Verstappen hält Mercedes in Atem
Mercedes wird die Pole Position wie üblich unter sich ausmachen. In den Dauerläufen ist Max Verstappen an den Silberpfeilen auf allen Reifenmischungen dran. Das heißt für Mercedes, dass sie sich wieder keinen Fehler leisten dürfen.
An Mercedes-Doppelsiege im Freitagstraining haben wir uns gewöhnt. Die erste Sitzung gewann Valtteri Bottas vor Lewis Hamilton. Die zweite lieferte das umgekehrte Ergebnis. Ausnahmsweise wurde die Tagesbestzeit am Vormittag erzielt. Der Unterschied betrug aber nur 0,098 Sekunden. Das lag an den Asphalttemperaturen. Am Nachmittag wurden 48 Grad auf dem Asphalt gemessen, zwölf Grad mehr als am Morgen. Mehr Relevanz für das Rennen haben allerdings die 90 Minuten am Nachmittag. Da waren die Autos in der Kühlkonfiguration unterwegs wie im Rennen.
Max Verstappen fehlten in seinen schnellsten Runden einmal acht und einmal neun Zehntel auf den Silberpfeil-Express. Dabei hatte er noch einen guten Windschatten von Sebastian Vettel. Er bleibt der einsame Jäger der Mercedes. Alexander Albon schlägt sich weiter mit den Ferrari, Renault, Racing Point und McLaren herum. Was für den Samstag nach dem üblichen Mercedes-Duell aussieht, kann am Sonntag wieder spannend werden. So wie Verstappen sich in der Qualifikation keinen Fehler leisten darf und unter allen Umständen auf den dritten Startplatz fahren muss, trifft das auf Mercedes am Sonntag zu.
Haas die große Überraschung
Obwohl das Problem von Silverstone geklärt ist und so nicht wieder auftauchen wird, spüren Lewis Hamilton und Valtteri Bottas im Renntrim den heißen Atem ihres Verfolgers. Verstappen spulte ein ähnliches Programm wie Hamilton ab und war im Longrun auf den Soft-Reifen um 0,081 Sekunden schneller als der WM-Spitzenreiter und auf den Medium-Gummis sogar um 0,219 Sekunden. Die beste Longrun-Zeit auf der weichsten Mischung legte zwar Valtteri Bottas auf die Bahn, doch der Finne hatte offensichtlich etwas weniger Sprit an Bord oder die Leistung mehr aufgedreht. Er begann seinen Dauerlauf eine Sekunde schneller als seine Kollegen.
Im Verfolgerfeld deutet im Kampf um die besten Startplätze alles auf einen Zweikampf Ferrari gegen Renault hin. Auch der Soft-Longrun von Daniel Ricciardo und Charlers Leclerc war praktisch identisch. In Rennabstimmung wird es deutlich enger. Da sind auch Racing Point, McLaren, Haas und Alpha Tauri mit von der Partie. Renault schwamm mit seiner Reifenwahl erneut gegen den Strom. Teamchef Cyril Abiteboul begründete das Experiment mit der Tatsache, dass man die Strecke von Barcelona in- und auswendig kenne. Da könne man auch mal etwas ausprobieren. Sebastian Vettel ist auch im neuen Chassis noch auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Am Morgen betrug die Differenz zu Charles Leclerc nur elf Tausendstelsekunden. Doch in der zweiten Sitzung ging die Schere wieder auf 0,257 Sekunden auf. Im Vergleich zu Silverstone allerdings ein Fortschritt.
Die große Überraschung des ersten Trainingstages zum GP Spanien war Romain Grosjean. Der Haas-Pilot mischte mit den Plätzen 5 und 6 voll im Verfolgerfeld mit. Auch die Longruns lassen das US-Team hoffen, dass es am Sonntag wieder WM-Punkte geben könnte. Grosjean platzierte sich mit den Soft-Reifen zwischen Alexander Albon und Esteban Ocon. Kevin Magnussen war auf dem Medium-Reifen im Longrun sogar schneller als Ricciardo, Albon und Norris.
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Hat Mercedes seine Reifenprobleme gelöst?
