Schmidts F1-Blog
War 2016 ein gutes Jahr für die Formel 1? Es hätte besser sein können, meint Michael Schmidt. Das WM-Duell bis zum Finale, der unglaubliche Max Verstappen und die Rebellen von Force India haben uns mit den vielen Schwachpunkten versöhnt.
Es war die längste Formel 1-Saison aller Zeiten. Am Ende des Jahres darf man sich fragen: War sie auch eine gute? Sind wir ehrlich: Sie hätte besser sein können. Geben wir ihr das Prädikat „ ordentlich“. Dass Mercedes auch im dritten Jahr der Hybrid-Ära keiner das Wasser reichen konnte, der Vorsprung der Silberpfeile eher größer als kleiner wurde, war eine herbe Enttäuschung. So wie die Vorstellung von Ferrari. Oder die vielen Regeländerungen, die fast alle wieder eingesammelt wurden.
Force India hält großen Teams den Spiegel vor
Es gab auch Lichtblicke. Zum Beispiel, dass der WM-Kampf zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg bis ins letzte Rennen getragen wurde und dort in einem echten Showdown endete. Hamilton machte es künstlich spannend. Egal, wir sind über jede Abwechslung froh. Auch dieser Max Verstappen hat der Formel 1 gut getan. Wieder so ein Ausnahmerennfahrer, der vor nichts und niemandem Angst hat, sich nicht verbiegen lässt und auf der Strecke so aggressiv unterwegs ist, dass die Kollegen extra wegen ihm neue Überholregeln forderten.
Schließlich noch Force India. Warum? Weil dieses Team mit einem Budget von 90 Millionen Euro allen anderen einen Spiegel vorhält. Vor allem den Topteams, die drei Mal so viel Geld ausgeben und auch nicht viel besser sind. Was uns eines zeigt: Wenn jeder nur so viel Geld hätte wie Force India, wäre der Sport um vieles besser und gesünder. Kein Mensch hat etwas davon, wenn für den WM-Titel 1.400 Menschen arbeiten müssen.
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Ist Rosberg ein verdienter Weltmeister?
Jetzt aber der Reihe nach. Wir fragen uns jetzt einmal das, was man so fragt, wenn um diese Zeit des Jahres Bilanz gezogen wird. Fangen wir an. Haben die 21 Rennen eine gute Show geboten? Echte Knüller waren nur Australien, Monaco, Spanien, Österreich, Malaysia, Brasilien und Abu Dhabi. Zwei davon fanden im Regen statt. Bei zwei weiteren waren die Mercedes aus dem Rennen oder geschwächt. Trotzdem eine ordentliche Bilanz.
In der so oft zitierten goldenen Zeit zwischen 2000 bis 2008 haben wir die Krimis mit der Lupe gesucht. Was uns aber immer noch nervt ist die Vorhersehbarkeit. Vorne fahren zwei Mercedes. Dann Red Bull gegen Ferrari. Dann Force India gegen Williams. Die größte Überraschung der Saison war der Motorplatzer von Hamilton. Man wundert sich, dass es so etwas heute noch gibt.
Ist Nico Rosberg ein verdienter Weltmeister? Natürlich. Weil es keine unverdienten gibt. Weltmeister ist nicht der Fahrer, der die meisten Rennen gewinnt, sondern der mit den meisten Punkten. Ist es gut, dass er zurückgetreten ist? Irgendwie ja. Dadurch gewinnt Rosberg an Profil. Das muss man sich erst einmal trauen. So wird man sich lange an diesen Titel erinnern. Hamilton ist einfach zu spät aufgewacht. Er hat erst nach der Niederlage in Singapur kapiert, dass er gegen einen anderen Rosberg fährt als zuvor. Den besten Rosberg, den es je gab.
