Letzter Leipzig-Tatort: Das Beste zum Schluss

Bald müssen sie die Dienstmarken abgeben: Eva Saalfeld (S. Thomalla) und Andreas Keppler (M. Wuttke) haben in "Niedere Instinkte" ihren letzten Tatort-Einsatz. © MDR/Saxonia Media/Junghans
Zum Schluss noch mal richtig die Sau rauslassen, das war die Prämisse für "Niedere Instinkte", den letzten Saalfeld-/Keppler-Tatort aus Leipzig. Mit Borowskis Haus-Autor Sascha Arango ist jedenfalls jemand im Boot, der gute Drehbücher schreiben kann. Reicht das, um dem müden und einfallslosen Team einen anständigen Abschied zu verschaffen?
Worum geht’s?
"Alles was dir passiert, geschieht dir recht", spricht Andreas Keppler (Martin Wuttke) zu Beginn in die Kamera. Knietief steht er im Wasser, das aus der maroden Waschmaschine seiner Mutter stammt und die gesamte Wohnung unter Wasser gesetzt hat. "Was ist der Sinn des Lebens?" diese Frage treibt ihn um und lässt ihn den Fall aus einem besonderen Blickwinkel betrachten.
Montagmorgen, die kleine Magdalena erscheint nicht in der Schule. Offenbar ist sie bereits seit dem Vortag verschwunden, unbemerkt von ihren fanatisch-religiösen Eltern. Entführt wurde sie von Rolf Prickel (Jens Albinus), der sie gemeinsam mit seiner Frau Vivien (Susanne Wolff) im Fritzl-ähnlichen Kellerversteck gefangen hält.
Die Großfahndung ist erfolglos, Keppler und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) suchen verzweifelt nach einer Spur. Magdalenas Vater (Alexander Schehr) ist gehörlos, ihre Mutter (Picco von Grote) backt lieber Rosinenbrot und ist überzeugt, dass Gott ihr die Tochter heil zurückbringt. Die Leipziger Kommissare, erinnert an den Verlust ihres eigenen Kindes vor vielen Jahren, sind fassungslos über die Familie.
Prickel und seine Frau stecken Magdalena unterdessen in Kostüme, schießen Fotos und tun so, als ob das Mädchen schon immer ihre Tochter gewesen sei. Bis ihnen ein Fehler unterläuft, der sie verraten könnte. Welchen Ausweg wählt das Paar? Werden Saalfeld und Keppler Magdalena rechtzeitig finden?
Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?
Kindes-Entführungen sind nie witzig. Leipzig-Tatorte auch nicht. Relativ schnell wird klar, dass sämtliche Beteiligten in " Niedere Instinkte" gehörig einen an der Mandoline haben, die Kommissare eingeschlossen. Der einzig Normale ist Kriminaltechniker Menzel (Maxim Mehmet), der einfach nur Fussball gucken will. Sozialkritik wäre demnach fehl am Platze, auch wenn sich durchaus Parallelen zu dem einen oder anderen Keller in Österreich aufdrängen.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Ganz klares Nein! Ist aber in diesem Fall auch nicht schlimm. Wie gesagt, geistig auf der Höhe ist niemand, rational lässt sich kaum etwas erklären. Kepplers Monologe in die Kamera erinnern an "Erzähler" Alexander Held im legendären Murot-Tatort "Im Schmerz geboren" - das signalisiert schon von Beginn an: Achtung, wir verlassen jetzt die Normen eines Tatortes. Auch in Sachen Bildsprache: Reichlich Zeitlupen, Drohnen-Flüge und verzerrte Bilder verleihen "Niedere Instinkte" einen fast surrealen Look, passend zum unwirklichen Verbrechen.
Überflüssig ist wie so oft der Privatkram der Kommissare. Saalfeld und Keppler arbeiten zum x-ten Mal ihre Ehe durch, für den schwer mitgenommenen Keppler verschwimmt dabei teilweise die Grenze zwischen der entführten Magdalena und dem eigenen verlorenen Kind. Das alles nur, damit am Ende ein arg herbeikonstruierter Bogen-Schluss funktioniert: Saalfelds finaler Satz "Mach mir ein Kind!". Aua.
Bester Auftritt
Zum Abschied gebührt diese Ehre Martin Wuttke als Andreas Keppler. So wie Simone Thomalla permanent überfordert wirkte, war der Charakter-Mime im Tatort definitiv unterfordert. Die meiste Zeit musste er, der mit Quentin Tarantino zusammenarbeitete und zahlreiche namhafte Theater-Preise verliehen bekam, kreuzdämliche Drehbücher vorlesen. In "Niedere Instinkte" jedoch steht er ganz klar im Mittelpunkt, er verleiht dem Film - nicht nur durch die Monologe - einen poetischen Hauch. In einer Schlüsselszene erscheint Keppler dem schwerst religiösen Vater als Gott - nur um anschließend laut pöbelnd in der Kantine aufzufallen und mit Saalfelds Nachbarin ins Bett zu steigen.
Was muss man sich merken?
Zum Glück gar nichts mehr. Der Leipzig-Tatort kam nie richtig in Fahrt, er war leider ein typischer MDR-Tatort: Viel gewollt, dilettantisch umgesetzt. Dass dem Sender mit dem Weimarer Team zur allgemeinen Überraschung doch ein Hit gelungen ist, macht zumindest ein bisschen Hoffnung auf den Nachfolger: Im Winter ermittelt ein reines Damen-Team in Dresden.
Soll man gucken?
Auch wenn man es nicht glaubt: Der letzte Leipzig-Tatort ist der beste, und damit durchaus sehenswert. In Sachen Brillanz, Detailverliebtheit und Genialität reicht er zwar nicht an " Im Schmerz geboren" heran, geht aber in die gleiche Richtung. Außerdem kann Martin Wuttke einmal andeuten, was er drauf hat. Dazu durfte Regisseurin Claudia Garde aus dem Vollen schöpfen, Ausstattung und Special Effects bewegen sich durchaus auf gehobenem Niveau. Die Dialoge sind zwischendurch zwar auch mal gewohnt hölzern, aber sonst wäre es auch kein echter Leipzig-Tatort. "Niedere Instinkte" versöhnt uns ein wenig mit dem Team und lässt die vielen öden Sonntagabende mit Saalfeld und Keppler ein Stück weit vergessen.