F1-Blog zur Reifen-Diskussion
Die Formel 1-Piloten schreien wieder einmal nach länger haltbaren Reifen. Doch das ist der falsche Weg, meint Tobias Grüner in seinem Kommentar. Er befürchtet die Rückkehr zu langweiligen Rennen.
Diskussionen über die Reifen sind in der Formel 1 nichts Neues. Seit Pirelli 2011 in die Formel 1 kam, gibt es immer wieder Klagen. Im Gegensatz zu Vorgänger Bridgestone baut der italienische Lieferant auf Bestellung Gummis, die schnell verschleißen und Gefühl im Gasfuß verlangen. Ein reifenschonendes Auto wird belohnt, genau wie ein Fahrer der mit Köpfchen fährt.
F1-Piloten kritisieren Pirelli
Doch bei den Piloten selbst kamen die sensiblen Walzen von Anfang an nicht besonders gut an. Offen traute sich kaum einer seine Meinung zu äußern. Hinter vorgehaltener Hand wurde aber nicht mit Kritik gespart. Die Fahrer wollen endlich wieder Vollgas geben und sich mit Vollkaracho in die Kurven werfen. Alles andere sei langweilig und der Formel 1 nicht würdig, so das nachvollziehbare Argument.
Mittlerweile hat das fahrende Personal sogar Bernie Ecclestone auf seine Seite gezogen. Der F1-Zampano ist in den vergangenen Wochen an Pirelli herangetreten, um eine Lösung zu finden. Die Italiener betonen stets die Sorte Reifen zu liefern, die von den Auftraggebern gewünscht wird. Was genau gewünscht ist, soll nun endgültig geklärt werden. Pirelli hat alle Beteiligten kommende Woche zur großen Reifenrunde am Firmensitz in Mailand geladen.
Dass es den Fahrern natürlich mehr Spaß macht, wenn die knapp 1.000 PS im Heck ohne Verluste in Vortrieb umgesetzt werden, ist klar. Nico Hülkenberg schwärmte nach seinem Le Mans-Ausflug über die Beschleunigung seines Porsche Prototypen, der dank Hybrid-Allrad und Langstrecken-Reifen wie ein Großkaliberprojektil aus den Kurven schoss. Da kann es einen schon mal frustrieren, wenn in der "Königsklasse" plötzlich nur noch Halbgas angesagt ist.
Mehr Action dank weicher Reifen
Doch die verschleißfreudigen Reifen wurden nicht ohne Grund eingeführt. Sie brachten Spannung und Abwechslung in die Rennen. Mehr Reifenwechsel bieten bekanntlich immer auch eine erhöhte Chance, dass mal etwas schiefgeht. Unterschiedliche Strategien eröffnen größere Möglichkeiten zu Positionsverschiebungen. Und ist der Grip-Unterschied bei mehr oder weniger abgefahrenen Reifen stärker ausgeprägt, kann leichter überholt werden.
Werden Reifen eingesetzt, die unabhängig von der Fahrweise gleich wenig abbauen, dann kommen wir wieder zurück zu alten Bridgestone-Verhältnissen. Ich habe noch die Klagen der Fans aus der Vor-Pirelli-Zeit im Ohr. Ereignisarme Rennen ohne Überholmanöver, kaum unterschiedliche Strategie-Optionen, keine überraschenden Ergebnisse.
In kaum einem Rennen wurde das Problem besser sichtbar als im Saisonfinale 2010 in Abu Dhabi. Vitaly Petrov nutzte eine Safety-Car-Phase in der ersten Runde zum Reifenwechsel und fuhr mit einem Satz bis zum Ende durch, ohne dass die Gummis spürbar nachließen. Fernando Alonso kam 15 Runden später an die Box und fand keinen Weg vorbei. Wollen wir wirklich dahin wieder zurück, nur damit die Fahrer mehr Spaß im Cockpit haben?
Schnellere Autos sind nicht spektakulärer
Auch das Argument von tollen Kurvengeschwindigkeiten zieht nicht. Kein Zuschauer kann am Fernseher erkennen, ob ein Fahrer 10 km/h schneller oder langsamer unterwegs ist. MotoGP wirkt im direkten Vergleich viel spektakulärer, doch die Zweirad-Piloten rasen deutlich langsamer um die Ecken als ihre Formel 1-Kollegen.
Es fühlt sich vielleicht im Cockpit cool an, wie auf Schienen festgenagelt mit hohen G-Kräften um die Kurve zu fliegen. Aber aus der Perspektive des Fans ist es weitaus beeindruckender, wenn der Pilot mit mangelndem Abtrieb und wenig Grip zu kämpfen hat. Wenn das Auto ständig auszubrechen droht und am Lenkrad richtig gearbeitet werden muss, lässt sich das Fahrkönnen der Piloten erst richtig zu erkennen. Deshalb schaut auch jeder gerne bei Regenrennen zu.
Bernie Ecclestone hatte das Problem 2010 richtig erkannt und Pirelli den Auftrag gegeben, für mehr Action zu sorgen. Dass ausgerechnet er nun den Fahrern dabei helfen will, wieder zu den alten Verhältnissen zurückzukehren, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wenn Bernie damit tatsächlich erfolgreich ist, soll sich hinterher aber bitte niemand aus dem Fahrerlager über zu langweilige Rennen beklagen.