Technik Haas VF-20
Haas musste mit dem neuen VF-20 die Schwachstellen des Vorjahres-Autos abstellen. Deshalb war von den Ingenieuren keine Revolution zu erwarten. Wir haben bei den Verantwortlichen nachgefragt, auf welche Bereiche der Fokus gelegt wurde.
Haas war in der Saison 2019 vielen ein Rätsel. Sich selbst eingeschlossen. Das Auto hatte bei den Wintertestfahrten eine exzellente Figur gemacht und diese auch beim Saisonauftakt bestätigt. Nach ersten Hinweisen in Bahrain und China, dass es möglicherweise doch nicht so glatt laufen könnte, zeigte der US-Rennstall in Barcelona und vor allem auf seiner Angststrecke von Monte Carlo wieder die Form, die man sich von Ferraris Satellitenteam erwartete.
Erst danach fiel alles auseinander. Der Fünfte der Saison 2018 rutschte auf den vorletzten Platz ab. Romain Grosjean und Kevin Magnussen landeten bei 21 Rennen nur sieben Mal in den Punkterängen. Im Jahr davor waren sie mit 19 Punkteplatzierungen noch Stammgäste in den Top 10.
Die Ingenieure hatten zunächst die heiklen Pirelli-Reifen im Verdacht. Sie waren mal zu kalt, mal zu warm und viel zu selten in dem Fenster, in dem sie optimalen Grip liefern. Haas stand mit dem Problem nicht allein da. Die Amerikaner schlossen sich umgehend der Fraktion an, die Pirelli zu einer Rückkehr zu den 2018 Reifen bewegen wollte. Später fand man heraus, dass die Reifen nicht ursächlich das Problem waren. Es gab andere Gründe, warum sie nicht zuverlässig in ihr Arbeitsfenster kamen. Und die lagen in der Aerodynamik.
Windkanaldaten führten Aerodynamiker in die Irre
Die Quelle des Übels war nur so schwer zu orten, weil es mittendrin immer wieder Lichtblicke gab. In Hockenheim landeten beide Fahrer in den Punkten. In Sotschi kämpfte Magnussen auf Augenhöhe mit McLaren, Renault und Racing Point. In Sao Paulo qualifizierten sich beide Fahrer für das Q3.
Kevin Magnussen bestätigte: „Es gab kein Muster. Je nachdem, wie die Umstände waren, ging es auf und ab.“ Die Bedingungen, die Auswirkungen auf die Pace hatten, waren zum Beispiel die Asphaltbeschaffenheit, die Temperaturen, das Streckenlayout oder ob man das Rennen im Pulk fahren musste oder freie Fahrt hatte.
Die wenigen guten Rennen haben den Haas-Technikern gezeigt: Der Abtrieb ist da, aber eben nicht immer. Und vor allem nicht so, wie es der Windkanal die Aerodynamiker glauben ließ. Die Laborwerte und die Wirklichkeit wichen teilweise im 20 Prozentbereich voneinander ab.
Auch das war ein Grund, warum es so lange dauerte, bis man dem Problem auf die Schliche kam. Am Ende hatte das US-Team in sechs Monaten zehn Millionen Dollar in drei Aerodynamikentwicklungen investiert und war nicht schneller als vorher. Um das Auto besser zu verstehen wurde die letzte Spezifikation mit der ersten verglichen und später ein Mix aus den besten Lösungen geboren.
Haas brachte für die letzten drei Rennen sogar einen neuen Frontflügel, um sicherzustellen, dass man 2020 nicht noch einmal in die gleiche Sackgasse läuft. Teamchef Guenther Steiner beteuerte in Abu Dhabi: „Wir haben das Problem verstanden. Jetzt muss sich zeigen, ob wir auch die Lösung dafür finden.“
Schon allein deshalb musste der VF-20 eine Evolution sein. Ein kompletter Neuansatz mit revolutionären Lösungen hätte das Risiko mit sich gebracht, sich ein weiteres Mal zu verzetteln. Steiner bestätigt: „Mit einer Weiterentwicklung haben wir die beste Chance die Böcke auszubauen, die letztes Jahr im Auto gesteckt sind.“
Viele Anleihen von Ferrari./strong>
Einfach ausgedrückt hatte der VF-19 aus der Vorsaison vorne ordentlich, hinten aber zu wenig Abtrieb. Das genaue Gegenteil vom Ferrari SF90. Dieses Ungleichgewicht resultierte in Problemen mit den Reifen. Wenn das Heck mangels Abtrieb zu rutschen begann, stieg die Oberflächentemperatur der Reifen, doch der Mantel blieb kalt. Das ist das Worstcase-Szenario.
Hohe Asphalttemperaturen konnten das Problem noch verschärfen. Die Ingenieure mussten manchmal vorne freiwillig Abtrieb reduzieren, um das Auto in Balance zu bringen. Ein größerer Heckflügel hätte vielleicht geholfen, doch dazu fehlte die Power. Ferrari bedachte seine Kunden im Gegensatz zu Mercedes, Renault und Honda nie mit der letzten Spezifikation. Das wertete die Konkurrenzteams auf.
Die Analyse ergab auch, dass die Strömung auf dem Weg nach hinten unter bestimmten Fahrbedingungen nicht das machte, was sie machen sollte. Deshalb generierte das Heck nicht den Anpressdruck, den die Zahlen eigentlich versprachen. Als Störenfriede wurden der Frontflügel und die Leitbleche ausgemacht.
Schon im letzten Jahr näherte sich Haas beim Frontflügelkonzept immer mehr dem Ferrari an. Der Flügel am neuen VF-20 ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Auch die Luftführung durch die Nase mit dem darunterliegenden Cape-Flügel. Mit dieser Lösung können die vom Flügel erzeugten Verwirbelungen so nah wie möglich am Ort ihrer Entstehung attackiert werden.
Die Leitbleche zwischen Vorderrädern und Seitenkästen waren zu kompliziert. Mit der Komplexität des Geflechts aus Zungen, Finnen, Slots und vertikalen Strömungsausrichtern konnten nicht einmal die Autos der Top-Teams mithalten. Der Bereich wurde beim neuen Modell etwas entrümpelt. Ins Auge fällt das ein neuer großer Bumerang-Flügel, fast schon nach dem Vorbild von Mercedes.
Ab dem Cockpit rückwärts geschaut orientierten sich die Aerodynamiker unter Ben Agathangelou wieder mehr am Partnerteam Ferrari. Unterboden, Airbox, die Verkleidung im Heckbereich sieht aus wie ein Abziehbild des Vorjahres-Ferrari. Steiner bestätigt: „ Die Strömung nach hinten kann jetzt besser kontrolliert werden.“
Damit das Auto schon am Freitag gut aus den Startlöchern kommt, hat Haas bei den Werkzeugen aufgerüstet. Schon beim Saisonfinale ging bei Chassispartner Dallara ein neuer Simulator in Betrieb.