Verstappens einfacher Sieg

Max Verstappen spazierte zum zweiten Saisonsieg. Mercedes war auf seiner Paradestrecke ein Schatten seiner selbst. Red Bull wittert Morgenluft. Der Rennstall aus Milton Keynes hofft, dass das Saisonfinale eine Trendwende für 2021 eingeleitet hat.
Die halbe Miete erfüllte Max Verstappen bereits am Samstag. Seine Pole-Runde brachte ihn in eine perfekte Ausgangsposition. In Abu Dhabi kann man unter gleichwertigen Autos praktisch nicht Überholen. Selbst nicht mit DRS. Die Kurvenfolgen vor den langen Geraden im Mittelsektor sind prädestiniert für den Vordermann, um sich weit genug davon zu stehlen. Im letzten Abschnitt ist das Hinterherfahren wegen der nach außen hängenden Kurven doppelt schwer.
Doch an diesem letzten Rennsonntag von Abu Dhabi waren der Red Bull und der Mercedes keine gleichwertigen Gegner. Verstappen hängte die erfolgsverwöhnten Silberpfeile ab. Im Ziel trennten den 23-Jährigen von seinem ersten Verfolger Valtteri Bottas 15,976 Sekunden. Das ist ein Klassenunterschied bei 55 Runden. Man könnte auch sagen: Red Bull verprügelte den Erzrivalen.
Sieg auf einer Mercedes.Strecke
Und das auf einer Strecke, die in den letzten sechs Jahren fest in Mercedes.Hand war. "Wir haben Mercedes auf einer ihrer Paradestrecken anständig und ehrlich geschlagen", freute sich Red Bulls Teamchef Christian Horner. Es brauchte nicht wie in Silverstone beim bis dahin einzigen Saisonsieg die Zuhilfe der Pirelli-Reifen. Da brauchte es schon weiche Reifen und die Angst von Mercedes, dass die Reifen wie im ersten Silverstone-Lauf platzen würden, um Red Bull auf die oberste Stufe des Treppchens zu helfen.
Eigentlich musste Verstappen nur noch den Start gewinnen. Er tat es. Von da an waren die Mercedes in der Defensive und alle Karten in der Hand von Red Bull. Das frühe Safety Car machte die Strategie einfach. 13 der 20 Piloten nutzten es, um die Startreifen abzulegen. Die Mercedes folgten Verstappen in die Box. Es kam nur ein Reifen infrage. Nur der harte Reifen garantierte, es tatsächlich über die Restdistanz von 45 Runden bis ins Ziel zu schaffen.
Nach dem einzigen Reifenwechsel entwickelte sich ein langweiliges Rennen. Verstappen war haushoch überlegen. Der WM-Dritte spielte mit der Konkurrenz in seinem Rücken. Während Valtteri Bottas und Lewis Hamilton mit ihren Autos haderten, sie Untersteuern bemängelten, war Verstappen mit dem Fahrverhalten seines RB16 zufrieden. "Das Auto hatte eine sehr gute Balance. Ich konnte nach den Reifen schauen. Wenn du ein Rennen von vorne kontrollieren kannst, ist es immer einfacher."
Zur Halbzeit zweifelte der spätere Sieger zwar daran, auf dem harten Reifensatz ohne weiteren Boxenstopp bis ins Ziel zu kommen. Doch diese Bedenken hatten auch die Mercedes.Fahrer. Mit dem Unterschied, dass sich Verstappen an der Spitze das Rennen und die Reifen einteilen konnte. Und dass er im schnelleren Auto saß. Runde für Runde baute der Niederländer seinen Vorsprung aus. Auch Vibrationen gegen Ende bremsten ihn nicht ein. Red Bull war so überlegen, dass sein Starfahrer den Ingenieuren am Funk sogar zu hören gab: "Wir können die Motorleistung runterdrehen."
