Tukur-Tatort "Wer bin ich?": Nichts für Münster-Fans

"Wer bin ich?" fragt sich Ulrich Tukur im neuen Wiesbaden-Tatort. Ein Meisterwerk - aber recht speziell! © HR/Kai von Kröcher
Der neue Wiesbaden-Tatort "Wer bin ich?" fällt in jeglicher Hinsicht aus dem Schema. So radikal hat noch kein Tatort bislang mit dem üblichen Muster gebrochen. Dennoch – oder gerade deswegen – ist der Tatort äußerst sehenswert. Genau wie der Tatort selber verlassen wir ausnahmsweise unser übliches "Kreuzverhör"-Schema und machen uns an den Versuch, das Gesehene in einen Text zu pressen.
Ein Meta-Film? Eine Satire?
Ist es ein Meta-Film? Eine Satire? Oder einfach ein Spiegel, der der gesamten Tatort-Welt vorgehalten wird? So viel sei verraten: Auch am Ende von "Wer bin ich?" sind nicht alle Fragen beantwortet, und der eine oder andere Tatort-Fan dürfte nachhaltig verstört sein. Nicht nur von der Handlung, die sich auf mehreren Erzähl-Ebenen abspielt, die zum Ende auch noch verwirrenderweise überlappen und verschmelzen. Auch die Tatsache, dass die Darsteller hier Schauspieler spielen, die Tatort-Kommissare spielen, sollte ein einigermaßen aufgeschlossener TV-Konsument verkraften können.
Es beginnt noch ganz normal: Felix Murot (Ulrich Tukur) und Magda Wächter (Barbara Philipp) werden zu einer Leiche im Parkhaus des Casinos gerufen. Im Wagen des Toten entdecken Sie eine weitere Leiche. Dann fällt die Klappe: Das sind nur die Dreharbeiten für einen neuen Hessen-Tatort, die kurz darauf abgebrochen werden. Ein Team-Mitglied ist tot, der Hauptverdächtige ist Ulrich Tukur selber.
Was dann folgt, ist großes Kino: Die Tatort-Macher und der hessische Rundfunk nehmen sich brillant selbst auf die Schippe – und geben einen (hoffentlich nicht immer authentischen) Blick hinter die Kulissen öffentlich-rechtlicher Produktions-Praxis. Da ist der schwer gestresste Redakteur Jens Hochstätt (Michael Rotschopf), Vorbild ist HR-Redakteur Jörg Himstedt. Da ist Regisseur Justus von Donányi, dessen größte Sorge es ist, bei der "Bayerischen Woche" in der HR-Kantine nicht mehr genug Bier-Gulasch abzubekommen. Da ist Barbara Philipp alias Magda Wächter, die sich im Schatten des großen Tukur sieht ("Der Uli spielt dauernd Nazis und kriegt die Preise hinterhergeschmissen!"). Da ist der Frankfurter Tatort-Kommissar Wolfram Koch, dessen Dienstwaffe gar nicht groß genug sein kann. Da ist Kochs Kollegin Margarita Broich, die von Kochs kindischen Witzen genervt ist, aber im Making Of betont, wie toll die Zusammenarbeit läuft. Und Theater spielt sie auch, natürlich! Da ist Martin Wuttke, der nach seinem Aus am Tatort Leipzig finanzielle Probleme hat...
Vor diesem Hintergrund versucht Tukur seine Unschuld zu beweisen, obwohl er sich an die Todesnacht kaum noch erinnern kann. Für die beiden schlurfigen Polizisten Kugler (Sascha Nathan) und Kern (Yorck Dippe), die den Fall klären sollen, ist die Sache jedenfalls sonnenklar. Unter seinen Film-Kollegen findet Tukur zwar viel gespielte Anteilnahme, jedoch wenig echte Loyalität.
Dieser Tatort ist nichts für Münster-Fans
Die "Hessenschau" schreibt in ihrer Gebrauchsanweisung für " Wer bin ich?" sehr treffend, dass Menschen, die einen Münster-Tatort für eine humoristischen Meisterleistung halten, dieses Mal sehr tapfer sein müssen. Außerdem warnen sie Zuschauer, die "überempfindlich (allergisch) gegenüber ungewöhnlichen Tatorten oder den Sehgewohnheiten nicht entsprechenden Filmen sind", beim neuen Tukur-Tatort einzuschalten. Dem können wir uns nur anschließen. Alle anderen werden glänzend unterhalten! Und – Entschuldigung, Frau Philipp – der nächste Preis-Regen für "den Uli" ist wohl abzusehen. Auch ohne Nazi.