"Wir - Ihr - Sie" aus Berlin: Sex als Pflichtprogramm
Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) am Tatort Berlin: So richtig überzeugen konnte das neue Team bislang nicht. © rbb/Julia von Vietinghoff
Es ist soweit: Die Sommerpause steht vor der Tür, der Tatort wird sich für vermutlich fast drei Monate verabschieden. Zum Schluss der Saison 2015/16 dürfen die neuen Berliner Ermittler Rubin und Karow noch mal ran. Bislang war die Resonanz eher durchwachsen und - so unsere Prognose - daran wird auch der dritte Fall "Wir - Ihr - Sie" nicht viel ändern.
Worum geht’s?
Der Schmelztiegel Berlin in einem Haus: Vorne lebt Familie Werner im schicken Design-Loft, hinten haust Birgit Hahne (Valerie Koch) mit ihren beiden Söhnen in einer billigen Bleibe. Einst waren Hahne und Katharina Werner dicke Freundinnen ("Woher kennen Sie sich?" – "Neunziger."), doch jenseits der 30 lebte man sich auseinander. Nur Ehemann Carsten Werner (Steffen Münster) kauft noch sein Gras bei der dealenden Kneipen-Betreiberin – und steigt mit ihr ins Bett.
Eines Tages wird Katharina Werner im Parkhaus einer Shopping-Hölle brutal überfahren. Tatwaffe ist der SUV von Birgit Hahne, der Fahrer jedoch nicht erkennbar. Ein Eifersuchtsdrama zwischen den Welten, so die erste Vermutung von Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke). Eine Mädchengang (Cosima Henman, Emma Drogunova, Valeria Eisenbart) könnte Hinweise auf den Tathergang geben, doch die Mädchen verstricken sich in Widersprüche. Was haben Juristen-Tochter Luisa und ihre am Existenzmimimum lebenden Freundinnen zu verbergen?
Gleichzeitig arbeitet Karow weiter daran, den Mord an seinem Partner Maihack aufzuklären. Gerade erst nach Mordverdacht aus der U-Haft entlassen, begibt er sich direkt wieder auf Abwege. Er kann jedoch immer mehr auf Nina Rubin zählen, die beginnt, ihrem neuen Partner zu glauben.
Worum geht es wirklich?
Hmm. Die vollgepackte Story der beiden ungleichen Ermittler wird weiter erzählt, es wird jedoch nicht unbedingt einfacher. Auch ein "Was bisher geschah" zu Beginn macht es nicht besser, man erinnert sich nur vage an die komplexe Vorgeschichte um Robert Karow. Ähnlich Nina Rubin: Ehekrise und pubertierender Sohn sind irgendwie immer noch da, bringen das Team aber auch nicht weiter. Dafür scheint Sex zum Pflichtprogramm der neuen Kommissare zu gehören. Während sich Rubin in der ersten Folge unbequem auf dem Auto-Rücksitz sexuell verausgaben durfte, hat es Karow diese Mal wenigstens bequem: Auf der Couch ist er Protagonist der angeblich ersten schwulen Sex-Szene im Tatort, gefilmt von der hauseigenen Kamera-Überwachung. Der Boulevard wird jubeln.
Ist die Handlung glaubwürdig?
Zu ungefähr 80%. Skrupellose Mädchengangs wird es in Berlin mehrfach geben, der Tatort bietet da eine einigermaßen interessante Milieustudie. Eine runde Story, gut gespielt von den jungen Darstellern. Die Karow-Story hingegen läuft inzwischen etwas aus dem Ruder.
Bester Auftritt
Bester? Naja, aber zumindest muss Thomas Heinze erwähnt werden. Der schon wieder? Ja, der schon wieder. Nachdem er vor einigen Monaten Windmühlen in die Nordsee pflanzte (Tatort Bremen) und erst kürzlich als Tanzlehrer-Orthopäde in Erscheinung trat (Tatort Münster), ist Heinz nun in Berlin als leicht überforderter, aber dennoch arroganter Schnösel-Vater zu sehen. Wenige könnten solch eine Rolle besser spielen, dennoch nimmt seine Tatort-Präsenz mittlerweile Überhand. Was macht eigentlich Uwe Bohm?
Was muss man sich merken?
Am besten man schaut die beiden ersten Berlin-Tatorte nochmal, wenn man alle Details der Vorgeschichte präsent haben möchte (der Vorgänger "Ätzend" läuft am Fraitag um 22:00 Uhr im Ersten) . Die Rückblende zu Beginn verwirrt eher, man fragt sich im weiteren Verlauf permanent "Muss ich den/die jetzt kennen?" Beim nächsten Mal wird das bestimmt nicht einfacher…
Soll man gucken?
Es ist der letzte Tatort vor der Sommerpause! Außerdem: Wer nicht schaut, kommt beim nächsten Rubin/Karow-Fall vermutlich gar nicht mehr mit. Trotz der überfrachteten Figuren und des viel zu präsenten Privatlebens ist " Wir – Ihr – Sie" ein ganz ordentlicher Krimi. Wer damit leben kann, nicht jedes Detail zu verstehen, wird ganz gut unterhalten. Man sollte aber nicht zu viel erwarten.