Was lief bei McLaren schief?
McLaren wollte mit Renault-Motoren die Spitzenteams angreifen. Die Realität sah anders aus. Nach einem ordentlichen Saisonbeginn sackte McLaren immer weiter ab und kämpfte am Ende mit Williams am Tabellenende. Was ist da schiefgelaufen?
In der WM-Tabelle sieht die Bilanz für McLaren gar nicht so schlecht aus. Der Neunte der Konstrukteurs-WM 2017 wurde dieses Jahr Sechster. Aus 30 Punkten wurden 62. Doch die Ansprüche waren andere. McLaren wollte die Lücke zu den Topteams schließen. Man hatte sich von Honda verabschiedet und mit Renault-Motoren eingedeckt. Damit gab es auch keine Entschuldigungen mehr. Außer der einen, dass der Motorwechsel erst im September unter Dach und Fach war. Und das drückte auf das Entwicklungsprogramm.
Einsatzleiter Simon Roberts sucht erst gar keine Ausreden: „Wir mussten mit Lichtgeschwindigkeit entwickeln, weil wir pünktlich zum Testbeginn fertig sein wollten. Deshalb hatten wir dort diverse Probleme mit der Zuverlässigkeit. Uns fehlte einfach die Zeit, alle Systeme ordentlich in das Auto zu integrieren. Mit Renault hatte das nichts zu tun. Die Probleme lagen auf unserer Seite.“ McLaren entwickelte im Winter praktisch zweigleisig. Es gab eine Testversion und dann das eigentliche MCL33-Konzept mit den Nasenlöchern, das aus Zeitgründen erst beim GP Spanien debütieren konnte.
52 Punkte vor der Sommerpause, 10 danach
Die WM-Tabelle erzählt die Geschichte von McLaren in dieser Saison. Vor der Sommerpause kamen 52 Punkte auf das Konto, danach nur noch 10. Fernando Alonso holte 80 Prozent der Punkte für das Team. Ohne den Spanier hätte das Ergebnis richtig bitter ausfallen können. Am Ende der Saison half nicht einmal mehr die fahrerische Klasse des Ex-Weltmeisters. Da schlug sich McLaren mit Williams am Ende des Feldes herum. Die McLaren-Ingenieure merkten relativ schnell, dass irgendetwas mit dem MCL33 nicht stimmte. „Die Wintertests liefen nicht nach Plan“, gibt Roberts zu. „Wir hatten Probleme mit der Standfestigkeit, fuhren wenig. Das kostete Entwicklungszeit und wir hatten Mühe, das Auto zu verstehen.“
Der erste große Weckruf folgte beim GP Bahrain. Beide Autos blieben im Q2 hängen. „Einige Aspekte am Auto haben nicht so funktioniert, wie sie sollten“, erklärt Chefingenieur Andrea Stella. „Dann kam unser Spanien-Paket. Die Vorstellungen in Barcelona und Monte Carlo waren anständig. Wir wussten, dass wir einige Dinge nicht verstanden, dachten aber, das noch lösen zu können. In Montreal holte uns die Realität ein. Wir merkten endgültig, dass wir ein Problem haben. Von da an ist die Entwicklung praktisch still gestanden.“
Größere Vorderräder produzieren größere Luftwirbel
Doch wo waren die McLaren-Ingenieure falsch abgebogen? Stella erklärt: „Unser 2017er Modell war ein gutes Fundament. Das wollten wir weiterentwickeln. In bestimmten Kurven haben wir 2017 massiv auf die Red Bull verloren. Das wollten wir abstellen, haben diesen Schwachpunkt aber auf das neue Auto übertragen. Im Rückblick sind wir in einigen Dingen zu weit gegangen und haben uns damit einige aerodynamische Probleme geschaffen, mit denen wir in eine Sackgasse gelaufen sind.“
Der McLaren MCL33 konnte in Kurven den Anpressdruck nicht über den gesamten Verlauf vom Einlenken bis zum Beschleunigen halten. Um den Abtrieb einigermaßen stabil zu halten, behalf sich McLaren mit der Holzhammermethode. Größere Flügel. Die trieben den Luftwiderstand nach oben. Und das kostete Topspeed. Die McLaren zählten zu den langsamsten Autos auf der Gerade.
