Verstappen in Unterzahl
Max Verstappen hat mit der Pole Position von Zandvoort ein Etappenziel erreicht, aber noch lange nicht den Sieg in der Tasche. Es gibt auch gute Gründe, die für einen Mercedes-Erfolg sprechen. Lewis Hamilton feuerte schon mal einen Warnschuss ab.
Das war knapp. Max Verstappen fuhr im dritten Training, im Q1 und Q2 allen davon. Mit seinem ersten Versuch im Q3 schien der Holländer allen anderen den Zahn gezogen zu haben. Seine Zeit von 1.08,923 Minuten lag drei Zehntel unter den besten Runden von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas. Als Verstappen dann seine eigene Bestzeit noch leicht auf 1.08,885 Minuten verbesserte, war das wie eine Zugabe an seine Fans.
Doch die Party in Orange hätte ein böses Ende nehmen können. Während Bottas auf seinen 1.09,222 Minuten sitzen blieb, packte Hamilton noch einmal den Hammer aus. Bis Kurve 8 lag der Weltmeister noch zwei Zehntel hinter seinem WM-Gegner, doch dann robbte er sich Schritt für Schritt an die Bestzeit heran. Zum Schluss fehlten nur 38 Tausendstel auf Verstappen.
"Ich hatte zwei perfekte Sektoren zwei und drei. In der letzten Kurve habe ich den Platz bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt", atmete Hamilton auf. Bottas gab zu: "Für mich wäre die Pole Position heute nicht möglich gewesen. Der letzte Versuch hat sich bis Kurve 11 gut angefühlt. Dann wollte ich zu viel und habe zu spät gebremst."
Chefingenieur Andrew Shovlin war unter den Umständen mit dem Ergebnis zufrieden. Die Ingenieure hatten vor der Qualifikation noch Feintuning am Setup vorgenommen, mussten aber bis zum Q3 warten, bis man die Auswirkungen deuten konnte. "Am Anfang sind wir auf dem Medium-Reifen gefahren und danach hatten wir im Q2 wegen der roten Flagge kalte Reifen. Erst im letzten Abschnitt sind wir zum ersten Mal mit heißen Soft-Reifen gefahren, und das Auto hat gut auf die Änderungen reagiert."
Auf Kriegsfuß mit Kurve 3
Die Mercedes standen auf Kriegsfuß mit dem ersten Sektor. Das ganze Wochenende verloren die Silberpfeile Zeit in den Kurven 2 und 3, speziell in der Hugenholtz-Steilkurve. "Die schnellste Linie ist früh von unten auf die obere Spur zu fahren, doch wenn unsere Fahrer das machen, wird das Auto unruhig", erzählten die Ingenieure.
Hamilton glaubt, dass er mit mehr Runden vielleicht doch noch den Schlüssel für diese Kurve gefunden hätte. Doch wegen des Motorschadens legte der WM-Spitzenreiter am Freitag nur 20 Runden zurück.
Hamilton startet noch mit einem weiteren Handikap in den 13. WM-Lauf. "Ich bin am Freitag keinen einzigen Longrun gefahren und weiß nicht, wie sich das Auto mit vollen Tanks anfühlen wird." Dann ein kleiner Scherz: "Meine einzige Referenz ist mein Formel-3-Rennen aus dem Jahr 2005." Der Mini-Dauerlauf auf den Soft-Gummis im dritten Training war nur ein unzureichender Ersatz.
Mercedes mit zwei Medium-Sätzen
Trotzdem sieht es für Mercedes im Verstappen-Land gar nicht so schlecht aus. "Wir fahren mit zwei Autos gegen eines. Die Strategie wird eine große Rolle spielen, weil das Überholen so schwierig ist", macht sich Hamilton Hoffnung. Verstappens Teamkollege Sergio Perez startet vom 16. Platz und wird keine große Hilfe sein. Der Titelverteidiger hat noch einen Trumpf im der Hinterhand. Beide Fahrer haben je zwei Garnituren Medium-Reifen in ihrem Kontingent, alle anderen nur einen.
Die Mercedes-Strategen erwarten nach den Erfahrungen aus dem Training ein Rennen mit vielen Safety-Cars. "Da wollen wir möglichst flexibel sein." Laut Bottas liegt das Rennen genau in der Mitte zwischen einem oder zwei Stopps. Ein Safety-Car würde diese Entscheidung erleichtern.
Wer mit zwei Medium-Sätzen taktieren kann, hat einen Vorteil. Die Gegner müssten dann ein Mal die harten Reifen nehmen, die deutlich langsamer sind. Es gibt aber auch einen Faktor, der gegen Mercedes spricht. Red Bull bestimmte in den Longruns am Freitag das Tempo. Man wird in Verstappens Dunstkreis bleiben müssen, um von der Strategie zu profitieren.
Schattenboxen gegen Red Bull
Immerhin machte sich der WM-Rivale im Feindesland viele Freunde. Teamchef Toto Wolff und Lewis Hamilton lobten brav die Strecke und die Fans. Statt Buhrufen gab es respektvollen Applaus. Das Schattenboxen im Hintergrund gegen Red Bull ging indessen weiter. Am Morgen hatten die Sportkommissare Verstappen zu einer Befragung eingestellt, warum er im zweiten unter roter Flagge Lance Stroll überholt hatte.
Die Stewards reagierten mit einem Tag Verzögerung. Offenbar nicht nur, weil die Aufnahmen aus Verstappens Bordkamera nicht gleich verfügbar waren. Aston Martin hatte die FIA um eine Untersuchung gebeten. Böswillige behaupten, Technikpartner Mercedes hätte dahintergesteckt.
Wolff dementiert. "Aston Martin hat den Anfang gemacht. Dann haben sich alle anderen drangehängt." Die Angelegenheit verlief im Sande. Verstappen schloss mit einem Speed-Unterschied von 110 km/h auf den Aston Martin auf. "Er hatte weniger als eine Sekunde Zeit auf die rote Flagge zu reagieren", erklärte Sportkommissar Gerry Connelly.