„WM entgleitet mir schon wieder“
Valtteri Bottas ist nach sechs Rennen maximal noch ein Außenseiter auf den WM-Sieg. Der Teamkollege ist erfahrener, abgezockter, besser im Reifenmanagement und schneller im entscheidenden Moment. Das Problem von Bottas: Er fährt gegen einen der besten Fahrer der Geschichte.
Die Frage ist nicht zu beantworten: Wer ist der beste Fahrer der bisherigen Formel 1-Geschichte? Michael Schumacher, Lewis Hamilton./span>, Ayrton Senna, Jim Clark, Juan Manuel Fangio oder doch ein anderer? In jedem Fall fährt Valtteri Bottas gegen den Mann, der wahrscheinlich bald die wichtigsten Rekorde halten wird. Und genau das ist sein Problem. Er kann sich einfach nicht aus Lewis Hamilton. Schatten lösen.
Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, dass Hamilton nicht bald die Bestmarke von Michael Schumacher bei Siegen übertreffen wird. Die steht bei 91 Grand Prix-Erfolgen. Hamilton sammelte in Spanien seinen 88. Karriere-Sieg ein. Der viermalige Saisonsieger ist auch der große Favorit auf den WM-Titel 2020. Der Mercedes-Pilot führt die Weltmeisterschaft mit 37 Punkten vor Max Verstappen an. Hamilton ist auf dem Weg zu WM-Titel Nummer sieben – wie Schumacher.
Bottas klagt über Saison
Valtteri Bottas wirkte nach dem GP Spanien angezählt. Da sprach ein Pilot, der nach fünf Niederlagen in Folge gegen den Teamkollegen schon wieder alle Fälle davonschwimmen sieht. Der Lebenstraum, einmal Formel 1-Weltmeister zu werden, scheint sich einfach nicht erfüllen zu wollen. Der Finne sprach kleinlaut in die Mikrophone. "Der Rückstand auf Lewis ist zu groß. Die Weltmeisterschaft entgleitet mir schon wieder." Nach sechs Grand Prix ist Hamilton um 43 Punkte enteilt. Das sind umgerechnet ein Sieg und ein zweiter Platz.
Nicht einmal der Punkt für die schnellste Rennrunde konnte Bottas trösten. Der WM-Dritte urteilt über seine bisherige Saison: "Mit Ausnahme vom ersten Rennen lief nie alles glatt. Es ist eine ziemlich schlechte Saison für mich." Das sind Klagen auf hohem Niveau. 18 andere Fahrer wären gerne auf der WM-Position des 30-Jährigen aus Nastola. Platz drei in der WM und ein Sitz im besten Auto. Und wahrscheinlich würde auch ein Max Verstappen, derzeit WM-Zweiter im Red Bull, gerne das Auto tauschen. Der Mercedes ist die Messlatte im Feld. Der W11 war in Barcelona sieben Zehntel schneller als der Red Bull.
Wer im schnellsten Auto sitzt, muss das Ziel haben, Weltmeister zu werden. Keine Frage: Dieser Bottas ist ein sehr guter Rennfahrer. Aber man sieht auch in dieser Saison, dass er kein außergewöhnlicher ist, kein Außerirdischer wie ein Hamilton. Wenn der Weltmeister nicht gewinnt, wird er eben Zweiter. Bottas wird hingegen nicht mal zuverlässig Zweiter, wenn er es werden muss. Max Verstappen dagegen holt Woche für Woche mehr heraus, als eigentlich mit dem Red Bull drin läge. Ein Charles Leclerc kam mit dem flügellahmen Ferrari bereits zweimal in dieser Saison auf das Podest.
5:1 im Rennen für Hamilton./strong>
Auf eine Runde liefert Bottas seinem Teamkollegen einen heißen Kampf. Die Unterschiede sind oft marginal. 12 Tausendstel zugunsten von Bottas im ersten Österreich-Rennen. 0,107 Sekunden pro Hamilton in Budapest. In Silverstone 1 wuchs das Delta auf 0,313 Sekunden zugunsten des Lokalhelden. Eine Woche später konterte Bottas auf Hamiltons Hausstrecke und war um 63 Tausendstel schneller. Wieder eine Woche später drehte Hamilton den Spieß um: 59 Tausendstelsekunden trennten die Autos mit den Startnummern 44 und 77 in Barcelona.
In der Qualifikation steht es 4:2 für Hamilton, der nach Pole-Positions einsamer Rekordsammler ist. Da muss man es Bottas hoch anrechnen, dass er dem Klassenbesten auf eine Runde einheizt. Einziger Ausreißer: Die nasse Qualifikation in der Steiermark. Da ging Hamilton über Wasser, undenteilte dem Teamkollegen um 1,4 Sekunden. Bottas klagte über verglaste Bremsscheiben in der Kälte.
Nach Rennergebnissen steht es inzwischen 5:1 für Hamilton. Da driften die beiden auseinander. Bei zwei gleichwertigen Autos entscheiden Kleinigkeiten. Die Pole, ein besserer Start, Fahren in sauberer Luft, das bessere Reifenmanagement. Und Glück wie in Silverstone 1, als beiden Autos der linke Vorderreifen platzte, doch Bottas eine ganze Runde bis zur Box humpeln musste, während Hamilton nur eine halbe bis ins Ziel zurücklegen musste. Zu diesem Zeitpunkt hatte Verstappen ein zweites Mal gestoppt, weshalb Hamiltons Vorsprung groß genug war, um den Sieg zu retten.
