Kritik an Reifenwahl
Pirelli machte sich beim GP Russland keine Freunde. Die dritte Reifenoption war keine. Damit wurde Russland zum befürchteten Einstopp-Rennen. Bleibt die Frage: Warum handelt Pirelli so konservativ?
Sochi war schon in der Vergangenheit ein klassisches Einstopp-Rennen. Der Streckenbelag ist so glatt, dass sich die Reifen kaum abnutzen. Bei Pirellis Reifenangebot in diesem Jahr hätte man sogar ganz auf Boxenstopps verzichten können. Der Medium-Reifen hätte eine Renndistanz geschafft. Statt zum ersten Mal die weichste Mischung Ultrasoft einzusetzen, brachte Pirelli den Medium-Gummi nach Russland.
Die meisten Teams ließen die Finger davon. "Den kriegst du gar nicht auf Temperatur", klagten die Ingenieure. Nur Red Bull probierte es wegen der frühen Boxenstopps nach der Startkollision aus der Verzweiflung heraus. Und fiel grandios auf die Nase. Somit funktionierte auch der bislang so wunderbar funktionierende Spannungsbringer der dritten Reifenoption nicht. Die Teams beschränkten sich wie im Vorjahr auf die Mischungen Soft und Supersoft.
Weiche Reifen besser als ihr Ruf
Pirelli argumentierte damit, dass die Reifentypen für Sochi bereits vor der Saison festgelegt wurden. Da hatte man die Erfahrungen mit dem Ultrasoft von den Testfahrten von Barcelona noch nicht zur Hand. Andererseits ist der Ultrasoft-Reifen ein Ableger des Supersoft von 2014. Also nicht ganz unbekannt. Und dass Sochi nicht gerade der große Reifenfresser ist, wusste man auch.
Generell fällt auf, dass Pirelli oft seinen eigenen Reifen misstraut. Bei den ersten vier Rennen erwies sich der Supersoft als sehr guter Rennreifen. Die Fahrer waren in Australien, Bahrain und China länger damit unterwegs als gedacht. Pirelli könnte auf Rennstrecken, die man kennt, ruhig etwas mutiger sein. Es sind aber offenbar nicht nur Bedenken, die Reifen könnten zu schnell verschleißen, die Pirelli lieber konservativ taktieren lassen. Der italienische Reifenhersteller sieht es nicht gerne, wenn zu viel Reifengummi neben der Ideallinie liegt. Das sei nicht imagefördernd, heißt es.
Die Teams tricksen Pirelli aus
Pirelli nervte die Fahrer in Sochi erneut mit absurd hohen Vorgaben für den Luftdruck. Mit 23 PSI vorne und 19,5 PSI hinten werden die Reifen zum Ballon mit einer immer kleineren Kontaktfläche. Die Reifenbauer sehen sich dazu gezwungen, die Drücke immer weiter nach oben zu treiben, weil im Vergleich zum Vorjahr auf jeder Achse 100 Kilogramm mehr Anpressdruck die Reifen malträtiert. An der Vorderachse sind das historisch betrachtet die höchsten Abtriebswerte. Da Pirelli eine leichtere Karkasse hat als seine Vorgänger Bridgestone und Michelin, bleibt nichts anderes übrig, als mit hohem Luftdruck auf die ständig wachsenden Lasten zu antworten.
Ein weiterer Grund für die hohen Drücke liegt darin, dass die guten Teams inzwischen Tricks entwickelt haben, wie der Reifendruck im Fahrbetrieb nicht mehr so stark ansteigt. Früher lagen zwischen Start- und Arbeitsdruck bis zu 1,5 PSI. Jetzt sind es nur noch 0,2 PSI. Das Geheimnis liegt darin, in welchem Maß man die Bremsen dafür nutzt, um die Felgen und damit die Reifen aufzuheizen. Deshalb erhöhte Pirelli im Vergleich zu 2015 den Luftdruck der Vorderreifen in China um 4 PSI und in Russland um 1 PSI. Dazu ein interessanter Blick in die Vergangenheit. 2004 wurden die Autos in Shanghai vorne und hinten mit 15 PSI auf die Strecke geschickt. Das bedeutet einen Anstieg um bis zu 35 Prozent.