Red Bull heizt Mercedes ein
Es war der Tag des George Russell. Der 22-jährige Engländer schloss seinen ersten Trainingstag bei Mercedes mit zwei Bestzeiten ab, sucht aber im Longrun noch Speed. Valtteri Bottas zeigte Nerven. Auf eine Runde lagen die Mercedes vorne, auf die Distanz Max Verstappen im Red Bull.
George Russell zwei Mal Erster. Valtteri Bottas ein Mal Vierter und ein Mal Elfter, nachdem ihm die schnellste Runde wegen Verletzung der Streckenlimits gestrichen werden musste. Da kam sogar Mercedes-Teamchef Toto Wolff in Erklärungsnot. Russells nahezu perfekter Einstand als Hamilton-Ersatz ist weder ein Bewerbungsschreiben mit Folgen, noch eine Steilvorlage, Lewis Hamilton jetzt im Preis zu drücken. "Das ist kein Showdown zwischen George und Valtteri. Wir beurteilen unsere Fahrer nicht anhand von ein oder zwei Rennen. Wenn George schnell fährt, bestätigt uns das nur in unserer Meinung, dass er in guten Rennautos einmal Rennen gewinnen wird."
Bottas hat einen Vertrag mit Mercedes für 2021, und dabei bleibt es auch, auch wenn George Russell das gleiche Kunststück schaffen sollte wie Max Verstappen 2016 in Barcelona nach seinem Umstieg von Toro Rosso zu Red Bull. "Wir vertrauen Valtteri und sind loyal gegenüber unseren Verpflichtungen", bestätigte Wolff. Gleiches gilt für Hamilton. "Wir wissen, was uns Lewis wert ist. Wenn George hier gut abschneidet, hat das keinen Einfluss auf unsere Verhandlungsposition."
Mit seiner Vorstellung über eine Runde war Russell für den Anfang zufrieden. Er warnte aber vor übertriebenen Erwartungen. "Meine Rundenzeiten täuschen. Mit vollen Tanks lief es im zweiten Training nicht so gut, und das ist der Schlüssel am Sonntag." Die Könige der Longruns waren die Red Bull. Max Verstappen führte die Rennsimulationen sowohl auf den Soft-Reifen als auch mit den Medium-Gummis an. Der Holländer war trotzdem nicht ganz zufrieden: "Auf eine Runde passt die Balance noch nicht. Wir haben zu viel untersteuern."
Hinter Mercedes und Red Bull lieferten sich Renault, Racing Point und Alpha Tauri eine enge Schlacht um die beste Position im Verfolgerfeld. Dabei war Esteban Ocon besser unterwegs als Daniel Ricciardo, und Daniil Kvyat stach Teamkollege Pierre Gasly aus. Nur bei Racing Point blieb alles beim Alten: Sergio Perez vor Lance Stroll.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Kann Russell die Sensation schaffen?
George Russell war die Sensation des ersten Trainingstages. Der Hamilton-Ersatz fuhr in beiden Trainingssitzungen Bestzeit, so als würde er schon ewig in diesem Mercedes sitzen. Valtteri Bottas markierte zwar im zweiten Training mit 54,506 Sekunden die Bestzeit, doch die Zeit wurden dem Finnen wenig später gestrichen. Er hatte in Kurve 8 die kurz vorher neu festgelegte Streckenbegrenzung überschritten. Und das mehr als einmal. Bottas zeigte angesichts der Gala-Vorstellung seines neuen Teamkollegen Nerven. Selten hat sich der WM-Zweite in 180 Minuten Training so oft verbremst, selten fuhr er so oft neben der Strecke. Sechs Rundenzeiten wurden ihm gestrichen, weil er sich in Kurve 8 über die Randsteine treiben ließ. Da war der Neuling im Team deutlich fehlerfreier unterwegs.
Russell hatte allerdings Mühe mit dem Mercedes mit vollen Tanks. Auf den Soft-Reifen war Bottas im Schnitt um vier Zehntel schneller als der Aushilfspilot im Team. Auf den harten Reifen fiel der Unterschied deutlich geringer aus. Bottas schaffte im Mittel 58,295 Sekunden über 19 Runden, Russell 58,316 Sekunden. Der Finne übte Selbstkritik. "Im ersten Training bin ich in Kurve 8 über die Randsteine und habe mir ein ziemlich Stück aus dem Unterboden rausgerissen. Die restlichen Runden waren deshalb Zeitverschwendung. Am Nachmittag wurden mir zu viele Runden gestrichen. Ich habe noch einige Arbeit vor mir."
Die Topspeeds lassen vermuten, dass Mercedes wie in der Woche zuvor erneut auf viel Abtrieb setzt. Möglicherweise zu viel. Man hat zwar das schnellste Auto für den Mittelsektor, aber mit zu geringem Vorsprung, als dass man damit das Defizit auf den Geraden wettmachen könnte.
