„Leclerc in anderer Klasse“
Ferrari sieht wieder Land. Charles Leclerc stellte seinen SF1000 wie angepeilt in die zweite Startreihe. Bei Sebastian Vettel kam der Fortschritt nicht an. Der Deutsche flog schon im Q2 raus. Er fand keinen Rhythmus und haderte mit den Reifentemperaturen.
Ferrari ist im Augenblick ein Einmann-Team. Charles Leclerc fährt den SF1000 zum zweiten Mal in Folge in die zweite Startreihe. Sebastian Vettel scheitert zum achten Mal in Folge an der Q3-Hürde. Die Startplätze sagen alles: Rang 4 für Leclerc, Platz 15 für Vettel.
Im Q1 verfehlte Vettel die Zeit des Teamkollegen zwar nur um 25 Tausendstel, brauchte aber einen Versuch mehr dafür. Im Q2 blieb er 0,552 Sekunden zurück. "Ich sehe gar kein Land gegen Charles. Das ist ja nicht nur geschlagen zu werden, das ist eine andere Klasse. Selbst die Runden, die ich treffe, sind noch zu langsam. Im Moment kann ich nur rausholen was in mir und dem Auto steckt."
Angesichts von Vettels Problem fragt man sich, warum ihn Ferrari im Q2 dann zwei Mal auf den Medium-Reifen auf die Strecke schickte. Das traut sich sonst nur Mercedes. Selbst Max Verstappen ließ die Finger davon. Vettel nahm sein Team in Schutz. Musste er auch, denn Leclerc schaffte auf den Medium-Gummis den Sprung ins Q3.
Der gestrauchelte Ex-Weltmeister hätte auch persönlich die mittlere Gummimischung von Pirelli gewählt: "Ich hatte mit den Soft-Reifen zu viel Körnen. Der Medium-Reifen lag mir besser. Der erste Versuch im Q2 fühlte sich auch ganz ordentlich an, obwohl ich die Runde nicht gut erwischt hatte. Ich dachte, ich kann locker die Zeit vom Q1 fahren, und das war die Vorgabe. Das war dann doch nicht so locker." Vettel verpasste die Zielvorgabe um eine halbe Sekunde. Leclerc unterbot sie um eine Zehntelsekunde.
Leclerc setzt Verstappen unter Druck
Es ist das alte Lied. Der 53-fache GP-Sieger tut sich schwer seinen Rhythmus zu finden. Wenn er mal eine gute Runde fährt, ist die nächste schon wieder für den Mülleimer. Vettel hat selbst keine Erklärung dafür, warum ihm trotz seiner Erfahrung und seiner akribischen Arbeitsweise plötzlich die Treffsicherheit fehlt.
"Im zweiten Versuch kamen die Reifen gar nicht auf Temperatur. Ich hatte direkt ein stehendes Rad in der dritten Kurve. Keine Ahnung warum ich mich so schwer tue, die Reifen ins Fenster zu bringen, und warum es sich jedes Mal anders anfühlt."
Ganz anders Charles Leclerc. Der Monegasse fährt wie ein Uhrwerk, holt in jeder Runde das Maximum aus einem Ferrari heraus, der von Rennen zu Rennen besser wird. Doch im Moment profitiert nur er von den Fortschritten, die Ferrari mit dem jüngsten Aero-Paket erzielt hat. Diesmal musste sogar Max Verstappen um seinen dritten Startplatz zittern. Leclerc fehlten nur 0,186 Sekunden. So nah war ein Ferrari schon lange nicht mehr an einem Red Bull dran.
Der Vierte der Startaufstellung lobte seine Ingenieure: "Es war wieder ein kleiner Schritt nach vorne. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg." Leclerc glaubt, dass er diesmal am Sonntag besser gerüstet sein wird als in den vorangegangenen Rennen: "Wir starten auf dem richtigen Reifen. Der Medium-Gummi wird bei den kühleren Bedingungen am Sonntag weniger körnen als der Soft-Reifen."
Vettels Problem mit den Reifentemperaturen
Bei so großen Unterschieden zwischen zwei Fahrern aus demselben Team sind normalerweise die Reifentemperaturen der entscheidende Faktor. Portimao zählt wegen des glatten Asphalts zu den Strecken, auf denen es schwierig ist Vorderreifen und Hinterreifen zur gleichen Zeit in ihr Arbeitsfenster zu bringen. Wer die Balance nicht hinkriegt, liegt schnell mal eine halbe Sekunde neben der Spur.
Beide Ferrari-Piloten hatten die gleiche Herangehensweise und genehmigten sich zwei Aufwärmrunden. Es lässt sich aber kein eindeutiges Bild ableiten, warum Leclerc das schafft, was Vettel verwehrt bleibt. Ferraris neue Nummer eins drehte seine schnellste Runde im Q2 nach einem relativ zögerlichen Anlauf von 1.38,5 Minuten. Vor seine zweitbeste Q2-Zeit baute er aber eine 1.31,0 Minuten-Runde.
Vettel versuchte es zwei Mal mit Aufwärmrunden von 1.35,5 Minuten, um vor dem letzten Versuch mit 1.30,2 Minuten etwas mehr Gas zu geben. Man kann also nicht sagen, dass er nicht alles versucht hätte. Aggressiv im Aufwärmprozess, weniger aggressiv, nichts hat geholfen. Schon nach Mitte der Runde funkte er an seinen Renningenieur: "Ich bringe die Vorderreifen nicht auf Temperatur und hatte null Grip in den Kurven 3, 4 und 5."
Während Leclerc nach vielversprechenden Longruns im dritten Training guter Dinge ist, dass sein Ferrari diesmal mit vollen Tanks besser unterwegs sein wird als in Mugello und am Nürburgring, fürchtet Vettel, dass sich das Szenario der letzten Rennen für ihn wiederholen wird. "Von meinem schlechten Startplatz kann das Rennen auch diesmal ein Murks werden. Ich werde wahrscheinlich wieder im Verkehr steckenbleiben."
Für Ferrari kommen Vettels Probleme mit dem Auto und sich selbst zur falschen Zeit. Der Vize-Weltmeister hatte sich zum Ziel gesetzt, noch ein paar WM-Positionen gutzumachen. Das geht bei 34 bis 40 Punkten Rückstand auf McLaren, Renault und Racing Point nur, wenn beide Fahrer punkten.