Eines ist sicher: Die Reifenprobleme des letzten Wochenendes wird Mercedes nicht mehr haben. Es gab auf keinem der drei Reifentypen Blasenbildung. Daran sind nicht nur die härteren Reifen, die niedrigeren Luftdrücke und der hohe Verschleiß schuld. Wenn schnell genug genügend Gummi abgerubbelt wird, ist weniger Gummimasse da, die überhitzen könnte. Mercedes hat aus dem Fehler vom zweiten Silverstone-Rennen gelernt. Da stimmte im Rennen die Balance nicht. Zu viel Last auf der Hinterachse. Die Sorge gilt in Barcelona mehr dem Verschleiß, also dem Problem, dass Mercedes im ersten Silverstone-Rennen umtrieb. Während die Silberpfeile auf eine Runde wieder eine Klasse für sich waren, bekamen sie auf den Longruns Konkurrenz von Max Verstappen.
Das lag daran, dass Hamilton und Bottas ganz bewusst Nachdruck auf das Reifenmanagement legten und bei Bedarf eher den Fuß vom Gas nahmen. Trotzdem war Verstappen auf den Soft-Reifen und den Medium-Gummis im Dauerlauf schneller als Hamilton. Einmal ganz knapp, einmal um zwei Zehntel. In beiden Fällen diktierten unterschiedliche Laufzeiten das Delta. Auf den Soft-Reifen fuhr Verstappen drei Runden länger als Hamilton. Der Vorsprung war also rundenbereinigt größer als 0,081 Sekunden. Dafür legte Hamilton auf den Medium-Reifen vier Runden mehr zurück als sein großer Gegner für Sonntag. Macht unter dem Strich etwas weniger als die Lücke von 0,219 Sekunden.
Mercedes verwendete diesmal mehr Zeit als sonst auf die Rennsimulation. Valtteri Bottas wurde mit einem anderen Programm auf die Strecke geschickt als sein Teamkollege. Er war am Nachmittag einer von nur sechs Fahrern, die den harten Reifen probierten. Wenn man seine Longrun-Zeiten mit denen von Pierre Gasly und Sergio Perez vergleicht, dann ist er im Schnitt nur sechs Zehntel schneller. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Mercedes am Sonntag nicht alles in Grund und Boden fahren werden. Nach dem Freitag kristallisieren sich beim Titelverteidiger zwei mögliche Strategien heraus: soft-medium-medium oder medium-hart.
2) Ist Verstappen eine Gefahr für Mercedes?
Bei der Jagd nach der Pole Position sicher nicht. Da pendelt sich der Rückstand je nach Strecke zwischen sieben Zehntel und einer Sekunde ein. Für den Sonntag kann Max Verstappen nur hoffen, dass Mercedes wieder Probleme mit den Reifen bekommt. In den Longruns sah es so aus, als würde Mercedes alles dafür tun, dass die Reifen nicht zu schnell verschleißen. Das aber kostet massiv Rundenzeit. Und plötzlich hängt Verstappen den schwarzen Auto im Genick.
Wie viel der eine sich am Sonntag noch steigern und der andere am Freitag seine Karten schon aufgedeckt hat, ist die Preisfrage. Nach Messungen von Mercedes hat Honda diesmal die Power am Freitag nicht so aufgedreht wie normalerweise. Damit dürfte Mercedes am Sonntag von der Motorleistung her nicht mehr allzu viele Trümpfe im Köcher haben.
Red Bull hat seine Reifen im Griff. In den Longruns lag der Holländer vor den Silberpfeilen. "Das Auto ließ sich einfach fahren, was für das Rennen wichtig ist." Um die Mercedes noch mehr unter Druck zu setzen, hätte sich Verstappen weichere Reifen gewünscht. "Leider dürfen wir uns die Reifen nicht aussuchen." Red Bull bleibt ein Einmann-Team. Alexander Albon fiel im Vergleich zu Verstappen wieder stark ab. Sieben Zehntel auf eine Runde, eine Sekunde in beiden Longruns.
3) Kann Sebastian Vettel wieder schneller fahren?
Ferrari hat Sebastian Vettel ein neues Chassis spendiert. Das alte hatte Risse. Teramchef Mattia Binotto erklärte jedoch, dass die Beschädigungen nicht der Grund für den rätselhaften Zeitverlust von Vettel gegen seinen Teamkollegen in Silverstone gewesen sein können. Sei‘s drum. Vettel hat jetzt jedenfalls das Gefühl, dass alles unternommen wurde, um Antworten auf seine Fragen zu finden. Und ein bisschen Placebo ist ein neues Chassis ja immer. Das schien im ersten Training auch ganz gut zu funktionieren. Die beiden Ferrari-Piloten trennten nur elf Tausendstelsekunden. Zurück zur Normalität? Am Nachmittag war Charles Leclerc um 0,257 Sekunden schneller. Das ist noch keine Welt, aber mehr als Vettel lieb ist.
