Ronald Schill: "Deutschland ist für mich abgehakt"
Hamburgs Ex-Innensenator Ronald Schill liebt sein Leben in Brasilien - der Auswanderer hat vor rund zwölf Jahren Deutschland den Rücken gekehrt. Warum er sich trotz dessen für eine kabel-eins-Reportage mit dem Leben von deutschen Hartz-IV-Empfängern beschäftigt hat, verrät er im Interview.
Als berühmtberüchtigter Amtsrichter alias "Richter Gnadenlos" und zweiter Hamburger Bürgermeister machte Ronald Schill (60) ab Ende der 90er Jahre in Deutschland auf sich aufmerksam. Vor rund zwölf Jahren wanderte er dann nach Rio de Janeiro aus. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt er, wieso er sein Leben in einer brasilianischen Favela als Abenteuer empfindet, warum Frauen sein "Lebenselixier" sind und wieso er sich für die Reportage "Abenteuer Leben Spezial: Roland Schill trifft auf Hartz IV", die kabel eins heute um 22:15 Uhr ausstrahlt, mit Hartz-IV-Empfängern getroffen hat.
Sie haben sich mit Hartz-IV-Empfängern getroffen. Warum hat Sie die Begegnung interessiert?
Ronald Schill: Es ist diese uralte Frage: Was ist die Quelle des Glücks? Sind Menschen mit viel Geld tendenziell glücklicher und zufriedener mit und in ihrem Leben als Menschen mit wenig Geld? Ich habe mich für die kabel-eins-Reportage "Ronald Schill trifft Hartz IV" mit Hartz-IV-Empfängern getroffen, um zu erfahren, ob sie weniger glücklich und zufrieden sind als die Millionäre, die ich zu meinem Bekanntenkreis zähle. Einer der schönsten Trinksprüche der Spanier lautet übersetzt: Gesundheit, Liebe, Geld und die Zeit, es zu genießen! Ich kenne einige Leute, die viele Millionen haben, aber die so viel arbeiten, dass sie überhaupt keine Zeit haben, ihren Reichtum zu genießen. Meiner Erfahrung nach sind diese Menschen eher unglücklicher, unausgefüllter und unzufriedener als ein Hartz IV-Empfänger, der wenig Geld, aber ein Maximum an Zeit hat.
Wie haben Sie sich das Leben eines deutschen Langzeitarbeitslosen vor den Dreharbeiten vorgestellt und hat sich das bestätigt?
Schill: Zu meinem Erstaunen wohnten alle von mir besuchten Hartz IV-Empfänger in Wohnungen, die größer waren als die Wohnung, die ich als Senator und als amtierender Bürgermeister von Hamburg bewohnt habe. Außerdem waren sie alle mit Geschirrspülern und auch Wäschetrocknern ausgestattet. Das hat mich wirklich von den Socken gehauen, weil ich in meinem Leben noch nie so eine tolle Sache wie einen Geschirrspüler oder einen Wäschetrockner besessen habe. Auch jetzt in Rio de Janeiro nicht. Ich habe mein Geschirr immer abgewaschen und meine Wäsche an der Leine getrocknet! Und ein Hartz IV-Ehepaar mit zwei Kindern hatte so viel Geld zur Verfügung, dass es dafür reichte, 500 Euro pro Monat nur für Zigaretten auszugeben. Also das Geld schlicht zu verrauchen!
Sie selbst leben seit rund zwölf Jahren in Rio de Janeiro. Inwiefern hat das Ihre Meinung über Armut beeinflusst?
Schill: Ich selbst lebe seit über 12 Jahren in Rio de Janeiro und werde dort mit wirklicher Armut konfrontiert. Aber mein Eindruck ist, dass die Menschen trotz dieser Armut aber tendenziell glücklicher, zufriedener und fröhlicher sind als der Durchschnitt der Deutschen. Was auch ein Grund dafür war, mich dort wohlzufühlen und dort zu leben. In Brasilien gibt es übrigens seit gut zehn Jahren auch eine Art Sozialhilfe wie Hartz IV. Aber ein Arbeitsloser hat dort nur einen Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe von weniger als umgerechnet 20 Euro pro Monat. Das Ziel dieser Maßnahme ist es, den Betroffenen wenigstens eine einzige warme Mahlzeit pro Tag zu verschaffen, damit sie nicht hungern müssen. Das ist in Brasilien das Verständnis von Armut und Bekämpfung von Armut. In Deutschland bedeutet Sozialhilfe, dass etwa 400 Euro an einen Alleinstehenden gezahlt werden und die Miete vom Amt übernommen wird. Das muss man sich mal vorstellen!