Hamilton schwächelte zum Saisonauftakt, fährt seither aber wie ein Uhrwerk: 25 Punkte in Österreich 2, 26 in Ungarn, 25 in Silverstone 1, 19 in Silverstone 2, 25 in Spanien. Der Weltmeister ist in Bestform. Und genau dann kann Bottas nichts mehr ausrichten gegen ihn. Dieser Umstand lässt auf der einen Seite im Nachgang auch die Leistungen eines Jenson Button und Nico Rosberg noch höher bewerten. In den drei gemeinsamen McLaren-Jahren von 2010 bis 2012 sammelte Button 15 WM-Punkte mehr als Hamilton (672 zu 657), der zwei Saisons vor dem Weltmeister von 2009 in der Rangliste abschloss. Rosberg errang 2016 den WM-Titel im direkten Teamvergleich bei Mercedes. Vier gemeinsame Jahre hatten so an ihm gezerrt, dass er kurz darauf zurücktrat. Wahrscheinlich im Wissen, dass er diesen Hamilton nicht noch einmal schlagen würde. Auf der anderen Seite entwickelt sich der sechsfache Titelträger immer weiter, wird immer noch ein bisschen besser..Pech für Bottas.
Start als Genickbruch
In Barcelona war Bottas bereits nach 612 Metern geschlagen. Statt Hamilton anzugreifen, rutschte er am Start hinter Verstappen und Lance Stroll zurück. "Dass Verstappen durch den Windschatten vorbeigeht, kann passieren. Doch Stroll darf ihm nicht mehr durchgehen", urteilte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Ich kam nicht schnell genug vom Fleck. Die Reaktionszeit hätte besser sein können. Auf dieser Strecke brauchst du einen perfekten Start. Und den hatte ich nicht. Dafür habe ich bezahlt", kritisierte sich Bottas selbst.
Die Analyse ergab, dass die Reaktionszeit des Finnen einen Tick hinter der von Stroll, Verstappen und Hamilton lag. Bottas beklagte danach leicht durchdrehende Hinterräder. Doch er war trotzdem schnell genug losgerollt, um sich wenigstens hinter dem Schwesterauto zu halten. Nur verpasste Bottas den Windschatten, von dem Verstappen und Stroll profitierten. Der Red Bull hängte sich an Hamilton, und Bottas zog Stroll. Fast hätte ihn sogar Sergio Perez im zweiten Racing Point überholt. Bottas rettete sich außen in Kurve drei.
Es dauerte bis zur fünften Runde, bis Bottas an Stroll vorbei war. Danach ging es 61 Runden nicht weiter vorwärts. In turbulenter Luft bezahlte der WM-Dritte mit höherem Reifenverschleiß. Vor dem ersten Boxenstopp war Bottas nicht nah genug an Verstappen, damit die Mercedes-Strategen dem Undercut eine realistische Chance einräumten. Deshalb musste Bottas länger auf dem ersten Reifensatz ausharren. Red Bull hatte die erste Gelegenheit ergriffen, um Verstappen frische Mediumreifen zu geben, als die Racing Point mehr als 22 Sekunden abgeschüttelt waren. So konnte man Reifen wechseln, ohne hinter die pinken Autos zu fallen.
Heißer schwarzer Rennanzug
Es hätte vor dem zweiten Stopp eine kleine Chance auf einen erfolgreichen Undercut gegeben. Doch Mercedes verpasste den Moment in Runde 39, als Bottas sich Verstappen bis auf 1,5 Sekunden genähert hatte – beide mussten Antonio Giovinazzi im Alfa Romeo überrunden. Ein herannahendes Gewitter ließ die Strategen zögern. "Leider haben wir die Chance verstreichen lassen", bedauert Bottas. Zum zweiten Mal in Serie nach Silverstone 2 fühlte der Finne Luft nach oben bei der Strategie. Doch ob es tatsächlich geklappt hätte, mit einem frischen Mediumreifen an Verstappen vorbeizuziehen?
Nach verpasstem Undercut blieb Bottas sieben Runden länger draußen als der Red Bull. Um danach auf einen gebrauchten Softreifen zu wechseln. Mercedes musste etwas anders tun als Verstappen. Nur über ein Reifendelta hätte es überhaupt eine Möglichkeit gegeben, auf der Rennstrecke zu überholen. Der Softreifen versprach nach der Analyse der vorherigen Stints einen kleinen Vorteil für die verbleibenden 18 Rennrunden. "Es gab eine kleine Debatte am Boxenfunk. Wir mussten etwas anderes tun. Deshalb sind wir auf den Softreifen gegangen. Leider hat der schnell zu schnell überhitzt."
Dritter Platz, wieder hinter Hamilton, wieder hinter Verstappen. Das hinterlässt Spuren. "Ich will gerade woanders sein", erklärte Bottas am Sonntagabend. "Ich brauche jetzt die Pause, um Kraft zu tanken." Er ist mental nahe dem Boden, will aber noch nicht aufgeben. "Ich hoffe, die Saison hat mindestens noch zehn Rennen."
Im Rennen verlor Bottas nach eigenen Angaben übrigens drei Kilogramm an Gewicht. Die Hitze setzte ihm zu. Mehr als in der Vergangenheit. "Es war wirklich sehr heiß im Cockpit. Bei direkter Sonneneinstrahlung wird es in unserem schwarzen Rennanzug sehr heiß." Nicht nur die Farbe hat sich geändert. Die Regeln verlangen 2020 einen dickeres Material für Rennanzug und feuerfeste Unterwäsche. "Wir werden mit unserem Partner Puma daran arbeiten, eine Lösung zu finden, damit unsere Fahrer bei hohen Temperaturen und Sonne weniger leiden müssen", erklärte Mercedes-Teamchef Toto Wolff.