlassene Hasim (Dogan Padar) hätte jedenfalls ein Motiv und ein Gewaltproblem.
Als Borowski und Brandt in der Moschee aufkreuzen, treten sie Kesting (Jürgen Prochnow) vom Staatsschutz auf die Füße. Der will Julia ausreisen lassen, um über sie an die Hintermänner solcher Lockaktionen zu kommen. Die Kieler Ermittler hingegen möchten verhindern, dass Julia nach Syrien geht. Die geht jedoch voll in ihrem Glauben auf und erhofft sich ein besseres Leben.
Auch wenn " Borowski und das verlorene Mädchen" vor allem Richtung Ende in Krimi-Standards verfällt, überzeugt der Fall durch eine tolle Hauptdarstellerin, zurückhaltende Ermittler und seltene Einblicke. Die Szene etwa, in der Julia voll verschleiert durch die Kieler Innenstadt läuft, wurde vor Drehbeginn mit versteckter Kamera aufgenommen. Und weil das Gebäude, dass üblicherweise als Kulisse für das Kommissariat genutzt wird, derzeit von Flüchtlingen bewohnt ist, wurde dieses Szenario für den Tatort Kiel übernommen. Staatsanwalt Roland Schladitz (Thomas Kügel) ist das alles nicht geheuer, er gibt hinter fadenscheinigen Argumenten den deutschen Spießer.
Trotz einiger Schwächen und dramaturgischer Längen ein gelungener Film, dessen größte Stärke die Zurückhaltung und der Verzicht ist. Ein aktuelles Thema, ohne Moralkeule, sondern nordisch-kühl erzählt, mit sympathischen und bei allen Unterschieden doch harmonierenden Ermittlern. Und Borowski bekommt am Ende sein Taxi nach Leipzig.
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