Verstappen ist der Fahrer des Jahres
Wer ist der Fahrer des Jahres? Ganz klar Max Verstappen. 2015 zeigte der Holländer, dass er Formel 1-Reife hat. 2016, dass er einmal Weltmeister wird. Er hat dieses Kannibalen-Gen, dass die Außergewöhnlichen von den Guten trennt. Die ganze Welt kann sich gegen ihn verschwören. Es macht ihm nichts aus. Er sagt ja selbst, dass er nicht dazu da sei, sich Freunde im Kollegenkreis zu machen oder um einen vierten Platz zu fahren. Das ist die Arroganz der Champions.
Wer hat am meisten enttäuscht? Eindeutig Ferrari. Sie waren angetreten, Erster zu werden und wurden Dritter. Red Bull hat Ferrari rechts und links überholt. Mit dem besseren Auto, einem wiedererstarkten Renault-Motor, einem gefestigten Team, neuem Mut und weniger Selbstmitleid und zwei exzellenten Fahrern. Ferrari wirkte zuletzt wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen, der vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, in sich erstarrt.
Seit Jahren liefert das Designbüro keine eigenen Ideen mehr, kopiert bei der Konkurrenz, versteht die Reifen nicht und macht Fehler bei der Strategie. Offenbar war das Konzept des SF16-H schon beim Saisonstart ausgereizt. Ein Phänomen, das Ferrari seit acht Jahren begleitet. Sebastian Vettel ist hart gelandet. Ihm dämmert, dass die Krise bei Ferrari nicht über Nacht lösbar ist, weil sie tief in den Wurzeln sitzt, und weil er anders als Michael Schumacher keine Verbündeten in Maranello sitzen hat. Damit rückt der schöne Plan, Ferrari wie einst das Idol zum WM-Titel zu führen, in weite Ferne.
Die billigsten WM-Punkte
Was ist die erfrischendste Story? Der Titel „Best of the Rest“ ging an Force India. Der zweitärmste Rennstall im Feld setzte sich gegen Williams, McLaren, Toro Rosso und HaasF1 durch. Kein Team gibt so wenig Geld für WM-Punkte aus wie Force India. Keines muss so oft bei Bernie Ecclestone um einen Vorschuss und bei Motorenpartner Mercedes für einen Zahlungsaufschub betteln gehen. Nur wenige haben bei der Fahrzeugentwicklung eine vergleichbare Treffsicherheit, bei der Reifenbehandlung so viel Expertise. „Der erste Schuss muss sitzen. Für den zweiten fehlt uns das Geld“, erklärt Technikchef Andy Green.
Wer war der beste Newcomer? Nein, diesmal kein Fahrer. Es ist der HaasF1-Rennstall. Viele gestandene Formel 1-Teams würden das anzweifeln, weil der HaasF1 ein verkappter Ferrari war, bei dem nur Chassis, Aerodynamik und Kühler aus eigener Feder stammen. Leute, was wollt ihr? Die Kritiker haben in ihrer Borniertheit, immer noch mehr Geld auszugeben, den Sport technisch immer noch weiter vom Rest der Motorsport-Welt zu entfernen, doch genau dafür gesorgt, dass man nur noch so einsteigen kann wie der US-Rennstall. Bei einem Start von der grünen Wiese würde heute selbst ein Hersteller scheitern. HaasF1-Teamchef Guenther Steiner hat das kapiert, das Reglement genau gelesen und das gemacht, was die Regeln hergeben.
Regenrennen sind nicht mehr tragbar
Was war das größte Wunder? Auf der Rennstrecke, dass Kimi Räikkönen beim GP Brasilien nach seinem Dreher von keinem getroffen wurde. Esteban Ocon hat mit seinem Ausweichmanöver Räikkönen das Leben gerettet und seines gleich mit. Da hätte auch kein Halo geholfen. Gegen einen Frontalzusammenstoß bei 300 km/h, wäre Fernando Alonsos Unfall in Melbourne ein harmloser Ausrutscher gewesen. Hinter den Kulissen war es die Rettung von Sauber. Ein schwedischer Weltkonzern kauft sich ein Schweizer Team. Gut, dass es noch Leute mit Geld gibt, die echte Fans sind. Wir tun dem Herrn, um den es geht, den Gefallen seinen Namen nicht zu nennen. Er will es nicht und hat es auch verdient.
