Waren es wirklich nur Wrackteile?
Alarm nach Reifenplatzern in Baku: Waren es wirklich nur Wrackteile?
Zwei Reifenplatzer links hinten bei über 300 km/h alarmieren die Formel 1. Waren wirklich Wrackteile schuld, wie es Pirelli vermutet oder doch Überbelastung? Für die These mit den Trümmern würde ein beschädigter Hinterreifen bei Lewis Hamilton sprechen.
Es ist ein Platz, an dem sich kein Fahrer einen Reifenschaden wünscht. Max Verstappen und Lance Stroll erwischte es auf der 1,9 Kilometer langen Zielgerade des Baku City Circuit bei weit über 300 km/h in einer Bobbahn aus Mauer., aus der es kein Entrinnen gibt. Beide Male links hinten. Beide Male die harte Mischung. Beide Male nach Aussage der Teams ohne Vorwarnung. Keine Vibrationen, keine auffälligen Temperatursprünge, kein Druckverlust.
Stroll und Verstappen landeten unsanft in der Mauer. Verstappen verlor einen Sieg, Stroll wichtige WM-Punkte. Die Laufzeiten der Reifen waren fast identisch. Stroll befand sich auf den letzten Metern seiner 30. Runde. Verstappens Reifensatz hatte 33 Runden auf der Lauffläche, als es zu einem plötzlichen Druckverlust kam. Der Red Bull-Pilot war sichtlich angesäuert: "Solche Dinge sollten nicht passieren. Pirelli wird wahrscheinlich wieder sagen, dass es Wrackteile waren."
Hamiltons Hinterreifen war beschädigt
Aus Verstappens Sicht sprach gegen diese Theorie, dass die 18 Fahrer die Unfallstelle von Stroll nach dem Re-Start schon acht Mal im Renntempo passiert hatten. "Wir alle sind in verschiedenen Linien über die Zielgerade gefahren. Wenn da wirklich Trümmer herumlagen, hätte sie einer schon früher aufsammeln müssen." Der Red Bull-Pilot war nicht der erste, dem ein Reifenplatzer in Baku einen Sieg raubt. 2018 erwischte es Valtteri Bottas.
Für eine Beschädigung von außen sprach dagegen eine Beobachtung, die Pirelli-Techniker nach dem Abbruch des Rennens am linken Hinterreifen von Lewis Hamilton gemacht hatten. "Wir haben an der Innenschulter einen sechs bis sieben Zentimeter langen Schnitt entdeckt. Er war zum Glück nicht tief genug, dass er die Konstruktion des Reifens beschädigt hätte", erklärte Pirelli-Sportchef Mario Isola.
Der Italiener hielt sich mit Mutmaßungen zurück. "So nah am Rennen können wir noch keine Schlussfolgerungen treffen. Es gibt ein paar Indizien, mehr nicht. Ein genaues Ergebnis kann erst eine Untersuchung in unserem Labor in Mailand ergeben. Die Fracht geht gleich am Montag raus. Wir werden nicht nur die beschädigte Reifen unter dem Mikroskop untersuchen, sondern auch intakte, um uns ein Bild zu machen, was es gewesen sein könnte." Außerdem will Pirelli TV-Bilder und Aufnahmen der Streckenkameras prüfen, um herauszufinden, ob irgendwelche Teile in der Schusslinie lagen.
Hoher Verschleiß ist auszuschließen
Als Verstappen in die Mauer segelte, waren die meisten Fahrer mit den harten Reifen unterwegs. Sie hatten zu dem Zeitpunkt zwischen 27 und 40 Runden abgespult. Zu hohen Verschleiß als Ursache schließt Isola aus. Weil man das an den Temperaturdaten hätte feststellen können, und weil nach Augenschein in der Boxengasse bei allen noch genügend Gummi auf der Lauffläche war. Auch weil der linke Hinterreifen auf einer Strecke mit 12 Linkskurven und acht Rechtskurven eher unverdächtig ist. Die größere Last liegt auf dem rechten Hinterreifen.
Wrackteile fallen im Fall von Stroll aber eigentlich auch aus. Der GP Aserbaidschan war bis dahin ein eher friedliches Rennen ohne Feindkontakt. Isola meinte, dass auch Randsteine verantwortlich gewesen sein könnten. Da kommen allerdings nicht so viele in Frage. Nur in vier Rechtskurven lassen sich die Fahrer am Ausgang mit dem linken Hinterreifen auf den Randstein treiben. In den Kurven 12 und 15 treffen sie ihn innen.
Für Pirelli ist es eminent wichtig, dass die beiden Unfälle auf Einwirkungen von außen zurückzuführen sind. Der italienische Hersteller hatte erst im Winter die Konstruktion seiner Reifen verstärkt, weil es in der Saison 2020 zu einigen Schäden gekommen war, damals vermutlich die Folge von zu hoher Belastung und Treffern von aggressiven Randsteinen. Es würde kein gutes Bild abgeben, wenn sich das trotz der Modifikation wiederholt hätte. Lance Stroll wusste jedenfalls wie es sich anfühlt, wenn einem bei hoher Geschwindigkeit ein Hinterreifen hochgeht. Er flog aus genau diesem Grund im letzten Jahr mit 270 km/h in der Arrabiata-Kurve von Mugello in die Absperrungen.