Das Gesicht der McLaren-Renaissance
Lando Norris ist das Gesicht der McLaren-Renaissance. Der 21-Jährige fährt eine bemerkenswerte Saison – inklusive vier Podestplätzen und einer Pole Position. Der Saisonverlauf kennt auch Rückschläge, die Norris aber schnell wegsteckt. Inzwischen wird er in einem Atemzug mit Max Verstappen, Charles Leclerc und George Russell genannt.
Diese Formel-1-Saison kennt bereits zwei Überraschungssieger. Esteban Ocon in Ungarn und Daniel Ricciardo in Monza. Beinahe wäre in Russland ein Dritter hinzugekommen. Wobei ein Sieg von Lando Norris eine deutlich kleinere Überraschung gewesen wäre als bei den anderen beiden. Dafür fährt der 21-Jährige in dieser Saison einfach zu gut.
Er stand bereits vier Mal auf dem Podest, schrammte in Imola, Österreich und Spa-Francorchamps an der Pole Position vorbei, bevor er sich in Sotschi zum fünftjüngsten Pole-Setter der Geschichte nach Sebastian Vettel, Charles Leclerc, Fernando Alonso und Max Verstappen machte. Das Rennen führte er bis zur viertletzten Runde an. Bis der Regen zu stark wurde, um auf Intermediate-Reifen durchzuhalten. Norris riskierte, Norris verlor. Und trotzdem überschütteten ihn Fahrer-Kollegen und Experten mit Lob. Tenor: Der erste Sieg ist nur eine Frage der Zeit.
Der GP Russland war der letzte Beweis, dass da ein Großer heranwächst. Einer, der sich in Zukunft wahrscheinlich mit Max Verstappen, George Russell und Charles Leclerc um Poles und Rennsiege streiten wird. Einer, der in diese Kategorie gehört. Norris verlor zwar den Start, weil er auf den 890 Metern vorneweg verhungerte und Carlos Sainz Windschatten spendete. Doch er jagte den Spanier, schonte die Reifen hinter dem Ferrari, überholte und enteilte. "Sein erster Stint war unglaublich. Er hat auf dem Mediumreifen doppelt so lange durchgehalten wie wir und war dazu noch schneller", applaudierte selbst das Ferrari-Lager.
Norris arbeitet mehr an Details
Viele im Fahrerlager sprechen davon, dass Norris in seinem dritten Jahr als Stammfahrer in der Königsklasse den endgültigen Durchbruch geschafft hat. "Es ist schön zu sehen, dass sich die Arbeit auszahlt, die ich reinstecke", sagt der McLaren-Pilot. "Für mein Selbstvertrauen, für mein Gefühl ist es gut, dass ich weiß, was ich jedes Wochenende zu tun habe. Was ich tun muss, um alles aus dem Auto herauszuholen. Aber es ist nicht so, dass ich irgendwie den Durchbruch geschafft habe, weil ich etwas gefunden habe und schneller fahre. Das ist nicht der Fall. Der Fall ist, dass ich gewisse Sachen mache, die mir solche Performances ermöglichen."
Der Fokus auf sich selbst ist größer geworden. Norris verbringt mehr Zeit im Simulator, mehr Zeit mit den Ingenieuren, geht mehr in die Details in der Vorbereitung und der Nachbearbeitung der Rennen. Er ist auf der Strecke weiter gereift, aber vor allem auch daneben. Sein Verständnis ist gewachsen, ein Rennwochenende vom ersten Training an aufzubauen, um ab der Qualifikation zuzuschlagen. Die Konstanz ist höher, die Fehlerquote verhältnismäßig gering.
Mit der Lockerheit, dem Bübischen, der unbeschwerten Art wächst da einer in die Rolle des Team.eaders. Norris hat sich zum Gesicht des Wandels bei McLaren entwickelt. Weg vom Klinischen, hin zu einer offenen Mannschaft, in der es nicht den einen Star gibt, sondern jeder einen wichtigen Beitrag zum Erfolg beisteuert.
2018 als Wendepunkt bei McLaren
Er selbst hat die Ausläufer der Krise im Team erlebt und prägt den Aufschwung der letzten Jahre. "In der Qualifikation von Sotschi 2018 war das Team 4,1 Sekunden weg von der Pole Position. Ich habe mir das angeschaut und gedacht: Wie schwer muss das für jeden im Team, für die Fahrer gewesen sein? Was machen wir jetzt? Ich glaube, dass war der Zeitpunkt, als sich alles ziemlich verändert hat." Damals fuhr Norris noch Formel 2, war aber bereits an vielen Rennwochenenden Teil des Team.. Er stieß in einer Phase zu McLaren, als die alten Strukturen, die alten Krusten endgültig aufgebrochen wurden.
McLaren-CEO Zak Brown leitete die Modernisierung ein, ergriff die richtigen Maßnahmen, rekrutierte die passenden Leute für den Wiederaufbau eines brachliegenden Team., wie zum Beispiel Team.hef Andreas Seidl oder Technikchef James Key, um McLaren einen anderen Anstrich zu verpassen. Und die ersten Schritte auf dem langen Weg zurück an die Spitze zu gehen. "2018 war so ein Jahr des Übergangs. Seither haben sich viele Dinge verändert – mit der Ankunft von Andreas, mit einem anderen Arbeitsumfeld. Du musst nicht mehr in Anzug und Krawatte ins Büro kommen. Es ist nicht mehr so, dass die Jungs jeden Tag wie zu einem Business-Meeting kommen."
