Drei Zehntel in drei Kurven

Ausgerechnet im letzten Rennen des Jahres zeigte der Mercedes nicht Normalform. Red Bull hatte das schnellere Auto. Es gab viele Gründe, warum die Silberpfeile ausgerechnet auf einer ihrer stärksten Strecken nicht das Tempo des Gegners halten konnten.
Von allen Mercedes der Hybrid-Ära war der W11 wahrscheinlich der beste. Trotzdem hat er vier Rennen verloren. Drei davon wegen individueller Fehler. Ausgerechnet im Finale fand der Wunder-Mercedes seinen Meister. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Red Bull hatte in Abu Dhabi das schnellere Auto. Dafür sprechen die 15,9 Sekunden Vorsprung von Max Verstappen auf die beiden Mercedes. Dafür spricht, dass Alexander Albon im letzten Rennviertel den Rückstand auf Lewis Hamilton./span> von 8,7 auf 1,5 Sekunden verkürzte.
Mercedes hatte an diesem Tag nur eine Chance, das Rennen zu gewinnen. Die wurde beim Start vertan. Danach war Verstappen im Schnitt drei Zehntel pro Runde schneller, egal auf welchen Reifen. Das Safety Car in der zehnten Runde wegen des liegengebliebenen Racing Point von Sergio Perez verbaute Mercedes auch noch jede strategische Option. Alle, die nicht auf den harten Reifen gestartet waren, kamen zu ihrem einzigen Reifen.echsel an die Box.
Max Verstappen, Valtteri Bottas und Lewis Hamilton./span> äußerten zwar zu Mitte des Rennens Sorge, die harten Reifen könnten nicht bis zum Ende durchhalten, an den Kommandoständen aber blieb alles ruhig. "Diese harten Reifen hätten eine ganze Renndistanz geschafft. So wie 2010", erklärten die Strategen.
Mercedes nur am Freitag schnell
Warum aber war Mercedes nur am Freitag schnell? Warum drehte sich die knappe Trainingsniederlage gegen Verstappen am Sonntag nicht ins Gegenteil um? Mercedes hoffte, dass der Grund für das Ergebnis am Samstag in den weichen Reifen lag, dass die Balanceprobleme auf den Mischungen medium und hart verschwinden würden. Sie verschwanden aber nicht. "Red Bull war zu schnell für uns, überraschend schnell, muss ich sagen. Wir gingen davon aus, dass wir im Rennen wenigstens auf gleicher Höhe fahren würden. Ich bin fehlerlos gefahren, habe alles aus dem Paket rausgeholt", bedauerte Bottas Auch Hamilton gab zu: "Max war außer Reichweite, und Albon hat auf mich aufgeholt. Das sagt alles."
Man konnte sich auch nicht auf die Turbulenzen herausreden, die in Abu Dhabi mehr Einfluss auf die Rundenzeiten haben als anderswo. "Ab drei Sekunden zum Vordermann rutschst du nur noch herum", klagte Hamilton. Doch Verstappen vergrößerte seinen Vorsprung auch dann noch, wenn der Abstand zu den Mercedes über diese drei Sekunden angewachsen war. Und Albon schaffte es auf Hamilton bis auf eineinhalb Sekunden aufzuschließen. Das ist ein sicheres Indiz dafür, dass er am Ende schneller war.
Angst um die MGU-K
Es war nicht ein einzelner Grund, warum Mercedes das Tempo von Verstappen nicht mitgehen konnte. Bottas und Hamilton verloren in den Kurven 5, 6 und 7 drei Zehntel auf den Red Bull. Was man danach wieder gutmachen konnte, ging in den Kurven 11, 12 und 13 endgültig verloren. Beide Fahrer klagten in den Schlüsselstellen des Kurses über Untersteuern. Warum es dazu kam, war nach dem Rennen noch nicht ganz klar. Die Ingenieure wollten eigentlich den rechten Vorderreifen schützen. Trotzdem ging der Vorderreifen an den Mercedes eher in die Knie als an den Red Bull. Und das Auto benahm sich auch an den Stellen, wo Traktion gefragt war, an der Hinterachse nervös.
Ein zweites Problem war unsichtbar. Mercedes nahm im Rennen über weite Strecke die Elektro-Power zurück. Zuletzt hatte es zu viele Probleme mit der MGU-K gegeben. Als Perez trotz einer brandneuen Antriebseinheit wieder mit einem vermuteten Schaden an der MGU-K liegengeblieben war, schrillten die Alarmglocken gleich doppelt laut. Das Zurückfahren der Leistung kostete allerdings höchstens ein Zehntel. Und sie war nicht der alleinige Grund für die Niederlage, höchstens ein Puzzlestein. "In der Qualifikation und in den entscheidenden Momenten des Rennens haben wir die MGU-K voll aufgedreht", räumten die Ingenieure ein.
Es gab noch eine weitere Erklärung für das umgekehrte Kräfteverhältnis. Red Bull tauchte bei den letzten Rennen mit einem neuen Heckflügel auf. Er war in Bahrain getestet und für gut befunden worden und kam in Abu Dhabi zum Einsatz. Ohne dass es schon Beweise dafür gibt, glaubt man im gegnerischen Lager, dass die Aerodynamikentwicklung in letzter Minute für effizienteren Abtrieb sorgte. "Red Bull schraubt den Flügel nur ans Auto, wenn er besser ist", ist man bei Mercedes überzeugt. Red Bull.Sportdirektor Helmut Marko würde das unterschreiben. Seiner Meinung nach hat der RB16 in den letzten beiden Rennen zum Klassenprimus aufgeschlossen.
Bottas feiert persönlichen Sieg
Auch Albons Rennen spricht dafür, dass Red Bull mit seiner Entwicklungsoffensive bis zum bitteren Ende die Lücke nahezu geschlossen hat. Mercedes stellte schon nach Spa jegliche Entwicklung ein. Zum ersten Mal konnte Albon seinem Teamkapitän Verstappen helfen. Der Thailänder lag immer im Boxenstopp-Fenster der beiden Mercedes.Fahrer. "Es wäre zu riskant gewesen, Verstappen mit einem zweiten Boxenstopp aus der Reserve zu locken. Wäre Albon nicht da gewesen, hätten wir es gemacht", gaben die Männer am Schaltpult der Mercedes.Boxenmauer zu.
Für den in Bahrain so gedemütigten Bottas nahm die Saison ein versöhnliches Ende. Er hat Hamilton am Samstag und am Sonntag geschlagen. "Das zeigt die Moral von Valtteri. Er hat die Mentalität eines Kämpfers", lobte Teamchef Toto Wolff. Bottas traf allerdings auf einen Hamilton, der nach seiner Corona-Erkrankung nicht hundertprozentig fit war. Und der in der zweiten Hälfte des Rennens schneller fahren konnte. Ein bis eineinhalb Zehntel pro Runde waren aber zu wenig, in das Renngeschehen einzugreifen. Auch weil Verstappen noch nicht einmal von einem Hamilton in Normalform geschlagen worden wäre. Ein Platztausch bei Mercedes wurde nie in Betracht gezogen. "Das haben wir einmal unter Schmerzen gemacht. Es ist nur vertretbar, wenn es um den WM-Titel geht", wiegelte Wolff ab.