Vettel weiß noch nicht so recht, woran er ist: "Es war ein Tag mit gemischten Gefühlen. Auf eine Runde sieht es etwas besser aus. Wenn ich meine Runde zusammenbringe. Das war am Nachmittag nicht mehr so der Fall wie im ersten Training." Vettel experimentierte viel, kam da einen Schritt weiter, dort nicht. "Nicht alle Sachen machten Sinn. Ich habe ein paar Antworten mehr, aber nicht alle."
In den Longruns ist er wegen der unterschiedlichen Programme mit Leclerc nicht zu vergleichen. Vettel begann auf den Medium-Reifen und spulte 14 Runden darauf ab. Leclerc war mit diesem Reifentyp zum Schluss des Trainings mit weniger Sprit unterwegs und das auch nur für fünf Umläufe. Umgekehrtes Bild auf den weichen Sohlen. Vettel katapultierte sich mit weniger Benzin im Tank in den letzten Runden mit nur vier Runden auf Platz 2 der Longrun-Tabelle. Leclerc drehte zu Beginn elf Runden auf den Soft-Reifen und fuhr ähnliche Zeiten wie Stroll, Kvyat und Ricciardo.
4) Wo stehen die Autos im Sektorvergleich?
Aus dem Sektorvergleich und den Topspeeds lässt sich am besten die Abstimmungsphilosophie lesen. Der Messpunkt am Ende der Zielgerade sagt schon fast alles über die Flügeleinstellung aus. Man muss ihn dann nur noch mit den Sektoren 1 und 3 in Abgleich bringen, um das wahre Bild zu sehen. Vergessen wir den Topspeed von Sergio Perez und Daniil Kvyat. Beide hatten ganz offensichtlich einen guten Windschatten und den DRS-Effekt. Mit 342,5 und 338,7 km/h liegen sie so klar vor dem Feld, dass kein fairer Vergleich möglich ist. Ihre Teamkollegen lassen mehr auf den wahren Topspeed der beiden Autos schließen. Lance Stroll lag mit 322,7 km/h im vorderen Feld, Pierre Gasly mit 316,2 km/h deutlich weiter hinten.
McLaren, Racing Point, Alfa Romeo und Williams setzen tendenziell auf weniger Abtrieb, alle anderen auf mehr. Ferrari liegt wieder ganz am Ende der Topspeed-Tabelle. Da fehlt nicht nur Power. Der Abtrieb ist auch noch ineffizient. Das zeigt sich im Vergleich zum Haas, der auf der Gerade immerhin drei km/h schneller war. Das Experiment von Silverstone, als man praktisch mit Spa-Flügel gefahren ist, lässt sich in Barcelona nicht wiederholen. Hier braucht man ein Mindestmaß an Abtrieb.
Das ausgeglichenste Auto über die drei Sektoren ist erwartungsgemäß der Mercedes. Nur im ersten Sektor wird er von Red Bull geschlagen. Im zweiten Abschnitt gewinnen die Silberpfeile auf eine schnelle Runde vier, im letzten Sektor fünf Zehntel. Die starke Vorstellung in den letzten sieben Kurven lässt nicht nur auf ein gutes Stück mehr Abtrieb schließen. Der Mercedes muss auch mechanisch top sein. Und die Fahrer haben im ersten Sektor bewusst etwas den Fuß vom Gas genommen, damit im dritten nicht die Reifen einbrechen. Max Verstappen bezahlte für seine Bestzeit auf den ersten 21 Sekunden. Er wird in dem Sektor, in dem er nach den Erfahrungen der ersten fünf Rennen eigentlich stark sein müsste, nicht nur von Mercedes, sondern auch Renault geschlagen. Dabei sollten doch die langsamen Kurven der starke Punkt des Red Bull sein.
