Mercedes zeigt zum ersten Mal volle Power
Auf Lewis Hamiltons Fahrt aus der Boxengasse bis auf den vierten Platz durfte er zum ersten Mal volle Leistung fahren. Mercedes hat extra eine frische Antriebseinheit eingebaut und aufgedeckt, was der Motor wirklich kann.
Es war eine Demonstration. Von Lewis Hamilton./span> und seinem Sportgerät. Der Weltmeister musste nach seinem Unfall in der Qualifikation aus der Boxengasse starten. Und er kam als Vierter ins Ziel. Nur 0,8 Sekunden vom Podium entfernt und 5,4 Sekunden hinter Sieger Sebastian Vettel. Auf dem Weg nach vorne überholte Hamilton zehn Konkurrenten. Der Reihe nach mit Rundenangabe: Brendon Hartley (6), Lance Stroll und Marcus Ericsson (7), Pierre Gasly (8), Carlos Sainz (9), Nico Hülkenberg (11), Sergio Perez (14), Fernando Alonso (20), Felipe Massa (21) und schließlich Max Verstappen (58).
Es dauerte nur acht Runden, bis Hamilton in den Punkterängen auftauchte. Nachdem er Max Verstappen vom 4. Platz verdrängt hatte, durfte er sich Hoffnungen auf ein Podium machen, ja sogar auf einen Sieg, zumal er 10 Runden vor Schluss nur 7,1 Sekunden hinter Vettel lag, auf den Spitzenreiter in jeder Runde aber eine halbe bis eine ganze Sekunde gutmachte.
Endstation bei Räikkönen
„Für einen Sieg hätte Lewis sofort an Räikkönen vorbeikommen müssen“, rechneten die Mercedes-Strategen vor. Doch bei dem Finnen war Endstation. „Ich hatte ein gutes Auto für die letzten drei Kurven vor der langen Gerade. Das hat mich gerettet. Ich wusste, dass er mit voller Power, voller Elektrokraft und DRS angreift. Dabei habe ich ein bisschen zu oft in den Rückspiegel geschaut und mich selbst ein paar Mal in der ersten Kurve verbremst“, berichtete der Ferrari-Pilot.
Zum Schluss bremste Hamilton bei seinem ersten Angriff auf den Ferrari selbst eine Spur zu spät und fiel für eine Runde wieder aus dem DRS-Fenster. Der linke Vorderreifen blieb dabei erstaunlicherweise heil. „Das Problem waren die Hinterreifen. Sie hatten unter der Aufholjagd gelitten. Da war am Ende nicht mehr genug Leben drin, um an Räikkönen vorbeizukommen.“ Der Finne hatte zu Beginn des letzten Stints die Reifen vorsichtig angefahren und profitierte davon in den letzten Runden.
Safety Car Fluch und Segen
Die Simulation berechnete Platz 5 für Hamilton bei einem normalen Rennverlauf. Es war aber schon nach zwei Kurven kein normales Rennen mehr. Das frühe Safety Car half Hamilton nur bedingt. Er schloss nach seinem Start aus der Box zwar sofort auf das Feld auf, verlor allerdings auch vier Runden, Konkurrenten zu überholen. „Dafür haben sich vier Fahrer vor uns selbst aus dem Weg geräumt. Unter dem Strich haben wir mit Lewis vom Safety Car genauso profitiert wie gelitten“, zogen die Ingenieure Bilanz.
Ein Vorteil war die alternative Strategie, mit der Hamilton in das Rennen ging. Er fuhr zuerst die Reifenmarke Soft, dann erst die weichere Mischung Supersoft. Noch einmal die Strategen: „Das war bei der Hitze ein Vorteil, weil du die robusteren Reifen am Auto hast, wenn noch viel Sprit an Bord ist. So kannst du den Supersoft-Reifen am Ende besser nutzen.“ Vettel warf ein: „Leider kannst du diese Taktik nicht fahren, wenn du vorne stehst.“ In Runde 43 wurde Hamilton seine erste Garnitur Reifen los. „In Runde 30 hätte ich nicht geglaubt, dass ich auf dem Satz noch so lange durchhalte. Obwohl ich die ganze Zeit attackieren musste, habe ich meine Reifen gut in Schuss gehalten.“
Neuer Motor mit rund 15 PS mehr
Ein wichtiger Faktor bei Hamiltons Jagd durch das Feld war der neue Motor, den Mercedes nach dem Trainingscrash in das Auto mit der Startnummer 44 eingebaut hatte. Ursprünglich war die Version 2.0 im Auto, also eine ältere Spezifikation aus der ersten Saisonhälfte. Den Motor 3.1, der in Spa debütierte, hatte man sich für das Finale aufgespart. Er soll rund 15 PS mehr haben als die Vorgängermodelle. Wie viel genau, ließe sich nur aus GPS-Werten ermitteln.
