McLaren holt auf Red Bull auf
McLaren liegt im Plan. Das Team hat sich im Vergleich zu 2019 noch einmal deutlich gesteigert. Der Rückstand auf Red Bull wurde verkürzt, der zu Ferrari egalisiert. Wir haben die Zahlen zum Kräfteverhältnis im Verfolgerfeld.
Im Augenblick ist McLaren noch Dritter in der Konstrukteurs-WM. Doch dieser Platz ist in Gefahr. Racing Point holt auf wie der Wirbelwind. Alle wissen warum. Dieses Auto ist eine gut gelungene Kopie des Weltmeister-Autos aus dem letzten Jahr. Das war so nicht auf der Rechnung.
Auch nicht bei McLaren. Kein anderes Team hat über den Winter einen so krassen Sprung gemacht wie Racing Point. Im Mittel über die Motorenstrecke von Spielberg und den Chassis-Kurs von Budapest gewann die Mercedes-Kopie 1,830 Sekunden. Da kann kein anderer mithalten.
McLaren-Teamchef Andreas Seidl ist trotzdem zufrieden. Dieser Racing Point nimmt eine Ausnahmestellung ein. So fällt auch das Fazit des gebürtigen Passauers nach drei Rennen positiv aus: "Wir sind auf Augenhöhe mit Ferrari und Renault. Mercedes fährt in einer anderen Welt. Zum Niveau von Red Bull und Racing Point fehlt uns noch etwas, aber wir sind im Vergleich zum letzten Jahr näher dran."
Wenn Seidl Racing Point sagt, meint er das Auto. Das ist der Mercedes W10 von 2019, der im letzten Jahr im Durchschnitt noch 1,388 Sekunden schneller war als der McLaren. Jetzt hat sich der Rückstand auf das pinke Mercedes-Plagiat im Mittel über zwei Rennstrecken auf nur noch 0,178 Sekunden reduziert.
Neuer McLaren klar schneller als Vorgänger
Den Fortschritt zeigt auch der interne Vergleich zwischen den beiden McLaren-Modellen MCL34 und MCL35. Am Red Bull-Ring war McLaren um 0,473 Sekunden schneller unterwegs als im Vorjahr, am Hungaroring um 0,834 Sekunden.
Die beiden Vergleichsstrecken sind ähnlich lang, aber von ihrer Charakteristik total verschieden. Der Kurs in Spielberg ist mit 78 Prozent Volllast eine Power-Strecke. In Budapest zählen mangels Geraden hauptsächlich Anpressdruck und eine gute Fahrbarkeit des Pakets.
In der Top-Speed-Tabelle ist McLaren ins Mittelfeld abgerutscht. Mehr Abtrieb bedeutet in der Regel auch ein bisschen mehr Luftwiderstand. Und Motorenpartner-Renault hat sich über den Winter auf Haltbarkeit konzentriert und keine Leistung hinzugewonnen. So konnten die Mercedes-Kunden auf den Geraden vorbeiziehen. Dafür haben die Ferrari-Teams an Boden verloren. Honda hat sich im Vergleich zu Renault leicht verbessert.
Die Steigerung bei McLaren macht sich vor allem in den Kurven bemerkbar. Seidl unterstreicht: "Wir konnten einige Schwachpunkte im Bereich langsamer und mittelschneller Kurven und bei der Stabilität des Autos am Kurveneingang abstellen."
Hier hilft ein Vergleich zu Red Bull, die 2019 noch klar vor den McLaren lagen. Grundlage sind die Rundenzeiten und Sektor-Bestwerte von Spielberg und Budapest (siehe Tabelle). Auf eine komplette Runde ist der Rückstand zu Red Bull in Spielberg um 0,511 Sekunden geschrumpft, am Hungaroring sogar um 1,111 Sekunden.
Auf die Sektoren verteilt holte McLaren in Österreich im Vergleich zu Red Bull auf den ersten beiden Abschnitten im Hundertstelbereich auf, im dritten dafür um 0,293 Sekunden. Da liegen die schnellen Kurven. Gleiches Bild in Ungarn. Moderater Zeitgewinn im ersten Sektor, deutlicher in den Passagen, die mit mittelschnellen bis schnellen Kurven gespickt sind.
So ist der Rückstand auf Red Bull geschrumpft:
Neue Kultur im Team
Der Fortschritt schlägt sich in 41 Punkten, einem Podium, fünf Top Ten-Platzierungen und zwei schnellsten Rennrunden nieder. Für Seidl der Beweis, dass die Richtung stimmt: "Ich bin happy mit den ersten drei Rennen, weil es eine Bestätigung für uns war, dass wir grundsätzlich richtig unterwegs sind. Die 41 Punkte und ein Podium sind jetzt die ersten Belohnungen für die Arbeit, die wir letztes Jahr als Team begonnen haben. Auch für die schwierige Phase in der Krise, die wir durchlebt haben, vor allem auf der finanziellen Seite."
Der MCL 35 ist das erste Auto, das unter der Leitung von James Key entstanden ist. "Es ist im Vergleich zu der guten Basis, die wir letztes Jahr hatten, ein klarer Schritt nach vorne. Natürlich haben wir im Vergleich zu Mercedes noch ein Riesen-Defizit, aber relativ zu allen anderen einen Fortschritt erzielt", freut sich Seidl.
