Nicht alle Sünder erwischt?
Kevin Magnussen brachte das Thema schon am Funk auf den Tisch. Ein anderes Team hakte nach. Im Q1 sollen mindestens vier Fahrer doppelt geschwenkte gelbe Flaggen missachtet haben. Die Sportkommissare bestraften aber nur zwei. Hat die Rennleitung im Chaos zwei Sünder übersehen?
Kevin Magnussen war sauer. Der Haas-Pilot lag dreieinhalb Minuten vor Ende des Q1 komfortabel auf Platz 7. Alle Piloten hatten nur noch eine Runde Zeit, sich zu verbessern. Im Chaos der Schlussminuten drehten sich Nicholas Latifi, Max Verstappen, Lewis Hamilton und Daniil Kvyat an verschiedenen Stellen von der Strecke. Praktisch auf dem gesamten Kurs wurden zeitweise gelbe Flaggen geschwenkt, mal einfach, mal doppelt.
"Ich bin bei jeder Flagge vom Gas, aber alle anderen um mich herum haben sich verbessert. Die Regeln sagen, dass du bei doppelt geschwenkter Flagge die Runde abbrechen musst. Nicht nur mal kurz vom Gas gehen. Ich bin im Q1 rausgeflogen, weil ich die Regeln respektiert habe. Die anderen haben profitiert", polterte Magnussen./p>
Ein anderes Team zählte die vermeintlichen Sünder auf. Lando Norris, George Russell, Daniel Ricciardo und Pierre Gasly. "Sie alle gehören bestraft. Wir hatten heute Bedingungen wie 2014 in Suzuka. An manchen Stellen waren Helfer auf der Strecke. Haben die Leute vergessen, was damals mit Jules Bianchi passiert ist? Und warum kriegen die keine Strafe?", regte sich ein Teamchef auf. Die Rennleitung rechtfertigte sich. Ricciardo und Gasly waren im Gegensatz zu Norris und Russell nur mit einer einfachen gelben Flagge konfrontiert und hätten ordnungsgemäß verlangsamt.
Norris verliert fünf Plätze
Tatsächlich baten die Sportkommissare nur Norris und Russell zum Rapport. Bei Norris kannten sie keine Gnade. Der McLaren-Pilot muss fünf Startplätze zurück und bekommt drei Strafpunkte. Gerd Ennser, Dennis Dean, Fatih Altayli und Derek Warwick sahen es als erwiesen an, dass Norris einen Regelverstoß begangen hatte. Der 21-jährige Engländer nahm zwar in Kurve 8, wo der Williams von Latifi im Kiesbett steckte, den Fuß vom Gas, beschleunigte aber hinter der Gefahrenstelle wieder.
Norris fragte pflichtbewusst sein Team, ob er die Runde abbrechen soll, bekam aber zur Antwort, dass er auf der Strecke bleiben müsse, weil die Bedingungen immer besser und die Reifentemperaturen andernfalls in den Keller fallen würden. Dummerweise war die Runde von Norris trotz des Lupfens in Kurve 8 schneller als alle anderen davor und konnte deshalb beim besten Willen nicht als "abgebrochene Runde" gewertet werden. Zumal genau diese Runde mit 2.07,167 Minuten Norris eine Runde weiter brachte.
George Russell hätte wegen eines Dreher von Kvyat in Kurve 3 ebenfalls seinen Versuch abbrechen müssen. Er nahm nach Meinung der Kommissare am Unfallort nicht genügend Tempo raus und fuhr im Anschluss noch dazu seine bis dahin beste Rundenzeit von 2.10,017 Minuten. Sie reichte dem Williams-Piloten allerdings nicht zum Weiterkommen. Gegen Russell wurde die gleiche Strafe verhängt, wie gegen Norris. Was ihn wenig stören wird. Er startet wegen eines Motorwechsels ohnehin von ganz hinten.
Ricciardo und Gasly kommen davon
Nach Zeugenaussagen liegt nach Meinung der Konkurrenz bei Ricciardo und Gasly der gleiche Fall vor. Die beiden wurden von den Sportkommissaren aber nicht einmal vorgeladen. Beide passten bei Gelb auf, waren aber trotzdem schneller. Was zu diesem späten Zeitpunkt im Q1 fast automatisch für alle kam, die ihre Runde zu Ende fuhren. Der Regen hatte nachgelassen, und damit wurde die Strecke immer schneller. Sowohl Ricciardo als auch Gasly konnten sich erst mit dieser letzten Runde ins Q2-Feld fahren. Auf Kosten von Magnussen.
Auf Nachfrage von FIA-Rennleiter Michael Masi gaben die Sportkommissare den Kritikern die Antwort. Ricciardo und Gasly kamen zwar wie Norris exakt um 16.07 Uhr am gestrandeten Williams von Latifi ausgangs Kurve 8 vorbei, doch zu diesem Zeitpunkt wurde nur eine gelbe Flagge geschwenkt. Damit reichte es, den Fuß vom Gas zu nehmen. Ihre Zeitverbesserung danach war deshalb unerheblich. Norris hatte das Pech, dass in dem Zeitfenster, in dem er diese Stelle passierte, zwei gelbe Flaggen vor der Gefahr warnten. Und dafür gelten andere Regeln.
Klarer Fall für eine Sofort-Strafe
Genugtuung verschafft aber nicht einmal das Strafmaß. Eigentlich müssten solche Verstöße sofort geahndet werden. Denn wer dank des Regelverstoßes eine Runde weiterkommt, kann dadurch mehr Plätze gewinnen, als er später durch eine Strafe verliert. Die Ausrede, man könne im Eifer des Gefechts nicht so schnell entscheiden, zählt in diesem speziellen Szenario nicht. Ein Versuch gilt nur als "abgebrochen", wenn die Gesamtrundenzeit langsamer ist als die Zeiten davor. Egal, wie stark der Fahrer unter gelben Flaggen gelupft hat, egal ob die Streckenbedingungen besser oder schlechter werden. Das ist eine eindeutige Forderung, die auch ohne Datenanalyse schnell zu erkennen ist.
Der Trainingsschnellste Lance Stroll musste auch zittern. Allerdings ereignete sich sein vermeintlicher Verstoß erst im Q3, und bei ihm war nur eine gelbe Flagge im Spiel. Deshalb musste der Kanadier auch nur in Kurve 7 vom Gas, wo Teamkollege Sergio Perez von der Bahn gekreiselt war. Die Telemetrie bewies, dass Stroll klar verlangsamte, durch die Kurve rollte und erst wieder Gas gab, als die grüne Flagge gezeigt wurde. Weil es nur eine gelbe Flagge war, war Stroll von der Pflicht entbunden, den Versuch komplett abzubrechen. Er war in der Sektorzeit schneller als zuvor, was aber eindeutig mit dem besser werdenden Grip zu tun hatte.
Carlos Sainz dagegen erwischte es. Allerdings aus einem ganz anderen Grund. Der Spanier verliert drei Startplätze, weil er in den Kurven 2 und 3 den Racing Point von Perez unnötigerweise aufgehalten hatte. Sainz war gerade erst aus den Boxen gekommen, Perez dagegen schon auf einer schnellen Runde. Der Fehler lag beim Fahrer. Sein Renningenieur hatte ihn eindeutig gewarnt, dass Perez hinter ihm war.