„Ich habe damals auch kopiert“
Der Streit um die Mercedes-Kopie von Racing Point bestimmte in den letzten Wochen die Schlagzeilen. Formel-1-Sportchef Ross Brawn hat nun das Vorgehen des kleinen Teams aus Silverstone verteidigt und die Konkurrenz attackiert.
Racing Point steht aktuell von allen Seiten unter Dauerbeschuss. Seitdem der rosafarbene Mercedes-Ableger plötzlich um Podiumsplätze kämpft, herrscht bei den anderen Mittelfeld-Teams Alarmstimmung. McLaren-Teamchef Andreas Seidl stellte kritisch die Frage in den Raum: "Wir müssen uns überlegen: Wollen wir wirklich eine Kopier-Weltmeisterschaft haben?"
Während die meisten Mitbewerber das Vorgehen zähneknirschend akzeptierten, ging Renault noch einen Schritt weiter. Das französische Werksteam legte offiziell bei der FIA Protest ein, weil man den Verdacht hegt, dass sich Racing Point bei der Kopie verbotener Hilfe bedient hat. Nun müssen die Experten des Weltverbands den Streit beilegen.
Für das Image der Formel 1 sind solche Auseinandersetzungen eher suboptimal. Die Königsklasse versucht sich gerade aus der Corona-Krise zu befreien. Da sollte das Produkt ein einheitliches Bild abgeben. Entsprechend sieht man das Vorgehen der Konkurrenz in der F1-Zentrale kritisch.
Brawn springt Racing Point zur Seite
Sportchef Ross Brawn appellierte deshalb an die Racing-Point-Gegner, die Attacken einzustellen: "In meinen Augen gehört das Kopieren in der Formel 1 zum Tagesgeschäft. Jedes Team hat seine Fotografen in der Boxengasse, die von jedem Auto tausende Bilder machen, um dann die besten Ideen zu kopieren."
Brawn gibt zu, dass er zu seinen aktiven Zeiten als Ingenieur den eigenen Fotografen ganze Listen mitgegeben hat, auf denen einzelne Bauteile von unterschiedlichen Autos standen. Die Vorgehensweise von Racing Point sei somit legitim: "Sie haben Kopieren einfach auf das nächste Level gehoben und eine gründlichere Arbeit erledigt", so Brawn.
Der ehemalige Mercedes-Teamchef forderte die anderen Teams auf, sich an die eigene Nase zu fassen: "Es gibt im Fahrerlager nicht ein einziges Team, dass nicht von anderen kopiert. Wenn ich jeden Technikchef bitten würde, die Hand zu heben, wenn er noch nie was kopiert hat, dann würde ich nicht viele Hände sehen. Ich habe damals natürlich auch andere kopiert."
FIA vor schwierigem Problem
Da die Bremshutzen letztes Jahr noch nicht auf der Liste mit Teilen stand, die alle Teams selbst konstruieren musste, hätte sich Racing Point theoretisch ganz legal Zugang zu den Elementen von Mercedes verschaffen können. "Was sie dabei gelernt haben, kann man ja nicht einfach vergessen", gibt Brawn zu Bedenken. "Sie können ihre Erinnerung nicht auslöschen. Dieses Problem wird für die FIA-Experten schwierig zu lösen sein."
FIA-Technikdirektor Nikolas Tombazis erklärte am Rande des Grand Prix von Ungarn bereits, dass man ein erstes Urteil schon bis zum kommenden Rennen in Silverstone erwartet. Weil es sich um eine Grundsatzentscheidung handelt, bestehe aber die Gefahr, dass die unterlegene Partei in Berufung geht. Damit würde sich der Prozess noch einmal um ein paar Wochen verlängern.