Ferrari macht Mercedes stark
Die siebte Hybrid-Saison der Formel 1 erinnert an die erste. Die Königsklasse ist wieder eine Motoren-Formel geworden. Wer Mercedes-Power hat, fährt vorne. Autos mit Ferrari-Motoren verhungern. Die PS-Unterschiede sind wieder eklatant.
Mit Einzug der Hybrid-Technologie änderte sich das Bild. Plötzlich war nicht mehr Aerodynamik Trumpf, sondern Motorleistung. Fast so wie in den 60er Jahren oder 20 Jahre später in der Turbo-Ära. 2014 bestimmte die Power die Reihenfolge. Mercedes war haushoch überlegen. Die Motorenfabrik in Brixworth hatte die Entwicklung der Antriebseinheit früher und konsequenter als die Konkurrenz betrieben.
Ferrari-Teamchef Mattia Binotto gibt im Rückblick zu: "Wir hatten 2014 über 80 PS weniger als Mercedes." Bei Renault sollen es 50 PS gewesen sein. Mercedes fuhr im ersten Hybridjahr alles an die Wand, gewann 16 von 19 Rennen. Davon profitierten auch die Kunden. Williams wurde Dritter in der WM, McLaren Fünfter und Force India Sechster.
In den Folgejahren robbten sich Ferrari und Renault schrittweise an den Klassenprimus heran. Nur Honda kam lange nicht aus den Schuhen. Spätestens ab 2017 bestimmte wieder die Aerodynamik die Rangordnung. Da mussten die Gegner erkennen, dass Mercedes inzwischen auch die besten Chassis baute. Oder mit seinem Konzept der geringen Fahrzeug-Anstellung richtig lag. Die Aerodynamik-Regularien spielen der Mercedes.Philosophie in die Karten, weil es immer schwieriger wird, ohne Strömungsabriss hinten hoch zu fahren.
Unterschiede von 50 PS
Ab 2018 drehte sich die Hierarchie auf dem Motorenmarkt. Plötzlich übernahm Ferrari beim Motor das Kommando. Wie wir heute vermuten müssen, mit nicht ganz regelkonformen Methoden. Laut Toto Wolff wurden die Ferrari.Motoren mit zeitweise bis zu 70 PS mehr gemessen. Renault und Honda hatten zu Mercedes aufgeschlossen. Renault-Einsatzleiter Remi Taffin verstieg sich zu der Aussage, dass die vier Motoren in der vergangenen Saison innerhalb von 20 PS lagen. Zumindest in den Momenten, in denen Ferrari legal unterwegs war.
Das hat sich in dieser Saison völlig auf den Kopf gestellt. Nach drei Rennen lässt sich bereits sagen, dass Mercedes mit seiner jüngsten Motorspezifikation haushoch überlegen ist und Ferrari ins Nirgendwo abrutschte. Renault und Honda hängen mittendrin. Die Franzosen haben ihr Triebwerk auf dem Stand von 2019 konsolidiert. Haltbarkeit hatte Vorrang. Honda hat Leistung gefunden und liegt jetzt mit Renault gleichauf. Etwas schlechter auf eine Runde, etwas besser über die Renndistanz. Mercedes begründet den gewaltigen Sprung über den Winter damit, dass Ferraris Leistungsexplosion in den letzten beiden Jahren im Ingenieursbüro in Brixworth neue Kräfte freigesetzt hatte. Zunächst musste Mercedes ja noch davon ausgehen, dass Maranello tatsächlich den Zauberstab gefunden hatte.
Wie groß die Leistungsunterschiede tatsächlich sind, ist nach drei Rennen noch schwer zu ermitteln. Für eine GPS-Analyse brauchen die Teams die Luftwiderstand.werte der Autos. Die beruhen zu Beginn einer Saison immer auf groben Annahmen. Je mehr Daten dazukommen, umso genauer lässt sich diese Größe bestimmen und damit auch der Anteil der Motorleistung am Topspeed und beim Beschleunigen berechnen. Red Bull glaubt, dass Mercedes auf den Power-Passagen vier Zehntel pro Runde gewinnt. Mercedes stuft diesen Anteil eher auf eineinhalb Zehntel ein. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Ersten Schätzungen zufolge hat Mercedes 25 PS mehr als Renault, 30 PS mehr als Honda und 50 PS mehr als Ferrari.
Mercedes in allen Power-Sektoren vorn
Wir können uns zum Beweis dieser These im Moment nur auf Rundenzeiten, Sektor-Bestwerte und Topspeeds aus Spielberg und Budapest berufen. In beiden Fällen haben wir den ersten Sektor im Qualifikations-Trim untersucht, weil dort der Power-Anteil jeweils am größten ist. Interessanterweise liefert der Hungaroring das ehrlichere Ergebnis. In Ungarn waren alle Autos mit maximalem Abtrieb unterwegs. Also gleiche Voraussetzungen. In der Qualifikation zum ersten Spielberg-Rennen gab es in der Herangehensweise der Teams doch erhebliche Unterschiede. Red Bull und Ferrari hatten ihre Autos auf viel Abtrieb getrimmt, Renault und McLaren auf weniger.