Albons stärkstes Rennen
Red Bulls Führungsspitze genoss den späten Triumph über den Erzrivalen. Über die Saison hinweg war man Mercedes durch zahlreiche Upgrades zwar immer näher gekommen. Trotzdem strich Mercedes 15 Pole Positions und 13 Rennsiege ein. "Besser hätten wir das Jahr nicht abschließen können", sprach Helmut Marko in die TV-Mikrofone von Sky.
"Wir hatten das Gefühl schon vergessen, wie einfach es ist, ein Rennen von der Spitze weg zu fahren. Du kannst dir die Reifen einteilen, dein Tempo fahren, die Gegner beobachten. Wir mussten nur sicherstellen, genug Abstand nach hinten zu schaffen bei einem VSC oder einem Safety Car."
Red Bull konnte dieses Mal auch auf seine Nummer zwei zählen. Alexander Albon blieb immer in Schlagdistanz zu den Mercedes. Und verhinderte so, dass die Weltmeister mit einem zweiten Reifenwechsel vielleicht Unruhe in das System bringen können. "Das war sein stärkstes Rennwochenende", applaudierte der Teamchef. Ob es reicht, um das Cockpit gegen Sergio Perez oder Nico Hülkenberg zu verteidigen?
"Wir haben jetzt alle Daten zusammen, die wir brauchen. Jetzt analysieren wir die Saison. Vor Weihnachten werden wir eine Entscheidung treffen und bekanntgeben." Hülkenberg hat maximal Außenseiterchancen. Weil er im Gegensatz zu Albon und Perez nur drei Grand Prix fuhr. Es spricht alles für ein Duell zwischen dem Thailänder und dem Mexikaner.
60 Prozent werden übernommen
Für die Zuschauer mag der Sieg auf einer Mercedes.Strecke überraschend gekommen sein. Für die Teamverantwortlichen war er es nicht. "Wir waren schon im zweiten Bahrain-Rennen stark. Da haben wir die Pole nur um ein paar Tausendstel verpassen. Wir glauben, dass wir das Rennen gewonnen hätten. Leider hat uns der Leclerc in der vierten Kurve rausgekegelt."
Dieser Sieg soll eine Trendwende eingeleitet haben, wenn es nach Red Bull geht. "Das war ein Zeichen für 2021. Wir müssen dann von Anfang an auf dem Niveau von Mercedes operieren. Beim Chassis und beim Motor", fordert Marko. Das ist in keinem der letzten Jahre gelungen. Da war Red Bull zum Saisonstart immer hinterher und kam erst im Schlussspurt auf Augenhöhe mit dem Klassenprimus.
Verstappen spricht von positiven Gefühlen, die man nach dem zweiten Saisonsieg in die kurze Winterpause nimmt. Es sind nur 96 Tage bis zum geplanten Saisonstart in Melbourne. Der Pilot treibt seine Mannschaft an. Im nächsten Jahr soll Red Bull nicht wie in den letzten Jahren geschehen, hinterherlaufen, sondern den Mercedes von Anfang Paroli bieten. "Dafür brauchen wir ein stark verbessertes Auto und einen besseren Motor", sagt Verstappen. Motorenpartner Honda gibt für seine letzte Saison noch einmal Vollgas. "Sie melden uns sehr, sehr ermutigende Zahlen von den Prüfstandsläufen", sagt Sportchef Marko.
Das Duell der Spitzenteams auf der Rennstrecke ist auch ein Zweikampf in den Entwicklungsabteilungen – mit unterschiedlichen Ansätzen. Während Mercedes früh die Entwicklung am aktuellen Auto einstellte, gab Red Bull bis zum Saisonende Vollgas. Horner rechtfertigt es, dass 60 Prozent des Autos aufgrund der Homologations-Richtlinien übernommen werden. "Was wir 2020 gelernt haben, hilft uns auch 2021."
Die neuen Unterboden-Regeln könnten Red Bull mit seinem Konzept der hohen Anstellung entgegen kommen. Während Horner sich nicht in die Karten schauen lassen will, frohlockt der Doktor aus Graz. "Bei der Entwicklung des Unterbodens sind wir auf einem guten Weg."