Die größte Aufholjagd der Geschichte

John Watson gelang 1983 beim GP USA-West die größte Aufholjagd der Formel-1-Geschichte. Von Startplatz 22 raste der McLaren-Pilot zum Sieg. Wir erinnern noch einmal an das verrückte Rennen in Long Beach.
Auf McLaren hätte keiner gewettet. John Watson und Niki Lauda standen einträchtig auf den Startplätzen 22 und 23 nebeneinander. Teamchef Ron Dennis warf seinen älteren Herren im Cockpit mangelnden Einsatz vor. Die entschuldigten sich mit niedrigen Reifentemperaturen. Ein Leiden, dass alle Michelin-Teams im Training befiel, die Autos mit Saugmotoren ganz besonders. „ Michelin hat die Reifen für die Kraft der Turbomotoren konzipiert. Mit unseren 520 PS werden sie nur warm, wenn Benzin im Tank ist“, beschwerte sich John Watson.
Einen Tag später war er ein historischer Sieger. Ein Sieger, der von so weit hinten kam wie kein anderer. Neben ihm verspritzte Teamkollege Niki Lauda Champagner. Der Österreicher hatte die weicheren Reifen gewählt. Ein Fehler. John Watson profitierte von den härteren Reifen in der zweiten Rennhälfte. Sie bauten weniger stark ab als die weichen Sohlen des Teamkollegen. Lauda war trotzdem neuer WM-Spitzenreiter. Den dritten Rang belegte trotz Reifenwechsel René Arnoux. Der Ferrari-Pilot war bester Turbo-Pilot.
Der letzte Grand Prix in Long Beach
Long Beach erwartete die GP-Gemeinde mit einer neuen Streckenvariante. Der dritten in acht Jahren. Neue Zielgerade war der Shoreline Drive. Die Gegengerade verlief eine Etage unterhalb des Ocean Boulevard mit einer Serie von fünf langsamen Ecken davor. Kurz vor Ende der Geraden lauerte eine böse Bodenwelle. Die Autos sprangen wie einst am Nürburgring. Doch sie waren für Sprünge dieser Art nicht mehr gebaut. Der Sprunghügel musste abgetragen werden. Für Long Beach war es der letzte Grand Prix. Die Rumpelpiste hatte ihren Reiz verloren. Veranstalter Chris Pook gestand Bernie Ecclestone: „Die IndyCar-Serie kommt mich billiger.“
Die Goodyear-Piloten kamen auf der Jagd nach der schnellsten Trainingsrunde am besten zurecht. Patrick Tambay feierte seine erste Pole-Position vor Ferrari-Kollege René Arnoux und den beiden Williams-Fahrern Keke Rosberg und Jacques Laffite. In der dritten Reihe standen Elio de Angelis im Lotus-Renault und Derek Warwick auf Toleman-Hart. Beide auf Pirelli-Sohlen. Das stolze McLaren-Team musste weit nach hinten in die Startaufstellung laufen. Watson und Lauda fanden einfach keinen Grip. Die Michelin-Sohlen waren viel zu hart für ein Auto, das extrem auf Reifenschonen ausgelegt war.
Rosberg reißt Tambay und Jarier ins Verderben
Im Rennen spielte Keke Rosberg den Bösewicht. Er rempelte René Arnoux beim Start an, drehte sich beim Versuch, Patrick Tambay auszubremsen bei Tempo 200 um 360 Grad und legte sich 26 Runden später ein zweites Mal mit dem Ferrari-Fahrer an. Als Tambay die Le Gasomet-Haarnadel anbremste und dabei querstand, sah Rosberg auf der Innenspur seine Chance. Tambay dachte nicht daran nachzugeben. Dabei sprang der Ferrari mit dem rechten Hinterrad über Rosbergs linkes Vorderrad. Der Spitzenreiter musste aussteigen. Sein Motor war abgestorben.
Rosberg hetzte weiter und lieferte sich mit Teamkollege Laffite ein Beschleunigungsduell bis zur Schikane vor der Boxeneinfahrt. Da Laffite innen lag, musste Rosberg nachgeben. Der dicht folgende Jean-Pierre Jarier rechnete nicht mit Rosbergs frühem Bremsmanöver. Der Ligier krachte dem Williams ins Heck. Damit waren beide aus dem Rennen und gaben sich gegenseitig die Schuld. Später verlor der Williams-Pilot Laffite in einer Runde 20 Sekunden. „Weil ich mir das Helmband zu fest zugezogen hatte, und ich es auf der Geraden lösen musste.“
Mühsamer Fortschritt bei McLaren
Die McLaren-Piloten kamen zunächst nur langsam nach vorne. In Runde 13 lagen Lauda und Watson noch auf den Plätzen 15 und 16. Ihre-Michelin-Gummis waren immer noch nicht warm. Lauda hatte Watson in der 4. Runde überholt, weil er in der Anfangsphase mit dem weicheren Gummis besser gerüstet war. In Runde 20 hatte sich der McLaren-Express auf die Ränge 12 und 13 vorgeschoben. An einen Sieg dachte immer noch keiner.
Rosbergs Kollisionen in Runde 16 mit Tambay und Jarier schenkten den McLaren-Pilot Positionen. Jetzt lagen Lauda und Watson hinter Jacques Laffite, Riccardo Patrese und Marc Surer bereits in den Punkterängen. „Da habe ich das erste Mal an einen Siegchance geglaubt“, erinnert sich Watson. An Surers Arrows gingen die McLaren-Boys im Doppelpack vorbei. „Ich bin Niki einfach hinterhergefahren“, lachte Watson im Rückblick.
Kurz nach Halbzeit des Rennens ließen bei Lauda die Reifen immer stärker nach. Watson nutzte die Schwäche, übernahm das Kommando und wunderte sich: „Niki hat sich nicht mal gewehrt.“ Die Aufholjagd brachte Watson und Lauda immer näher an das Führungsduo heran. Weil auch bei Laffite die Reifen Grip verloren, setzte Patrese am Ende des Shoreline Drive zu einem Ausbremsmanöver an. Er landete dabei im Notausgang. Watson und Lauda sagten Danke.
Watsons Siege von Platz 22, 17 und 10
Schon in der 45. Runde passierte das Undenkbare. Ein McLaren übernahmen die Führung. Erst zog Watson an Laffite vorbei, dann Lauda. Watson zog in den letzten Runden seinem Teamkollegen noch um 28 Sekunden davon. Lauda quälte sich mit Beinkrämpfen ins Ziel. Vor Arnoux war er sicher. Der Ferrari-Pilot lag weitere 46 Sekunden zurück.
Watson musste sich bei seiner Rückkehr nach England eine Standpauke von Teamchef Ron Dennis und Chefingenieur John Barnard anhören. Der Nordire hatte beim Siegerinterview den Code seiner Reifenwahl ausgeplaudert. Ein belangloses Detail. Doch die McLaren-Bosse echauffierten sich. „Technische Daten sind Eigentum des Teams.“ Watson war übrigens ein Spezialist für Sieg von schlechten Startplätzen. Im Jahr zuvor hatte er in Detroit von Platz 17 gewonnen. Und in Belgien 1982 von Rang 10.
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