Wie weit kommt Hamilton nach vorne?
Mercedes hat das schnellste Auto auf dem Istanbul-Park. Aber der Vorsprung auf Red Bull ist geschrumpft. Das macht die Aufgabe im Rennen umso schwerer. Valtteri Bottas muss Max Verstappen einbremsen, Lewis Hamilton muss aufholen.
Unter normalen Umständen würden in Istanbul zwei Mercedes in der ersten Startreihe stehen. Lewis Hamilton./span> würde seine 102. Trainingsbestzeit feiern und Valtteri Bottas als treuen Helfer an seiner Seite wissen.
Der Motorwechsel im Auto mit der Startnummer 44 schreibt die Geschichte um. Die Pole Position geht an Valtteri Bottas, und Hamilton startet nur vom elften Platz. Dafür steht sein WM-Rivale Max Verstappen jetzt in der ersten Startreihe.
Wären die Longruns vom Freitag der Maßstab, könnte Hamilton die Strafe noch geradebiegen. Da war Red Bull nirgendwo. Doch der Vorsprung der Mercedes ist dramatisch geschrumpft. Max Verstappen verlor nur noch 0,330 Sekunden auf Hamilton.
Den Großteil davon auf dem schnellsten Stück der Strecke. Der Honda-Motor ging überraschend früh in den Ladebetrieb. "Das hat uns drei Zehntel gekostet", glaubt Teamchef Christian Horner. Verstappen gibt aber zu: "Für die Pole Position hätte es auch so nicht gereicht. Mercedes war immer noch schneller als wir."
Red Bull kriegt die Kurve
Trotzdem hat Red Bull nach einem erschreckend schwachen Freitag noch die Kurve gekriegt. Horner räumt ein, dass die Ingenieure von dem überraschend hohen Grip auf dem falschen Fuß erwischt wurden. "Wir gingen schon davon aus, dass der Grip besser geworden ist. Aber nicht um so viel. Das ist eine ganz andere Rennstrecke als letztes Jahr. Die Abstimmung der Autos wurde auf der Basis einer Strecke mit mittlerem Grip erstellt."
Mercedes stand vor dem gleichen Problem. In den Simulationsmodellen wurden Rundenzeiten zwischen 1.25 und 1.26 Minuten erwartet. Tatsächlich war die Strecke um drei Sekunden schneller. Doch die Mannschaft um Chefingenieur Andrew Shovlin reagierte schneller und besser auf die geänderten Verhältnisse als der WM-Gegner. Deshalb der große Unterschied am Freitag.
Red Bull erhöhte für den Samstag leicht den Abtrieb. Der große Schritt aber kam von der Mechanik. Das Auto war am ersten Trainingstag zu weich abgestimmt, um das vermutete Gripdefizit abzufangen. Das wurde in einer Radikalkur über Nacht geändert.
Sebastien Buemi testete in der Nacht von Freitag auf Samstag in der Fabrik in Milton Keynes das neue Setup im Simulator. Weil das dritte Training auf nasser Piste stattfand, musste Red Bull bis zum Q1 warten, bis feststand, dass die Rennstrecke verifizierte, was der Simulator versprach.
Hamilton mit Sprit für drei Runden
Für Mercedes waren zwei Dinge wichtig. Bottas sollte sich möglichst vor Verstappen qualifizieren, und Hamilton sollte auf die virtuelle Pole Position fahren, damit er nach Abzug von zehn Startplätzen so weit vorne wie möglich ins Rennen gehen kann. Beide Ziele wurden erreicht. Mercedes lotste Hamilton im Q3 extra fünf Minuten vor Ablauf der Zeit auf die Strecke und gab ihm Sprit für drei Runden mit auf die Reise.
Ein Ingenieur erklärt den Hintergedanken: "Wir hatten in der ersten fliegenden Runde Probleme mit den Reifen.emperaturen in den ersten drei Kurven. Deshalb haben wir Lewis aus dem Verkehr genommen, damit er seine Aufwärmrunde frei fahren kann. Für alle Fälle hatte er extra Sprit für eine zweite schnelle Runde an Bord." Da der Engländer die Zeit von 1.22,868 Minuten in seinem ersten Versuch fuhr, hat er durch den Gewichtsnachteil noch zwei Zehntel hergeschenkt.
Auch Bottas hätte nach eigener Aussage schneller fahren können. "Ich hatte in meiner schnellsten Runde im letzten Sektor zu viel Untersteuern." Da verlor der Finne eineinhalb Zehntel auf seinen Teamkollegen.
Die Red Bull ließen ihre Zeit gleichmäßig verteilt über alle drei Sektoren liegen. Horner klagte: "Mercedes ist für den Abtrieb, den sie fahren, extrem schnell auf den Geraden. Das beobachten wir jetzt seit Silverstone. Irgendwas ist da komisch." Das Top-Speed-Delta zwischen Mercedes und Red Bull lag bei 5 km/h.
Harte Reifen im Q2 zu großes Risiko
Hamilton kann im Rennen einen guten Top-Speed gebrauchen. Wenn er gewinnen will, muss er an zehn Autos vorbei. Und er muss darauf hoffen, dass Bottas seinen WM-Gegner in Schach hält. Wenn Verstappen einmal in Führung liegt, wird der Holländer von dort schwer wieder zu verdrängen sein.
Die Red Bull-Fahrer haben sich sogar zwei Satz harte Reifen reserviert, um für den Sonntag gut gerüstet zu sein. Bottas hat vom Team aus freie Fahrt. "Ich konzentriere mich auf mein eigenes Rennen." Teamchef Toto Wolff bestätigt: "Valtteris Sieg wäre auch unser Sieg."
Hamilton fürchtet, dass ihm ein arbeitsreicher Grand Prix bevorsteht: "Fast alle vor mir starten auf den gleichen Reifen. So kann ich auch taktisch nichts gutmachen. Das Überholen ist nicht so einfach hier. Wir haben bei Max in Sotschi gesehen, wie schwer es sein kann, durch das Feld zu kommen." Mit Ausnahme von Yuki Tsunoda haben sich alle Fahrer in den Top Ten im Q2 auf Medium-Reifen qualifiziert.
Mercedes dachte sogar darüber nach, Hamilton im Q2 mit harten Reifen auf die Strecke zu schicken, um ihm am Sonntag taktisch eine Trumpfkarte in die Hand zu geben, verrät Wolff. "Das erschien uns aber zu riskant, nachdem wir uns schwer getan haben, die Reifen auf Temperatur zu bringen."
Der Österreicher will die Hoffnung nicht aufgeben: "Für eine Aufholjagd wünsche ich mir keinen anderen Fahrer als Lewis im Auto. Wir haben aber schon anhand von Simulationen am Freitag gesehen, wie schwierig es ist, anderen Auto zu folgen. Deshalb können wir nur hoffen, dass vorne der Zug nicht davonfährt, solange Lewis noch im Verkehr feststeckt."