Mit dem Problem des schwankenden Abtriebs war McLaren nicht allein. Stella schiebt das Phänomen auf die breiteren Autos. „Die größeren Vorderräder produzieren größere Verwirbelungen als in der Zeit vor 2017. Die Hauptaufgabe der Aerodynamiker besteht heute darin, diese Turbulenzen in den Griff zu bekommen. Der breitere Unterboden verschärft die Problematik. Weil er mehr zum Gesamtabtrieb beiträgt als früher.“ Das ist laut Stella auch das Geheimnis der Topteams: „Wer es schafft, den Abtrieb besser über die gesamte Kurve zu kontrollieren, fährt in einer anderen Kategorie.“
Schwachpunkt lag in langsamen Kurven
Wie viele andere Teams stellte auch McLaren fest, dass die Simulationswerkzeuge nicht mehr ausreichten. „Wir sind an die Grenzen dessen gelangt, was ein Windkanal und die CFD-Simulation darstellen kann“, räumt Stella ein. Deshalb ging McLaren ab dem GP Österreich dazu über, das erste Training am Freitag als Testsitzung zu nutzen. Es kamen Entwicklungsteile ans Auto, teilweise aus dem 3D-Drucker, und die beiden MCL33 wurden mit Sensoren vollgestopft, um die Korrelation zwischen Windkanal, CFD und Rennstrecke abzugleichen. „Wir haben jeden Stein umgedreht, um herauszufinden, wo der Fehler liegt“, verrät Roberts.
McLaren stellte im Sommer das Management um und änderte auch die Abläufe im Konstruktionsbüro. Parallel wurden in Woking neue Messmethoden entwickelt, um die Diskrepanz zwischen Labor und Wirklichkeit zu reduzieren. „In schnellen Kurven war unser Auto nicht so schlecht. Leider gibt es immer weniger schnelle Kurven. Selbst Pouhon in Spa geht jetzt problemlos voll“, bilanziert Stella. „Unsere Schwäche lag hauptsächlich in langsamen Kurven. Und die Vorgänge in diesen Kurven sind unheimlich schwer im Windkanal und CFD zu simulieren.“
Die Defizite der orangefarbenen Autos wurden besonders in der Qualifikation deutlich. Gegen Ende der Saison kam McLaren nur noch selten ins Q2. Der Formanstieg am Sonntag ist schnell erklärt. „In der Qualifikation zeigt sich die pure Leistungsfähigkeit eines Autos. Im Rennen kommen viel mehr Variablen hinzu, die die Schwächen im Auto überdecken können. Gute Starts, gute Strategie, geringe Reifenabnutzung können helfen. Unser Auto war sehr nett zu den Reifen. Das hat uns im Rennen oft besser aussehen lassen.“
Alonso profitierte von schwierigem Auto
Nachdem die Ingenieure festgestellt hatten, dass der MCL33 in seinem Konzept gefangen war, versuchte man die Fehler des 2018er Autos zu verstehen, um 2019 nicht in die gleiche Falle zu laufen. McLaren führte dazu eine ganze Reihe von Experimenten durch, um die wunden Punkte des Autos auszusortieren. Stella beschreibt die Schwierigkeiten dabei: „Diese Autos sind unheimlich komplex. Selbst wenn du nur eine neue vordere Bremsbelüftung testen willst, brauchst du für Design und Produktion zwei Monate. Deshalb haben wir viele Testkomponenten im Rapid prototyping-Verfahren hergestellt. Aber oft ist es nicht ein Detail, das schuld ist, sondern das Zusammenspiel viele Komponenten. Um ein besseres Gesamtbild zu bekommen, haben wir unsere Testverfahren umgestellt.“
Simon Roberts ist zuversichtlich, dass die Konstrukteure alle Probleme verstanden haben. „Es war ein langer Prozess, nicht der eine Moment, an dem wir gesagt haben: Das genau ist es. Wir hätten einige der Erkenntnisse schon in das aktuelle Auto einfließen lassen können, doch das hätte auf das Gewicht des Autos gedrückt. Deshalb war das Entwicklungstempo in der zweiten Saisonhälfte eher langsam.“ Stella ergänzt: „Es ist nicht so, dass uns die Ideen gefehlt hätten. Das Konzept selbst hatte einfach seine Grenzen. Viele Änderungen wären gar nicht durchgeschlagen.“
Das schwierig zu fahrende Auto spielte Fernando Alonso in die Hände. Mit der Erfahrung von 312 GP-Starts hat der Spanier gelernt, Probleme zu umfahren. Stella kennt Alonso in- und auswendig. Er war sieben Jahre lang sein Renningenieur: „In seiner ganzen Karriere hat sich Fernando immer dann von seinen Teamkollegen abgehoben, wenn das Auto schwierig zu fahren war. So wie 2012 und 2014 bei Ferrari. Vandoorne war letztes Jahr viel näher dran. Weil das Auto besser war. Doch das aktuelle Auto produzierte instabilen Abtrieb im Heck. Darunter litt Stoffel mehr als Fernando.“