Das Rennen in Brasilien bringt uns gleich zu der erschreckendsten Erkenntnis des Jahres. Auf bestimmten Rennstrecken sind Regenrennen unverantwortlich gefährlich und damit nicht mehr tragbar. Wer einen Halo fordert, darf in Interlagos erst gar nicht an den Start gehen. Es ist traurig, aber war. Die Autos sind so hochgezüchtet, dass man sie auf nasser Strecke nicht mehr fahren kann. Ob am Ende die Regenreifen daran schuld sind, spielt keine Rolle. Vielleicht kann man gar keine Reifen bauen, die bei 310 km/h auf der Geraden genug Wasser verdrängen?
Was kommt als nächstes: Ein Rennen in zwei Teilen?
Das größte Ärgernis? Sinnlose Regeländerungen, die nicht mal eine Saison überstehen. Ich will das neue Qualifikationsformat, das nach zwei Rennen beerdigt wurde, nicht kritisieren. Auch nicht das Verbot, den Fahrer über Funk Instruktionen zu geben. Beides hat in der Theorie Sinn gemacht. Es passte nur nicht in unsere perfekte Formel 1-Welt. Der Quali-Modus scheiterte an den kurzlebigen Pirelli-Reifen. Das Funkverbot an einer Technik, die so kompliziert ist, dass es ohne Fahrhilfen nicht mehr geht. Als Lektion daraus hätte man sich eigentlich fragen sollen, ob der Sport nicht zu seiner Basis zurückkehren sollte. Stattdessen dreht sich das Rad immer weiter. Wir werden auch im nächsten Jahr wieder neue Regeln erleben mit dem einzigen Ziel, die Show künstlich zu verbessern. Ich tippe in naher Zukunft auf ein Rennen in zwei Teilen oder eine in Teilen umgekehrte Startaufstellung.
Was war die spannendste technische Neuentwicklung? Eine echten Coup gab es nicht, und wenn, dann blieb er unsichtbar. So wie das Mercedes-Fahrwerk mit einer hydraulisch gesteuerten Roll- und Bodenfreiheitskontrolle. Der Rest war Detailentwicklung, wie die gezackten Leitbleche vor den Seitenkästen von Mercedes oder der Highspeed-Heckflügel in Wellenform von HaasF1.
Wie wird die Formel 1 ohne Bernie?
Wen werden wir vermissen? Felipe Massa wahrscheinlich nicht. Ich fürchte, der Brasilianer wird weich und geht auf das Angebot von Williams ein, noch ein Jahr dranzuhängen. Jenson Button ja, denn ich glaube es war ein Rücktritt ohne Rückfahrt-Ticket. Herbie Blash als guten Geist im Team der Rennleitung. Ron Dennis? Eher nicht, trotz seines Lebenswerkes. Es war Zeit für einen Generationswechsel bei McLaren.
Und Bernie Ecclestone? Es könnte passieren, dass wir das Gesicht der Formel 1 im nächsten Jahr nicht mehr sehen. Viele haben über ihn geschimpft, und einige stehen jetzt schon in den Startlöchern, seinen Job zu übernehmen. Ich wette: Keiner wird wie Bernie sein. Wer auch immer seinen Job macht, man wird in 20, 30 oder 40 Jahren kaum ein Wort verlieren, wenn er geht. Wenn er es überhaupt so lange aushält.
Ich habe mir noch keine Meinung darüber gemacht, ob der Verkauf an Liberty Media eine gute Sache war. Einige Pläne wie die Einführung einer Budgetdeckelung hören sich vernünftig an. Andere wie die Aufstockung der Zahl der Rennen nicht. Wir brauchen nicht mehr Rennen, sondern bessere.