Sicherheitsdiskussion nach Bianchi-Unfall

Die Verwirrung um die Grüne Flagge beim Horror-Unfall von Jules Bianchi während des GP in Japan hat sich gelegt. Jetzt debattieren Experten der Formel 1 über die Sicherheit der Fahrer. Sind die Piloten in ihren Cockpits genügend geschützt? Brauchen die F1-Autos einen Überrollkäfig oder eine transparente Schutzkanzel? Das sagen Fachleute.
Nach und nach wird das Bild über den Hergang des Horror-Unfalls von Jules Bianchi beim GP von Japan in Suzuka klarer. Ein Zuschauervideo, das bei Youtube aufgetaucht ist, zeigt, dass der Marussia-Fahrer bei hohem Tempo in einen Bergekran mit der linken Fahrzeugseite gekracht war. Nicht aber, wie ursprünglich angenommen rückwärts-seitlich, sondern in Vorwärtsrichtung.
Bei dem Crash wurde die komplette linke Fahrzeugseite schwer beschädigt, außerdem riss der Überrollbügel und zahlreiche Carbonteile splitterten vom F1-Renner. Jules Bianchi (zum Fahrerportrait) zog sich schwere Kopfverletzungen zu und liegt nach einer Not-Operation in einem Krankenhaus der Provinz Mie. "Bianchi ist in ernstem, aber stabilem Zustand. Das ist alles, was ich sagen kann, und das tue ich im Namen von Jules’ Eltern", erklärte FIA-Pressesprecher Matteo Bonciani in einem Statement am Montag-Abend japanischer Ortszeit. Medienberichten zufolge soll das japanische Ärzte-Team sogar Unterstützung von Gérard Saillant erhalten. Der Chirug hatte bereits Michael Schumacher nach dessen schwerem Skiunfall betreut.
Sicherheit der Formel-1-Fahrer hat immer oberste Priorität
Unmittelbar nach Bianchis schwerem Unfall war in der Formel 1-Szene und den Medien eine Diskussion über die Sicherheit der F1-Fahrer entbrannt, die auch zwei Tage danach noch schwer lodert. Alex Wurz, der erst kürzlich zum Sprecher der Fahrergewerkschaft GPDA gewählt wurde, sah keine Versäumnisse. "Nach so einem Unfall, den keiner von uns haben und sehen will, kommen natürlich viele Fragen auf. Es ist aber klar, dass die Priorität der FIA und der Rennleitung über all die Jahre bei Entscheidungen immer beim Thema Sicherheit der Fahrer lag. Das muss ich unterstreichen", sagte der Österreicher.
Nach Ansicht des 69-fachen GP-Teilnehmers kann man nicht zu 100 % die Sicherheit garantieren. "Wenn ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit außer Kontrolle gerät, wird es zum ballistischen Geschoss. Es gibt immer ein Restrisiko. Darüber müssen sich auch die Zuschauer bewusst sein." Dieser Meinung schließt sich auch unser Formel-1-Chefreporter Michael Schmidt in seinem aktuellen Blogartikel an.
Diskussion über verbesserten Schutz der F1-Cockpits
Der Bianchi-Crash war von dem Schlag, wie ihn die Formel 1 am meisten fürchtet. Nicht wegen des Hergangs an sich. Niemand kann eine Konstellation vorhersehen, dass ein F1-Auto mit einem tonnenschweren Bergekran kollidiert. Nein, es geht um die Verletzlichkeit des Kopfes, der bis auf den Helm schutzlos ist.
Über den Bereich rund um das offene Cockpit entbrennen seit 2009 immer wieder Diskussionen. Damals traf eine Stahlfeder Felipe Massa in seinem Ferrari am Helm. Der Brasilianer zog sich schwere Verletzungen zu und musste ins künstliche Koma versetzt werden. Er überlebte nur knapp. Ein Jahr später torpedierte Vitantonio Liuzzi in einem Force India beim Saisonfinale in Abu Dhabi den Mercedes von Michael Schumacher. Der indische Rennwagen verfehlte nur um ein Haar den Rekordweltmeister. Zwei Jahre später – beim GP von Belgien – erhielt die Debatte neue Nahrung. Wieder hob ein Fahrzeug ab, wieder verfehlte es den Kopf eines Piloten nur knapp. Unfallverursacher Romain Grosjean war im Lotus um wenige Zentimeter am Scheitel von Fernando Alonso vorbeigeschrammt.
Da auch Bianchi Kopfverletzungen bei seinem Unfall erlitten hat, ist das Thema "Kopfschutz" jetzt erneut auf der Agenda zum Thema Sicherheit. Zwei in der Vergangenheit ins Spiel gebrachte Lösungen drängen sich auf: Überrollkäfige oder Cockpit-Kanzeln. "Darüber haben wir in Technischen Arbeitsgruppen schon diskutiert. Wir haben angefangen darüber zu reden, als Felipe (Massa) seinen Unfall hatte. Wir haben seitdem viel hin- und herdiskutiert. Das Kapitel ist auch noch nicht ganz abgeschlossen", berichtete Williams-Chefingenieur Rob Smedley, der 2009 Renningenieur von Massa war, in Suzuka.
Smedley ist ein Verfechter eines verbesserten Schutzes: "Meine Meinung zählt bei diesem Thema nicht viel. Aber jetzt wo wir hier nach dem Japan GP darüber reden, hätte ich mir natürlich gewünscht, die Autos hätten schon einen umschließenden Cockpitschutz. Ich habe keine Ahnung, ob das etwas am Schicksal von Jules geändert hätte. Da habe ich zu wenige Informationen."
Keine guten Gründe gegen Überrollkäfige und Cockpitkanzeln
Viele Gründe gebe es nach Ansicht des Briten aber nicht, die dagegen sprechen: "Aus technischer Sicht wäre das sehr einfach zu implementieren. Es würde natürlich den Look der Formel 1-Autos ändern. Da gibt es natürlich die ästhetische Frage, ob das zu einer Serie mit freistehenden Rädern und offenen Cockpits passt. Wenn man aber ein Formel 1-Auto von heute mit einem aus den 50er Jahren vergleicht, dann hat sich der Look sehr stark geändert. Die sehen sich nicht mehr ähnlich. Deshalb weiß ich für mich nicht, ob das Argument der Ästhetik wirklich zieht. Vielleicht für andere Leute."
Auch das Argument der eingeschränkten Rundumsicht ist für Smedley nicht überzeugend. "Ich war schon bei ein paar Rennen in Le Mans vor Ort. Da fahren die Autos auch in der Dunkelheit und in starkem Regen. Die cleveren Leute, die diese Autos designt haben, konnten dieses Problem irgendwie lösen. Deshalb glaube ich nicht, dass die Sicht ein guter Grund dagegen ist."
Ansonsten seien Formel 1-Autos heutzutage schon sehr sicher. Alles lasse sich aber nicht simulieren, so Smedley: "Es gibt gewisse Crashtests, die ein Formel 1-Auto bestehen muss. Ein Einschlag unter einen Traktor gehört nicht dazu. Ich kann nicht genau sagen, wie stabil die Autos in diesem Bereich sind. Es war einfach ein Freak-Accident."