Neuer Frankfurt-Tatort im Kreuzverhör: Zwischen Feinkost und Theater-Kantine

"Kälter als der Tod": Am Tatort Frankfurt treten Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) ihren Dienst an. © HR/Benjamin Knabe
Schon wieder neue Gesichter: Als drittes Debüt in diesem Jahr haben Margarita Broich und Wolfram Koch als neue Frankfurter Tatort-Kommissare Anna Janneke und Paul Brix und am Sonntag ihren ersten Auftritt. Sind sie genauso gut wie Steier und Mey? Oder ist "Kälter als der Tod" ein überfrachteter Einstiegs-Tatort mit zu viel Privatkram? Das klären wir im Kreuzverhör!
Worum geht’s?
Mutter, Vater, Sohn – alle tot, alle im eigenen Haus erschossen. Familie Sanders wollte eigentlich in einen Kurzurlaub aufbrechen, nun ist die Familie beinahe ausgelöscht. Nur von Tochter Jule (Charleen Deetz) und ihrer Nachhilfelehrerin Miranda (Emily Cox) fehlt jede Spur. Sind sie in der Hand des Mörders? Oder haben Sie gesehen, wer die Sanders ermordet hat?
Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) starten die Suche nach den Mädchen, statt sich an ihrem ersten Tag erstmal im neuen Büro einzurichten. Viele Spuren haben sie nicht: Der Paketbote der Familie, der die Leichen entdeckt hat, ist offenbar besessen von den Sanders, unterm Strich aber harmlos. Aber welche Bedeutung hat die 80er-Jahre-CD, die in Dauerschleife im Haus lief?
Offenbar reichen die Gründe für den Mord weit in die Vergangenheit zurück. Über das Erbe des tyrannischen Großvaters hatte sich die ermordete Lydia Sanders einst mit ihrer Schwester Silke Kern (Carina Wiese) zerstritten. Kerns Ehemann Martin (Roman Knizka) wiederum ist ein alter Bekannter von Paul Brix und bekannt für seinen eiskalten Charakter.
Problem-Krimi oder Spaß-Tatort?
Familiendrama, verschwundene Personen, Stalking, Adoption, Inzest…es gibt kaum ein Problemfeld, dass in "Kälter als der Tod" nicht angeschnitten wird. Weniger wäre hier nun wirklich mehr. Keines dieser Themen wird jedoch ausgerollt und vor sich her getragen, so dass man nicht von einem gesellschaftlichen Anspruch sprechen kann. Wie es sich für die Zusammenführung eines neuen Ermittler-Duos gehört, hat man ein paar gewollt lockere Momente eingestreut. Echte Kracher sind aber nicht dabei.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Nein. Der gesamte Fall ist vollkommen konstruiert und besteht aus einer Aneinanderreihung sehr, sehr unwahrscheinlicher Zusammenhänge. Dabei ist die Grundidee – gerade für ein Debüt – gar nicht mal schlecht: Ein recht simples Verbrechen, ein überschaubarer Kreis an Verdächtigen und ein paar nachvollziehbare Motive. Leider sind die Figuren allesamt recht überladen, das lässt die Handlung ein wenig zerfasern…
Bester Auftritt
Die neuen Kommissare Brix und Janneke treten ein schweres Erbe an: Ihre Vorgänger Joachim Król und Nina Kunzendorf alias Steier und Mey waren sehr beliebt und boten zudem noch starke, gut erzählte Fälle. Der Auftakt der Neuen ist davon noch ein Stück entfernt: Brix kommt zwar sympathisch und spannend rüber, ist aber ein bisschen zu krampfhaft auf unkonventionell getrimmt. Anna Janneke wirkt dagegen wie ein trutschiges Muttertier, das alle mit Tee versorgt und sich um gesunde Ernährung für die Abteilung kümmert. Fehlt nur noch eine Kittelschürze. Doch die beiden renommierten Theater-Schauspieler haben vor allem ein Problem: Viele Dialoge sind sehr künstlich und aufgesetzt, die bühnenerprobte Artikulation wirkt fast immer unnatürlich.
Absolut sehenswert ist hingegen die Kameraarbeit und die Bildsprache: Mit Split-Screen und jeder Menge Montagen werden die Kommissare bei Verhören und Aussagen in vergangene Szenen hineinversetzt, die Schilderungen werden so für den Zuschauer hautnah erlebbar. Ganz großes Kino! Vor allem, wenn am Ende ein Geständnis abgelegt wird und sich die Fäden der Handlung langsam zu einem Gesamtbild fügen, wird der Unterschied zu einfallslosen Billig-Tatorten spürbar. Statt öder Bilder aus dunklen Verhörräumen wird die Tat noch einmal gemeinsam durchlebt. Toll gemacht!
Was muss man sich merken?
Noch werden die neuen Kommissare relativ sanft eingeführt, über die Vergangenheit erfahren wir wenig. Brix kommt von der Sitte und lebt bei einer extravaganten Gärtnerin (Zazie de Paris), Janneke war früher Polizeipsychologin in Berlin. Das betont sie gerne und häufiger als ein Mitte-Hipster mit Heimweh. Die Anlagen der Figuren sind gut, die Umsetzung hat noch viel Luft nach oben.
Soll man gucken?
Eigentlich hat der Hessische Rundfunk ein goldenes Händchen für großartige Tatorte, das haben sie mit den Steier-Filmen und dem preisgekrönten Felix Murot unter Beweis gestellt. Das neue Frankfurter Team hingegen hat noch Anlaufschwierigkeiten: Auch wenn die Story solide ist und die Erzähltechniken großartig, trüben die schlimmen Dialoge über weite Strecken das Vergnügen. Autor Michael Proehl und Regisseur Florian Schwarz sind eigentlich für feinste Tatort-Kost bekannt, bei " Kälter als der Tod" gibt es leider abgestandenen Eintopf aus der Theater-Kantine. Derzeit wird bereits der dritte Janneke-/Brix-Fall gedreht – mutig, ohne die Resonanz auf die Ermittler zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Wenn es in Frankfurt aber gelingt, auf die guten Anlagen aufzubauen und mehr Natürlichkeit zu erreichen, könnten Brix und Janneke würdige Erben ihrer Vorgänger werden.