Norris mit gutem Gefühl
McLaren hat wieder eine klare Handschrift. McLaren hat einen Plan, der Schritt für Schritt umgesetzt wird. Fehler werden abgestellt, Werkzeuge modernisiert. Wie das Equipment für Boxenstopps. Die Analyse fällt schonungslos aus, ohne mit dem Finger auf einen Schuldigen zu zeigen. "Wir hatten letztes Jahr ein paar schlechte Boxenstopps, bei denen der Reifen nicht richtig drauf war, oder die Mutter verkantet ist. Diese Fehler treten in dieser Saison viel weniger auf. Und wenn wir mal einen machen, kostet er uns nicht zehn Sekunden oder das Rennen, sondern eine halbe Sekunde oder Sekunde", lobt Norris.
Einen Vergleich zu anderen Team. kann der junge Engländer nicht ziehen, weil er in seiner Laufbahn bislang nur bei McLaren war. Doch was er sieht, was er hört, wie das Team in Infrastruktur wie einen neuen Fahrsimulator oder Windkanal (beides 2022) investiert, macht ihm Mut.
"Es gibt immer Raum, uns zu verbessern. Aber mit den Leuten, die wir jetzt im Team haben, wie alles strukturiert ist, die Investments, die getätigt werden und mit Andreas als Chef der Organisation: Ich habe mehr Vertrauen denn je in dieses Team. Ich habe das Gefühl, dass wenn wir um eine Weltmeisterschaft kämpfen würden, wir in einer sehr guten Position wären. Wir machen in so vielen Bereichen so viele Fortschritte. Beispiel Boxenstopps in Monza. Die Mechaniker standen unter Druck und haben die beste Arbeit von allen Team. abgeliefert."
Monza im Kopf: Was wäre wenn?
Monza bringt uns zum Seelenleben des jungen Rennfahrers. Eigentlich ist Norris in diesem Jahr der Überflieger im Team, lässt Daniel Ricciardo in den meisten Fällen (weit) hinter sich. Und doch war es der Australier, der McLaren den ersten Sieg seit Brasilien 2012 bescherte. Norris verzichtete in der Schlussphase auf Angriffe, und zeigte seine Qualitäten als Team.layer.
Auch wenn der zweite Platz mit der Möglichkeit auf den ersten Sieg vor Augen schmerzte, stellte Norris das Wohl der Mannschaft über sein eigenes. "Ich denke nicht, dass ich an diesem Wochenende viel mehr hätte machen können. Im Sprintrennen hat mich Daniel überholt, weil ich nach rechts zog und keinen Windschatten bekam. Das passiert." Dadurch war der Team.ollege auch für das Hauptrennen in einer besseren Ausgangsposition – und nutzte sie.
In der Schlussphase wollte die McLaren-Teamführung keinen Zweikampf ihrer Fahrer erleben. "Monza tut insofern weh, dass ich nicht die Möglichkeit hatte, zu erfahren, was hätte passieren können. Das ist schon in meinem Kopf, tief in mir drin, was passiert wäre, wenn ich angegriffen hätte. Speziell, weil es um den Sieg ging. Aber so sehr es mich auch ärgert, wenn ich irgendwas für das Team will, dann einen Doppelsieg. Das macht es auf gewisse Weise einfacher, zu verkraften", sagt Norris.
Kein Vorwurf wegen Spa-Crash
Es ist eine seiner Stärken in noch jungen Jahren: Rückschläge verdauen, und nach vorne schauen. Aber nicht einfach vergessen, sondern mit Erfahrung besser werden. Beispiel Spa. Da feuerte Norris in Eau Rouge im Regen sein Auto in die Streckenbegrenzung. Dabei schien er auf dem Weg zu einer sicheren Pole. "Wenn ich keinen Unfall gebaut hätte, wäre es einem anderen passiert. Darauf wette ich mein ganzes Geld. George fuhr vor mir und hatte auf der Kemmel-Geraden fast einen riesigen Crash. Als Rennfahrer kannst du nicht einfach rumfahren, und etwas erwarten. Es hat sich nicht angefühlt, dass ich ein großes Risiko eingegangen bin", führt Norris aus.
"Es kann sein, dass ich 2 km/h zu schnell war. Aber du weißt ja nie, was das ausmacht. Sind es zwei km/h mehr im Verhältnis zu 150 km/h, zu 180 km/h? Das kannst du nie wissen. Ich bereue nichts. Ich bin glücklich über meine Herangehensweise. Es war einfach zu nass für Formel-1-Autos. Ich habe eine Pfütze erwischt, und weg war ich. Ich war der Unglücksrabe, der ein, zwei oder drei km/h zu schnell in dieser Kurve war. Aber irgendwann wäre einer abgeflogen. Leider war ich der erste."
Keine Wette mit Zak Brown
Die verpasste Pole hat er nachgeholt. Und auch der erste Sieg scheint nur eine Frage der Zeit, auch wenn Norris sagt. "Wir haben viel Arbeit vor uns, wenn wir so etwas wie Monza noch einmal erreichen wollen. Auf anderen Strecken brauchen wir mehr Glück, als dass wir aus eigener Stärke um den Sieg kämpfen."
Und hat der Engländer auch eine Wette mit McLaren-Boss Brown laufen, wie Ricciardo? Für den Fall, dass er gewinnt? Der Australier darf nach dem Monza.Erfolg ein altes NASCAR-Auto fahren. "Wir haben nichts laufen", erzählt Norris. "Wir wollten mal eine Wette starten, was aber noch nicht passiert ist. Daniel hat aber mehr Sinn für die Historie als ich. Vielleicht wegen seines Alters. Ich respektiere die Geschichte, aber ich lebe in einer anderen Zeit und habe kein großes Interesse daran. Es ist nicht so, dass ich da etwas Spezielles ausprobieren möchte. Es ist eigentlich eher so, dass ich Angst bekomme, wenn ich ein Auto fahre, das nicht meins ist. Das genieße ich bis jetzt nicht. Bei einer Wette müsste es um etwas anderes gehen."