2) Wie gut ist Red Bull?
Max Verstappen klagte oft und viel am Funk, kann aber zufrieden sein. Der Holländer hielt mit 0,176 und 0,128 Sekunden Rückstand auf die Bestzeit immer Sichtkontakt zu den Mercedes. Und er war im Longrun klar schneller. Deshalb ist Verstappen im Moment der Favorit. Der WM-Dritte relativiert: "Wenn Valtteris schnellste Runde nicht gestrichen worden wäre, hätten wir zwei Zehntel auf ihn verloren. Wir müssen also noch etwas Speed auf eine Runde finden." Auch Alexander Albon konnte sich in den Dauerläufen vor den Mercedes platzieren. Sowohl auf den Soft-Reifen als auch auf der mittleren Gummimischung verlor der Thailänder im Schnitt zwei Zehntel auf Verstappen.
3) Was war los mit Ferrari und McLaren?
Für Ferrari und McLaren war es ein Abend zum Vergessen. Charles Leclerc strandete nach einer guten Zwischenzeit mit einer gebrochenen Antriebswelle. Er schaffte es gerade noch in die Boxengasse. Leclercs Sitzung war nach zwei Runden beendet. Sebastian Vettel legte zwei fulminante Dreher auf die Bahn und war auch sonst mehrmals neben der Strecke. Beim ersten Mal in Kurve 2 beschädigte sich der Deutsche den Medium-Satz, beim zweiten Mal ausgangs Kurve 5 bremste er sich die Soft-Garnitur eckig. Da war nicht mehr viel von dem Medium-Longrun zu erwarten.
Die Plätze 8 und 10 in der ersten Trainingssitzung lassen Ferrari allerdings hoffen, dass es nicht ganz so hoffnungslos aussieht, wie die Papierform befürchten ließ. Sebastian Vettel klärt die unterschiedliche Leistung in den beiden Trainings auf: "Wir waren am Abend mit den Setup zu mutig. Es hat nicht funktioniert. Deshalb werden wir am Samstag wieder auf die Ausgangsbasis zurückgehen." Die verdächtig guten Topspeed-Zeiten lassen vermuten, was Vettel mit "mutig" andeuten wollte. Ferrari probierte es mit zu wenig Abtrieb und bezahlte in den Kurven. "Das Q2 sollten wir schaffen. Für das Q3 muss alles passen", urteilt Vettel.
Auch die McLaren-Piloten waren regelmäßige Gäste in der Boxengarage. Bei Lando Norris musste der Unterboden getauscht werden, bei Carlos Sainz gab es ein Getriebeproblem. Dann beendete ein Motorproblem den Tag von Norris vorzeitig. "Der Unterboden geht auf meine Kappe. Ich bin in Kurve 2 zu weit rausgerutscht. Das Motorproblem hat mich Trainingszeit gekostet, wo wir sie so dringend nötig gehabt hätten. Die Strecke hat nur vier oder fünf echte Kurven, aber wir liegen weit zurück. In einigen Teilen passt das Auto ganz gut, in anderen überhaupt nicht."
Norris hofft, dass McLaren einfach nur zu viel Abtrieb gewählt hat. "Wir sind auf den Geraden zu langsam." Carlos Sainz wunderte sich: "Wie kann ein Auto, mit dem ich vor vier Tagen noch mühelos in die Top 5 gefahren bin, plötzlich so anders sein? Die Balance stimmt vorne und hinten nicht."
4) Nutzt Renault seine letzte Chance im Kampf um Platz 3?
Renault schöpft mit den Plätzen 4 und 8 im zweiten Training noch einmal Hoffnung im Kampf um den dritten Platz im Konstrukteurspokal. Wie von Esteban Ocon angekündigt, profitieren die R.S.20, wenn das Streckenlayout nach weniger Abtrieb verlangt. Das Racing Point nach einer verkorksten ersten Trainingssitzung in der zweiten zu Renault aufschloss, kommt nicht überraschend. Racing Point ging mit zu viel Anpressdruck in den Tag. Ein mindestens genauso wehrhafter Gegner wird Alpha Tauri sein. Auf eine Runde und im Longrun. Die Alpha Tauri hinterließen nach Red Bull und Mercedes den besten Eindruck.
Die Probleme mit dem Reifenverschleiß beim ersten Bahrain-Rennen diktierten Renault das Programm. Daniel Ricciardo fuhr mit 24 Runden auf den Soft-Reifen den längsten Stint. Sein Mittelwert lässt sich deshalb durchaus mit Pierre Gasly oder Sergio Perez vergleichen, die etwas schneller waren, dafür aber weniger Runden zurücklegten. Es soll aber noch besser gehen. Chefingenieur Ciaron Pilbeam verrät: "Wir haben mit Daniel vom Setup her etwas ausprobiert, was nicht funktioniert hat." Den Ton bei Renault gab an diesem Tag Esteban Ocon an. Auf eine Runde und auf die Distanz. "Es war mein bester Freitag", jubelte der Franzose, der bei beiden Longruns mit Soft und Medium die viertschnellste Durchschnittszeit fuhr.
