Das können die Ingenieure noch tun
Aus Spargründen hat die Formel 1 das 2020er Auto für 2021 homologiert. Nur die Aerodynamik und individuell zwei von 77 Komponenten sind frei. Bleibt damit ein schlechtes Auto ein schlechtes Auto? Wir haben nachgehakt.
Noch so eine komplizierte Regel im modifizierten Formel 1-Reglement für 2021. Die Corona-Krise zwang die Regelhüter zu drastischen Sparmaßnahmen. Keine von ihnen ist simpel. Eher das Gegenteil. Egal, ob es um Prüfstandszeiten für Motoren, Windkanalbeschränkungen oder die Homologation von Teilen geht. Das 2020er Chassis war schnell homologiert. Es war eine der ersten Maßnahmen, auf die sich FIA und die Teams verständigt haben.
Doch damit nicht genug. Für den Fall, dass in diesem Jahr kein Rennen mehr stattgefunden hätte, wären die Teams gezwungen worden, die 2021er Saison mit den 2020er Autos zu starten. Da die Saison jetzt aber doch in Gang kommt und die Teams wenigstens mit einer teilweisen Ausschüttung rechnen dürfen, kommt Plan B zur Anwendung.
Und der ist im neuen Technischen Reglement in Paragraf 22 niedergeschrieben. Auf insgesamt neun Seiten zuzüglich einer Tabelle. In der stehen alle Teile drin, die entweder homlogiert sind oder auch nicht. In einem Token-System dürfen sich die Teams individuell ein großes oder zwei kleine Komponenten aussuchen, die sie für 2021 verändern wollen.
Schlupfloch für Racing Point
Die Komponenten sind in insgesamt sechs Klassen eingeteilt: Listed team component (LTC), Standard supply component (SSC), Prescribed design component (PDC), Transferable component (TRC), Free supply component (FSC) und Open Source component (OSC). Ersparen Sie uns die Erklärung, was damit im Einzelfall gemeint ist. Es bringt nichts für das bessere Verständnis, außer man plant Regelexperte für ein Team zu werden.
Im Detail kann man die Regularien zu diesem Komplex auf den Seiten 100 bis 108 im Technischen Reglement nachlesen. Die detaillierte Liste, zu welcher Kategorie die insgesamt 77 Komponenten in 14 unterschiedlichen Bereichen zählen, was homologiert wird und was nicht und wie viele Token dafür angerechnet werden ist ab Seite 118 zu studieren.
Tatsache ist, dass den Ingenieuren bis Ende 2021 massiv die Hände gebunden sind. Wer mit dem 2020er Auto einen kompletten Flop gelandet hat, kann nur im Bereich der Aerodynamik und zwei ausgewählten Bereichen reagieren. Handelt es sich um ein Kundenteam, ist er zum Teil davon abhängig, was der Hersteller macht. Wenn Ferrari für 2021 sein Getriebe ändert, muss HaasF1 den gleichen Token mit einreichen. Auch wenn man vielleicht lieber an einer anderen Stelle korrigiert hätte.
Hier tut sich schon das erste Schlupfloch auf. Racing Point nutzt es. Der Rennstall aus Silverstone bezieht von Mercedes Getriebe und Aufhängungen. Doch die sind aus dem 2019er Mercedes W10. Somit fallen sie nicht unter die Homologationsbestimmungen. Racing Point will 2021 wieder mit Mercedes-Komponenten fahren, die ein Jahr alt sind. Man hat dann zwar ein Getriebe und eine Hinterachse von 2020, muss dafür aber keine Token in Anspruch nehmen, weil besagte Teile am Mercedes W11 bereits homologiert wurden und Mercedes auf diese Teile keine Token verwendet hat. Sollte Mercedes 2021 ein neues Getriebe bauen, trifft die Token-Regel nur sie.
Festlegung der Token
Das ist nur ein Beispiel, warum die Homologation den Ingenieuren noch viel Kopfzerbrechen macht. "Die Regeln sind so kompliziert, dass wir gerade erst ausarbeiten, was wir im Rahmen dieser Regel tun dürfen und was nicht. Das verlangt eine spezielle Logistik und viel Papierkram, um nachzuweisen, welche Teile am Auto wir im Rahmen der Homologation überhaupt modifizieren dürfen. Die Einschränkungen sind sehr streng. Wer aber schlau ist und das Geld hat, kann das 2021er Auto schon noch gut weiterentwickeln. Speziell in unserem Fall, wo wir Teile der Aufhängungen und das Getriebe von einem anderen Hersteller einkaufen. Wir dürfen diese Teile weiter modifizieren, weil wir ein Jahr zurückhinken", erklärt Racing Point-Technikdirektor Andy Green.
Die Technikbüros stehen unter großem Druck. Es liegt auf der Hand, dass man dort seine Token nimmt, wo man Schwachstellen vermutet. Doch dazu müsste man jetzt schon wissen, woran es hakt. Die Meldefrist bei der FIA über die Token endet aber nur 14 Tage nach Wiederaufnahme der Arbeit nach der Sommerpause. Also noch vor Beginn der Rennsaison. Die Teams haben ihre Autos bis jetzt nur bei den Testfahrten in Barcelona kennengelernt. Es besteht die Gefahr, dass sich bei den ersten Rennen vielleicht eine Schwachstelle auftut, an die man vorher noch nicht gedacht hat. Green gibt zu, dass mit der frühen Bekanntgabe gewisse Risiken verbunden sind.
Es gibt aber Ausnahmen. "Wenn ich ein Problem habe, das die Zuverlässigkeit des Autos bedroht, darf ich mit Erlaubnis der FIA reagieren, um das Problem zu lösen. Das würde keinen Token kosten. Wenn die Kühlung zu großzügig oder zu mutig ausgelegt war, kann ich auch regieren. Kühler sind ausgenommen. Und die Aerodynamik bleibt frei bis Ende 2021. Die Token betreffen nur Chassiskomponenten, Getriebe, Aufhängungen, das Benzinsystem, den Kabelbaum und so weiter. Das verhindert große Eingriffe ins Konzept des Autos", erklärt Green.
Während man bei Ferrari Sorge hat, dass die restriktiven Regeln es schwer machen werden, einen technischen Rückstand aufzuholen, ist man bei Racing Point ungleich optimistischer: "Ein schlechtes Auto 2020 muss nicht automatisch ein schlechtes Auto 2021 sein. Wir haben immer noch genug Spielraum zum Manövrieren, um unseren Kopf aus der Schlinge zu ziehen."