"Neue Autos fahrerisch schwieriger"

Sky-Reporter Martin Brundle hat den aktuellen Force India in Silverstone getestet. Sein Fazit ist überraschend. Die Autos sind langsamer und körperlich weniger anstrengend als früher, trotzdem aber schwieriger zu fahren. Weil das Gaspedal gestreichelt werden will.
Martin Brundle fuhr von 1984 bis 1996 insgesamt 158 Formel 1-Rennen. Für Tyrrell, Zakspeed, Williams, Brabham, Benetton, Ligier, McLaren und Jordan. Heute ist der 55-jährige Engländer Reporter für den englischen Bezahlsender Sky. Und einer der gefragtesten Experten der Szene. Auch, weil er noch regelmäßig von den Teams zu Tracktests mit aktuellen Autos eingeladen wird - wie kürzlich im Force India VJM08-Mercedes in Silverstone.
Brundle hat gute Vergleichswerte zu Autos aus anderen Epochen. Deshalb hat seine Aussage Gewicht. Die modernen Formel 1-Fahrer beklagen sich über den großen Geschwindigkeitsverlust zu früher. Vor allem in den Kurven. Hamilton, Vettel und Co wünschen sich Abtrieb ohne Ende, bis ihnen der Hals zur Seite wegknickt. Und das am liebsten jede Runde.
Brundle mit geteiltem Feedback
Brundle kann das verstehen. "Im Vergleich zu einem McLaren von 2008 mit seiner extremen Aerodynamik sind die Autos viel langsamer geworden. Es ist körperlich weniger anstrengend sie zu fahren. Und deshalb auch weniger befriedigend." Der Engländer lächelt: "Rennfahrer sind so gestrickt. Wir wollen immer ans Limit. Nur wenn du dich in den Kurven so richtig gegen die Reifen lehnen kannst und die Fliehkräfte spürst, macht es Spaß."
Trotzdem kommt der Sky-Experte zu einem überraschenden Schluss: "Wenn die Fahrer von heute behaupten, es sei einfacher zu fahren, sagen sie nicht die Wahrheit. Es ist schwieriger geworden. Weil so viel Drehmoment da ist. Du hast für den vorhandenen Grip immer zu viel Power zur Verfügung. Und du hast ständig das Gefühl, dass du Pferdestärken auf der Straße liegen lässt."
Wie einfach war das noch zu Zeiten von V8 oder V10 und Traktionskontrolle. "Du bist einfach aufs Gas gestiegen, sobald der Vorderreifen dir in der Kurve Grip gemeldet hat. Volle Kanne, ohne zu denken. Der Gaspedalweg mit Antischlupf-Regelung hat vielleicht 25 bis 30 Millimeter betragen. Später beim V8 ohne Traktionskontrolle 30 bis 45 Millimeter."
Unglaublich viel Arbeit im Cockpit
Und jetzt mit den V6-Turbos und zwei Elektromotoren? "Die haben 60 bis 75 Millimeter Gaspedalweg. Du musst das Gaspedal streicheln, die Kraft genau dosieren. Das schiebt richtig an. Ich kann jetzt viel besser die vielen Dreher in der ersten Runde aus der Box raus verstehen. Ein bisschen zu viel am Gas und vielleicht noch kalte Reifen, und schon geht die Post ab." Brundle hat es selbst erlebt. Er rutschte mit dem Force India in Brooklands Corner in die Absperrungen.
Die Erklärung klingt wie eine Ausrede, zeigt aber wie diffizil die Technik heute geworden ist. "Als Rennfahrer hast du ja viele Entschuldigungen parat, wenn du dich drehst", grinst Brundle. "Aber die wäre nicht mal mir eingefallen: Das Auto war am Frontflügel und am Heckflügel mit GoPro-Kameras bestückt. Vorne genau dort, wo die Y-250-Wirbel generiert werden. Was natürlich die ganze Anströmung nach hinten zerstört hat. Und die Kamera hinten hat die Heckflügelwirkung reduziert. Die Ingenieure haben mir hinterher gesagt, dass sie sich über meinen Ausritt nicht wundern. Bei so viel weniger Abtrieb."
Nicht nur das Beschleunigen ist ein Ritt auf der Kanonenkugel. Auch die Einstellungen am Lenkrad rauben dem Fahrer Konzentration. "Unglaublich, was du alles verstellen kannst. Motor, Bremse, Differential. Wie viel du im Cockpit arbeiten musst. Und dass du wirklich alles sofort spürst. Zwei Klicks beim Brake-by-wire, und das Ding bremst ganz anders. Die Jungs heute müssen wirklich viel leisten. In einer Quali-Runde in jeder Kurve. Und deshalb können die sehr guten Fahrer sich immer noch von den guten absetzen. Weil sie nur 70 Prozent ihrer geistigen Kapazität dafür brauchen, am Limit zu fahren. Die guten investieren dafür 75 Prozent."
In unserer Galerie haben wir einige Impressionen der ungewöhnlichen Ausfahrt.