Pierre Gasly war mit dem zweiten Teil des Trainings nicht so zufrieden, obwohl er auf den Medium-Reifen den drittschnellsten Dauerlauf fuhr. "Wir brauchen noch etwas Feintuning." Das lässt auf eine ähnlich starke Vorstellung wie in Imola hoffen. Chefingenieur Jonathan Eddolls stellte fest: "Wir haben es so hingebracht, dass die Reifen weniger stark abbauen als letzte Woche."
5) Wie wichtig ist der neue Sektor?
Das Verbindungsstück zwischen Kurve 4 und Kurve 13 auf der Originalstrecke sieht harmloser aus als es ist. In den vier Kurven wird über Sieg oder Niederlage entschieden. Das zeigen die Sektorzeiten des nur 20 Sekunden langen Abschnitts. Der Abstand zwischen dem Schnellsten und dem Langsamsten lag bei 0,920 Sekunden. In Sektor 1 betrug das Delta nur 0,546 Sekunden, in Sektor 3 lediglich 0,476 Sekunden. "Wenn du zu viel attackierst, wirst du bestraft", urteilte Lando Norris. Schnellster in dieser Passage waren die beiden Mercedes knapp vor Verstappen und Perez. Die Renault und Alpha Tauri verlieren schon vier Zehntel dort, die McLaren mehr als eine halbe Sekunde. Valtteri Bottas warnt davor, die vermeintlich einfache Strecke zu unterschätzen. "Du kannst ganz leicht ein Zehntel dort verlieren."
6) Was ist an der Mini-Version der Sakhir-Srecke anders?
Der Outer Circuit von Sakhir ist um 1.869 Meter kürzer als die GP-Strecke von Bahrain. Es gibt elf statt 15 Kurven, wobei vier Kurven diesen Name nicht verdienen. Obwohl die Mini-Strecke nur außen rumgeht ist der Höhenunterschied um zwei Meter größer. 19 Meter trennen den höchsten und den tiefsten Punkt. Die Rundenzeiten sind um 23 Sekunden kürzer, die Durchschnittsgeschwindigkeiten um zehn km/h höher. Mit 233,835 km/h für die schnellste Runde, die bereits in der ersten Trainingssitzung gefahren wurde, ist man weit von Monza entfernt. Dort betrug der Schnitt der Pole-Runde 264,363 km/h. Laut Ferrari nutzen sich die Reifen um 20 bis 30 Prozent weniger ab als auf der langen Strecke.
Auf dem Papier sieht die Kurzanbindung eher harmlos aus. Tatsächlich haben es die Kurven 6, 7 und 8 in sich. Kurve 6 ist eine 260 km/h schnelle und extrem wellige Bergab-Rechtskurve, an die sich das Bremsmanöver für die 140 km/h schnelle Schikane anschließt. Der Ausgang in Kurve 8 führt über eine Kuppe und ist extrem wichtig, um möglichst viel Speed in die dritte lange Gerade mitzunehmen. Wer einen Tick zu früh aufs Gas geht, reitet voll über die Randsteine. Das kostet nicht nur die Rundenzeit wegen Verletzung der Streckenlimits, es malträtiert auch die Autos. Charles Leclerc brach dort die Antriebswelle, Valtteri Bottas der Unterboden. Einige Teams klagten darüber, die Synchronisation des Getriebes zu verlieren. Valtteri Bottas wurde von der Rennleitung verwarnt: "Du bist dort fast jede Runde am Limit." Wenn ihm das im Rennen passiert, drohen Strafen.
Und dann natürlich die Staus, vor denen sich alle auf der kurzen Strecke fürchten. Vor allem im Q1, wenn alle 20 Autos auf der Strecke sein werden. Da 14 Autos in einer Sekunde lagen, kann sich keiner einen Fehler erlauben. Jeder braucht eine freie schnelle Runde, jeder braucht genügend Platz, um die Reifen für die entscheidende Runde zu konditionieren. Max Verstappen warnte: "Am Funk hörst du dauernd Warnungen vor anderen Autos im Verkehr. Im zweiten Sektor sind viele Kurven blind. Dort musst du aber anfangen, vor deiner schnellen Runde die Reifen abzukühlen. Das kann in dem engen Streckenteil zu großen Geschwindigkeitsunterschieden und zu gefährlichen Situationen führen." Carlos Sainz meinte: "Wir müssen da heute im Fahrer-Briefing darüber sprechen. Ich habe ein paar Ideen, wie wir den Verkehr besser managen können."