Renault steht mit den Plätzen 4, 4 und 2 in den drei Sektoren für ein ausgewogenes Setup. Mit 320,0 km/h liegen die gelbschwarzen Autos nur 3,5 km/h hinter den Mercedes. Ferrari verliert massiv im ersten Abschnitt. Auf Mercedes 0,269 Sekunden. Dafür glänzen die roten Autos im Mittelsektor mit der zweitschnellsten Zeit. In den engen Kurven von Sektor 3 dagegen wieder nur Mittelmaß. Leclerc kassiert dort 0,559 Sekunden auf Hamilton. Haas ist solide in allen Streckenbereichen. Platz 6, 5 und 4 ergeben in Addition in der Zeitentabelle die die fünftschnellste Runde für Grosjean im zweiten Training. Das US-Team hat sein perfektes Setup schon gefunden.
5) Führt Renault das Mittelfeld an?
Die Renault kommen immer besser in Fahrt. Doch wie schon in Silverstone kam zunächst Daniel Ricciardo besser aus den Startlöchern. Der Australier fuhr im zweiten Training mit 1.17,868 Minuten die viertschnellste Zeit, nur ein Zehntel hinter Verstappen, aber auch über zwei Zehntel vor den schnellsten Ferrari-Zeiten. Den guten Eindruck konnte der Renault-Pilot in den Dauerläufen bestätigen. Ricciardo blickte zurück: "Am Morgen war ich nicht so happy mit dem Auto. Dann haben wir wie in Silverstone eine Setup-Änderungen gemacht, die voll eingeschlagen ist."
Esteban Ocon fehlt noch eine halbe Sekunde auf den Teamkollegen. Er beklagte sich über Instabilität im Heck. Renault begann am Vormittag im Gegensatz zur Konkurrenz mit den weichen Reifen und wechselte dann auf die harten Sohlen. Mit dieser Reihenfolge versprach man sich eine bessere Aussagekraft für den Longrun mit der harten Mischung, die am Sonntag wohl nur eiserne Reserve sein wird. Ricciardo fuhr auf dem Gummi, der sich laut Lando Norris anfühlt wie ein Regenreifen, 13 Runden am Stück.
Die McLaren leiden unter der Hitze. Das hat man schon in Silverstone gesehen. Das Öffnen der Verkleidung erhöht den Luftwiderstand und verringert den Abtrieb. Da haben die McLaren-Ingenieure bei der Konzeption des MCL35 wohl ein bisschen zu viel beim Vorjahres-Mercedes abgeschaut. Was für McLaren gilt, trifft auch für Racing Point zu. Das ist ja eine noch größere Annäherung an den 2019er Mercedes. Sergio Perez und Carlos Sainz waren praktisch gleich schnell, drei Zehntel hinter Renault und ein Zehntel hinter Ferrari. In den Longruns war man dagegen voll bei der Musik. Also noch kein Beinbruch. Lando Norris versprach: "Renault, Racing Point und Haas sind noch schneller als wir. Wir wissen aber, woran wir arbeiten müssen."
6) Warum ist HaasF1 so schnell?
Das Bild kann sich Haas einrahmen. Romain Grosjean landete in der Zeitentabelle des zweiten Trainings vor den beiden Ferrari. Platz 5 mit nur 1,264 Sekunden Rückstand auf die Bestzeit ist für den US-Rennstall ein Hoffnungsschimmer in einer bislang so schwierigen Saison. Der sechste Platz im Morgentraining unterstreicht, dass es sich hier um keinen Zufall handelt. Grosjean zeigte sich selbst überrascht: "Ich habe keine Ahnung, warum wir hier so stark sind. Es ist das gleiche Auto wie beim Saisonstart. Wir haben seitdem nur Setup-Arbeit gemacht. Ich hatte schon in Silverstone ein besseres Gefühl, und weil hier in Barcelona die Power eine geringere Rolle spielt, ist das möglicherweise ein Grund für unsere Steigerung."
Die Aerodynamik des Autos ist offenbar für den Circuit de Catalunya maßgeschneidert. Dort hatten die US-Ferrari immer ihre besten Ergebnisse. Kevin Magnussen sah auf seiner schnellsten Runde erneut kein Land gegen Grosjean. Der Unterschied war mit 0,628 Sekunden Differenz wie beim letzten Wochenende in Silverstone riesig. Doch diesmal gab der Däne dem Auto nicht die Schuld. "Ich habe die schnelle Runde im zweiten Training einfach nicht zusammengebracht. Aber unsere Longruns mit viel Sprit an Bord waren wirklich positiv. Trotz der Hitze haben wir die Reifentemperaturen im Fenster gehalten. Die Strecke scheint unserem Auto besser zu liegen als andere." Tatsächlich legte Magnussen den fünftschnellsten Medium-Longrun auf die Bahn.