Sie leben von knapp 2.000 Euro Pensionsgeld in einer brasilianischen Favela. Sind Sie damit dort ein reicher Mann?
Schill: Mit knapp 2.000 Euro monatlichem Pensionsgeld bin ich in der Favela, in der ich lebe, reicher als 98 Prozent der Menschen, die dort leben, aber ärmer als die Drogenbarone.
Welche negativen Erfahrungen haben Sie in Ihrer Favela schon gemacht?
Schill: In meiner wie in jeder anderen Favela gibt es gelegentliche Schießereien zwischen der Polizei und dem Drogenkartell. Da läuft man Gefahr, durch Querschläger getroffen zu werden, insbesondere, wenn man zufällig gerade zwischen die Fronten gerät. Das ist dann wie im Wilden Westen. Aber ich persönlich empfinde es eher als Abenteuer.
Wie muss man sich Ihren Alltag in Brasilien vorstellen?
Schill: Ich schlafe morgens aus und frühstücke dann mit Blick auf den Zuckerhut, den Strand der Copa Cabana und den Strand von Ipanema, sehe das Meer, die Inseln und die auf Reede liegenden Schiffe. Auch nach so langer Zeit erfreue ich mich immer noch jeden Tag neu an dieser spektakulären Landschaft. Dann gehe ich 570 Stufen zu Fuß nach unten, spiele am Strand Beachtennis und umschwimme einen wellenumtosten Felsen. Anschließend gehe ich essen, treffe Menschen und genieße das Leben mit ihnen.
Sie sagten in einem TV-Interview, dass Sie nie wieder nach Deutschland zurückkehren möchten. Gibt es trotzdem etwas, was Sie an Deutschland vermissen?
Schill: Ich werde nie wieder dauerhaft nach Deutschland zurückkehren. Deutschland ist für mich abgehakt. Das einzige, was ich an Deutschland vermisse, ist der weihnachtliche Gänsebraten.
In Deutschland waren Sie Strafrichter und Politiker. Inwiefern beeinflusst das Ihr jetziges Leben?
Schill: Mit der Schärfe meines strafrichterlichen und politischen Verstandes beobachte ich über das Internet die Ereignisse in Deutschland. Deutschland und das, was in Deutschland passiert, interessiert mich noch, aber es liegt mir nicht mehr am Herzen.
Als Strafrichter gab man Ihnen den Namen "Richter Gnadenlos". Zu Recht?
Schill: Die Bezeichnung "Richter Gnadenlos" habe ich nie als Beschimpfung, sondern als Prädikat empfunden. Denn in einem Land, in dem Gnade mit dem Füllhorn ausgeschüttet wird, kommt es darauf an, im Sinne der Opfer zu agieren. Für mich stand nie der Täter im Vordergrund wie bei meinen Kollegen, sondern es ging mir darum, Opfer zu schützen. Das Opfer dieser konkreten Straftat, aber darüber hinaus durch harte Strafen und Abschreckung auch weitere Opfer zu vermeiden.
Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und geben sich gerne als Frauenheld. Dafür müssen Sie in Deutschland auch Kritik einstecken. Stört Sie das?
Schill: Frauen sind mein Lebenselixier. Ich liebe Frauen, die sich als Frau wohlfühlen, die sich als Frau definieren. Ich liebe das Spannungsverhältnis zwischen echten Kerlen und herrlichen Weibern, wie man das in Lateinamerika noch überall beobachten kann. Hier wackeln die Frauen selbst beim Einkaufen mit dem Arsch und genießen die darauf gerichteten Männerblicke. Ich habe überhaupt kein Verständnis für die Entwicklung der Me-Too-Debatte und hysterischen Reaktionen von irgendwelchen Emanzen. Kritik aus Deutschland interessiert mich grundsätzlich nicht. Ich lebe in Brasilien, 10.000 Kilometer entfernt von Deutschland, und empfinde mich mittlerweile mehr als Brasilianer denn als Deutscher.
Welche Ziele verfolgen Sie in den nächsten Jahren?
Schill: Ich verfolge keine Ziele mehr. Ich genieße das Hier und Jetzt. Die Quelle des Glücks liegt darin, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sein Leben so auszurichten, dass sie optimal befriedigt werden.
Was müsste geschehen, damit Sie Brasilien doch eines Tages verlassen?
Schill: Brasilien würde ich nur für ein ähnlich spektakulären Ort verlassen, wie zum Beispiel die Philippinen mit ihren über 10.000 Inseln. Das habe ich mir dort schon angeschaut und es wäre für mich eine Alternative.