Beginnen wir mit den Rundenzeiten und beschränken wir uns allein auf die vier Motorenhersteller. Dabei gewinnen die drei Mercedes.Teams im Durchschnitt in Spielberg 0,62 Sekunden zum Vorjahr. In Budapest sind es 1,75 Sekunden. Bei Renault und Honda fällt der Fortschritt bescheidener aus. Die zwei Renault-Teams sind in Österreich im Mittel um 0,48 Sekunden schneller, in Ungarn um 0,85 Sekunden. Die Honda-Fraktion legt am Red Bull-Ring um 0,18 Sekunden zu, am Hungaroring um 0,45 Sekunden. Peinlich wird es für Ferrari. Die Rundenzeiten von Ferrari, Haas und Alfa Romeo sind im Mittel langsamer als 2019. In Spielberg um 0,87 Sekunden, in Budapest um 0,1 Sekunden. Das ist kein Zufall, sondern eine klare Aussage über den Beitrag des Motors zur Rundenzeit.
Eines wird beim Vergleich der Zahlen sofort klar. Wer einen Mercedes.Motor hat, ist beim Beschleunigen und im Volllastbereich im Vorteil. Auf eine Runde mehr als im Rennen. Das zeigt sich besonders bei Williams. Das Schlusslicht der letzten Jahre landete in Ungarn in der Sektor-Rangliste auf Platz 7 und profitierte von den beiden Geraden in diesem Abschnitt. Beim Topspeed liegt das Auto des britischen Traditionsrennstalls plötzlich im Mittelfeld. Letztes Jahr fuhr Williams auch auf den Geraden hinterher. Im Rennen schwindet dieser Vorteil, weil in den gemäßigteren Power-Stufen der Leistungsvorteil des Mercedes geringer ausfällt.
Renault und Honda auf einem Niveau
Mercedes und Racing Point streiten sich in den schnellen Passagen um die ersten beiden Plätze. Kein Wunder. Der Racing Point geht auch in den Kurven, was man von einem Auto, das in seinen Grundzügen der Silberpfeil des Vorjahres ist, auch erwarten sollte. Es ist gewissermaßen ein Mercedes W10 mit dem 2020er Motor. Mit anderen Worten: Wenn Williams noch 30 Punkte Abtrieb findet, fährt auch George Russell regelmäßig in die Punkteränge.
Die Abschnittsmessungen bestätigen auch die Einschätzung, dass Renault und Honda von der Motorleistung ungefähr auf einem Niveau liegen. Red Bull hält sich in den Power-Sektoren mit knappem Vorsprung auf die beiden Teams mit Renault-Motoren. Hier zeigt sich aber auch, welche Rolle die Aerodynamik-Spezifikation spielt. In Spielberg wählte Red Bull größere Flügel, damit das Auto für die Fahrer berechenbarer wird. Prompt sackte man im Topspeed ab auf Platz 8.
Am Hungaroring griff Red Bull in der Not auf das Aero-Paket der Wintertestfahrten zurück. Das produzierte weniger Abtrieb aber auch weniger Luftwiderstand. Und schon wurde der Red Bull auf der Zielgerade hinter Racing Point und Mercedes als das drittschnellste Auto gestoppt. Der McLaren war auf der Gerade um 5,3 km/h langsamer, lag in der Sektorzeit aber fast gleichauf. Ganz offensichtlich war McLaren mit mehr Anpressdruck unterwegs.
Die Misere der Ferrari.Teams
Wer zu wenig Abtrieb oder zu viel Luftwiderstand hat, kann seine Probleme irgendwie lösen. Ferrari, Haas und Alfa Romeo dagegen werden noch lange unter der Motorenmisere leiden müssen. Als Grund für die eklatanten Leistungseinbußen wird eine überstürzte Neukonstruktion der Verbrennungsmaschine gesehen. Erst im November 2019 zeichnete sich ab, dass die FIA die Durchflussmenge des Benzins strenger kontrollieren und andere Schlupflöcher mit einer Serie von Technischen Direktiven zumauern würde. Da blieb nicht mehr viel Zeit zum Reagieren.
Wie dramatisch das Leistungsdefizit von Ferrari ist, demonstrieren die Rangliste der Power relevanten Streckenabschnitte. Ferrari ist bei der Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich Letzter. Je später die Messstelle auf der Gerade liegt, umso schlimmer. Das spricht im Vergleich zu den Kundenteams zwar für mehr Abtrieb, aber auch für mehr Luftwiderstand. Diese Erkenntnis unterstreicht auch die Sektorzeit. Je mehr Kurven in dem entsprechenden Power-Sektor liegen, umso besser sieht es für Ferrari aus. In Budapest schaffte Ferrari im Sektor 1 mit drei Kurven immerhin die fünftschnellte Zeit. In Spielberg war man nur Achter. Da gibt es zu zwei Geraden nur eine Kurve.