Schuss könnte nach hinten losgehen
Die FIA will den Qualifikationsmodus verbieten und 2021 noch einmal den Abtrieb zum Schutz der Pirelli-Reifen reduzieren. Beide Maßnahmen kommen überraschend und lassen den Schluss zu, dass die WM spannend gemacht werden soll. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen.
Diese Post kam selbst für die Teams überraschend. Die FIA drohte den Motorenherstellern an, möglicherweise schon ab dem GP Belgien den Qualifikationsmodus zu verbieten. Außerdem soll 2021 der Abtrieb zusätzlich verringert werden, um die Pirelli-Reifen zu schützen. Der Einschnitt am Unterboden reicht den Regelhütern offenbar nicht aus. Sie planen auch noch die Heckflügel zu verkleinern.
Beide Maßnahmen kommen aus heiterem Himmel. Die Beschränkung auf eine Motoreinstellung für Qualifikation und Rennen wird damit begründet, dass es immer schwieriger werde zu überprüfen, ob die Antriebseinheiten regelkonform betrieben werden. Der Fall Ferrari war der FIA eine Warnung. Die FIA kam erst hinter die Tricksereien, als ein Mitbewerber Informationen über den mutmaßlichen Betrug lieferte. Auch jetzt gibt es offenbar wieder Zweifel an mindestens einer der vier Antriebseinheiten.
Die FIA hat die Motorhersteller dazu aufgefordert, bis zum 21. August detaillierte Informationen über die ERS-Architektur, sowie Zeichnungen und dreidimensionale CAD-Ansichten aller Hilfsstromkreise, die nicht zum Hochspannung-Kreislauf gehören, bereitzustellen. Bei Zweifeln würden physische Checks am Auto durchgeführt. Das plötzliche Misstrauen lässt nur zwei Schlüsse zu. Entweder gibt es einen Verdacht, oder die FIA tappt tatsächlich im Dunkeln. Das wäre die Quittung für viel zu komplizierte Antriebseinheiten. Wenn man im siebten Jahr der Hybrid-Ära immer noch nicht durchblickt oder Betrügereien machtlos gegenüber steht, dann ist das ein Offenbarungseid.
Ferrari, Renault und Honda jubeln
Eigentlich hätte diese Erkenntnis schon im Winter reifen können. Der Fall Ferrari sollte der FIA gezeigt haben, wie groß das Feld möglicher Tricksereien ist und wie schwer es ist, einem Betrug auf die Spur zu kommen. Wenn der Verband über den Winter die Regeln ändert, darf man sich nicht beschweren. Mitten in der Saison bekommt das einen schalen Beigeschmack. Soll da der Klassenbeste eingebremst werden? Die Überlegenheit der Mercedes ist schlecht für das Geschäft, und es ist zu befürchten, dass sie bis Ende 2021 andauert. Ein Teil der Vormachtstellung kommt vom Motor.
Ferrari, Honda und Renault jubeln bereits heimlich. Aus dem Ferrari-Lager war zu hören: "Wir haben gar keinen Qualifikationsmodus." Wer glaubt, dass mit dem Verbot des Party-Modus alle Ungleichheiten beseitigt sind, könnte sich täuschen. Wenn eine Motoreinstellung von Samstag bis Sonntag Vorschrift ist, dann wird das irgendein Modus zwischen der Qualifikation und dem Sparprogramm sein. Sicher nicht die zweithöchste Power-Stufe. Wer über den besten Party-Modus verfügt, hat auch in den nächsten Stufen darunter einen Vorteil. Weil der Verzicht auf den Qualifikationsmodus dem Motor mehr Leben verschafft. Der Schuss kann auch in Bezug auf die Qualität der Rennen nach hinten losgehen. Er könnte weniger Überholmanöver bedeuten, weil die Fahrer dann kurzfristig nicht mehr Power aktivieren können.
Pirelli wusste nichts
Die weitere Abrüstung der Aerodynamik hat selbst Pirelli kalt erwischt. Sportchef Mario Isola beteuerte: "Ich habe davon erst durch die Teams erfahren. Aber wir begrüßen den Schritt. Weil wir sonst vermutlich gezwungen wären, die Luftdrücke zu erhöhen." Entweder der Anstoß kam von einer anderen Seite, oder der Verband hat selbst gehandelt. Auch die zusätzliche Abrüstung der Aerodynamik könnte dahingehend gedeutet werden, den WM-Spitzenreiter einzubremsen. Der Mercedes produziert klar den meisten Anpressdruck. Deshalb strapaziert er auf kritischen Strecken auch die Reifen am meisten.
Es ist verwunderlich, dass die FIA eine Korrektur anbringt, bevor man überhaupt weiß, wie sich die Einschränkungen des Unterbodens auswirken. Nach Aussage der meisten Ingenieure geht damit signifikant Abtrieb im Heck verloren. Das sollte eigentlich reichen, die Pirelli-Reifen am Leben zu halten. Das Problem entsteht ohnehin nur auf wenigen Strecken. Und da wird Mercedes über das Reifenmanagement mehr eingebremst als über einen kleineren Heckflügel. Die heiklen Pirelli-Reifen sorgen wenigstens hin und wieder für ein Überraschungsmoment.
Motormodus als Verhandlungsmasse?
Seltsam ist, dass die Eingriffe in Motor und Aerodynamik auch noch mit der Token.Problematik verknüpft werden. Eine Abstimmung soll klären, ob Racing Point Token nehmen muss, wenn sie das Getriebe und die Aufhängungen den 2020er Mercedes einkaufen. Aktuell bekäme Racing Point die Komponenten quasi gratis, hätte danach noch zwei Token auf der Homologationsliste frei. Die meisten anderen Teams betrachten das als einen unfairen Vorteil. Racing Point bedauert, dass man auf die Lieferung von Mercedes angewiesen sei. "Sollen sie weiter mit dem Getriebe und den Aufhängungen von 2019 fahren. Dann brauchen sie keine Token. Das müssen wir ja auch", hält HaasTeamchef Guenther Steiner Racing Point vor.
Der Racing Point-Sonderfall war Teil des Sparpakets, das die FIA in der Corona-Pause durchgedrückt hat. Deshalb haben viele Teams bei der Abstimmung ein Auge zugedrückt und erst später gemerkt, welche Konsequenzen das hat. Jetzt braucht es Einstimmigkeit, um das zu ändern. Die ist eigentlich nicht möglich, weil Mercedes und Racing Point immer dagegen stimmen würden. Es sei denn, die FIA bietet Verhandlungsmasse an. Den Aufschub der Beschränkung auf einen Motormodus bis 2021 zum Beispiel.