Doch Mercedes hat diesem Motortyp höchstens in der Qualifikation die Sporen gegeben. Im Rennen blieb das Bild diffus. „Da habe ich den Motor meistens runtergedreht, oft schon bevor ich dazu gebeten wurde“, verrät Hamilton. In Interlagos ließ der Mercedes M08 V6-Turbo seine Muskeln spielen. Auf der Zielgeraden flog der Mercedes den Ferrari um 7,4 km/h davon. Und Hamilton war um 4 km/h schneller als Teamkollege Valtteri Bottas.
Politisches Eigentor?
In Brasilien aber hatte der Engländer eine frische Version der Spezifikation 3.1 im Rücken. Weil Mercedes ohne Strafe eine fünften Antriebseinheit bestehend aus Verbrennungsmotor, Turbolader und MGU-H einbauen konnte. Dazu noch ein frisches Getriebe. Da dieser Motor nur noch zwei Rennen und eine Qualifikation überstehen musste, gab es nicht die üblichen Einschränkungen wie bei den Triebwerken, die auf 5000 Kilometer Laufzeit ausgelegt sind. „Ich habe zum ersten Mal von der ersten bis zur letzten Runde attackiert und bin den Motor so hart gefahren wie es geht.“ Beeindruckend für die Zuschauer, interessant für die Konkurrenz. Sie kann jetzt ausrechnen, wie weit sie wirklich hinten liegt.
Aus politischer Sicht war es vielleicht ein Eigentor. Mercedes liegt derzeit mit dem Formel 1-Management im Clinch. Das forciert ein neues Motorenreglement auch wegen das Ungleichgewichts in der Leistung zwischen den Motoren von Mercedes, Ferrari, Renault und Honda. Mercedes argumentiert, dass der Unterschied nicht so groß sei wie allgemein angenommen. Da sprechen Verbrauchszahlen von Mexiko eine andere Sprache. Mercedes kam mit 89 Kilogramm Benzin über die 71 Runden. Ferrari brauchte 101 Kilogramm für die gleiche Distanz. In der aktuellen Effizienzformel ist Verbrauch gleich Leistung.
Kart-Überholmanöver besser
Hamilton sind die Schachzüge hinter den Kulissen egal. Er genoss ein Rennen, das für ihn mit einer ungewöhnlichen Startposition begann. 2009 war er schon einmal von Platz 18 auf Rang 3 vorgefahren. Seine 10 Überholmanöver wollte er jedoch keine Noten geben. „Ehrlich gesagt, ich bin auf keines besonders stolz. Höchstens das eine, außen rum in Kurve 1. Es ging nur darum, in den DRS-Bereich zu gelangen. Dann machst du den Flügel auf fliegst einfach vorbei. Mir sind Überholmanöver wie im Kart lieber, wo du deine Angriff planen und dich immer perfekt positionieren musst.“
Hamilton bezeichnete DRS als die Krücke einer fehlgeleiteten Entwicklung. „So toll diese Auto auf eine Runde sind, so schlecht sind sie für guten Rennsport. Du verlierst einfach zu viel Speed beim Hinterherfahren und brauchst im Durchschnitt ein Delta von 1,5 Sekunden in der Rundenzeit, wenn du überholen willst. Ohne DRS ginge es gar nicht. Dauernd musst du mit diesen Autos auf etwas Rücksicht nehmen, irgendetwas managen. Ich will ein Auto, mit dem ich jede Runde attackieren kann.“
Die Lobeshymnen auf Hamiltons Überholshow wurden später von Ferrari relativiert. Sebastian Vettel hatte in Malaysia und Mexiko ähnliche Aufholjagden gezeigt, warfen die Sieger ein. „Und das auf Rennstrecken, auf denen das Überholen schwieriger war als in Brasilien“, gab Teamchef Maurizio Arrivabene zu bedenken.