Er sieht sich aber auch in zwei anderen Disziplinen auf einem guten Weg: "Auf der Produktionsseite haben wir mit Piers Thynne eine deutlich bessere Effizienz in der Produktion erreicht. Das sieht man am gesteigerten Output von Teilen, an den Zeitfenstern, in denen wir das schaffen. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir da auch die nächsten Schritte schaffen."
Auch die dritte Säule mit Andrea Stella als Renndirektor habe sich bewährt: "Die Zusammenarbeit zwischen Garage und der Technischen Planung, die Kommunikation zwischen Rennstrecke und Entwicklung zuhause hat sich gegenüber dem letzten Jahr nochmals deutlich verbessert, auch durch eine klare Verteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Wir sind bei weitem natürlich noch nicht zufrieden und noch nicht dort, wo wir sein wollen, aber wir sehen erste Ergebnisse und haben alle ein gemeinsames Ziel und Verständnis, wo die Defizite im Team und im Auto liegen. Das ist wichtig für den Teamspirit in der Mannschaft und ein zielgerichtetes Arbeiten."
Wenn Seidl von der neuen Kultur im Team erzählt, hört sich viel nach Mercedes an. "Fehler und Defizite werden offen und transparent angesprochen, ohne mit dem Finger aufeinander zu zeigen. Das ist die Voraussetzung, um Probleme gemeinsam anzugehen. Wir sehen das als Chance besser zu werden. Jeder im Team ist mit Spaß, Energie und Ehrgeiz dabei und das jeden Tag. Wenn ich das alles zusammen nehme, bin ich mehr überzeugt als je zuvor, die nächsten Schritte auch noch zu schaffen, um den Anschluss ganz nach oben zu schaffen."
Baustelle Boxenstopps
Noch ist nicht alles Gold, was glänzt. Bei den Boxenstopps ist McLaren noch nicht dort, wo man sein wollte. Carlos Sainz verlor beim zweiten Spielberg-Rennen eine Position durch einen missglückten Boxenstopp, und der Spanier war in Ungarn wie Sebastian Vettel Opfer eines unglücklichen Timings. Es dauerte 5,6 Sekunden, bis McLaren seinen Fahrer in den Verkehr in der Boxengasse einfädeln konnte.
Seidl meint selbstkritisch: "Von der Ausrüstung her befinden wir uns auf einem guten Stand. Wir hatten letztes Jahr schnelle Boxenstopps, aber uns fehlte die Sicherheit. Unser Equipment war nicht robust genug und dadurch hatten wir einige wirklich schlechte Boxenstopps. Die Ausrüstung dafür haben wir über den Winter entwickelt und auch zum Einsatz gebracht. Es funktioniert auch. Gleichzeitig aber haben wir bei den Boxenstopps selbst unseren Speed verloren. Und das hat uns schon Punkte gekostet. Das müssen wir angehen. Um nicht nur sicher zu sein, sondern den Speed wieder zu haben."
Dass McLaren nach nur drei Rennen schon fast ein Drittel aller Punkte des Vorjahres eingefahren hat, ist laut Seidl auch günstigen Umständen geschuldet. "In den ersten beiden Rennen haben wir sicher davon profitiert, dass einige unserer Gegner noch nicht die erwartete Leistung gebracht haben oder ausgefallen sind", räumt Seidl ein.
"Aber wir waren zur Stelle. Auch in der Qualifikation. Wir haben in Spielberg aus eigener Kraft super Startpositionen herausgefahren. Ungarn war dann mit den Startplätzen acht und neun mehr realistisch. Das sind ungefähr die Plätze, auf die wir leistungsmäßig hingehören. Mit den Upgrades, die wir für Silverstone und die Rennen darüber hinaus geplant haben, sind wir in einer guten Position, mit Renault und Ferrari zu kämpfen und an einem guten Tag, zumindest einen Racing Point und Red Bull schlagen zu können. Damit können wir auch wieder um Platz vier in der Meisterschaft kämpfen."
Auch mittelfristig ist McLaren gut aufgestellt. "Wir haben eine sehr gute Fahrerpaarung, und die wird mit Daniel Ricciardo sicher nicht schlechter. Dazu kommt der Mercedes-Motor im nächsten Jahr. Und die Verbesserungen in der Infrastruktur." Gemeint sind der Neubau des Windkanals und des Simulators, die sich wegen der Corona-Krise verzögert haben. Die Reglementänderungen und das reduzierte Kostenlimit sind weitere Faktoren, die McLaren in die Karten spielen.
Trotzdem warnt Seidl vor übertriebenen Erwartungen: "Wir müssen einfach auf der Zeitleiste realistisch bleiben. Abkürzen wird schwierig. Wir haben durch die Krise auch gewisse Verzögerungen beim Aufbau der Infrastruktur. Und das ist ein wichtiger Bestandteil. Der reduzierte Budgetdeckel gibt uns die Sicherheit, dass wir in Zukunft die Formel 1 finanziell nachhaltig betreiben können. Und damit sind wir auf einem Niveau mit den Top-Teams."