Das Problem mit den Reifen
Mercedes steht auf Kriegsfuß mit Stadtkursen. Nach der Pleite von Monte Carlo droht in Baku das nächste Desaster. Wieder bringen die schwarzen Silberpfeile die Reifen nicht auf Temperatur. Doch es besteht Hoffnung, weil die Longruns passen und Rennstrecke am Kaspischen Meer überholfreundlich ist.
Es war einer der schlechtesten Freitage in den letzten Jahren für das erfolgsverwöhnte Mercedes. Im ersten Training schafften es Lewis Hamilton und Valtteri Bottas wenigstens in die Top 10. Mit Rückständen von 0,709 und 1,707 Sekunden auf den führenden Max Verstappen. Im zweiten Training stürzten die Titelverteidiger ab. Hamilton auf Platz elf, Bottas auf Rang 16. Der eine um eine Sekunde geschlagen, der andere um zwei Sekunden hinter der Bestzeit von Sergio Perez.
Die Fahrer kratzen sich am Kopf. "Ich fahre eigentlich gut. Im Prinzip habe ich nur im ersten Training einen Verbremser drin gehabt. Das Auto war einfach gehemmt. Am Nachmittag mehr als am Vormittag. Wir waren einfach viel zu langsam. Es fehlt Grip. Ich habe das Gefühl, dass wir uns heute zurückentwickelt haben", berichtete der Weltmeister. Der Teamkollege schlug in die gleiche Kerbe. "Mit der Balance liegen wir nicht so weit daneben. Das Auto ist zwar manchmal unberechenbar, aber das ist nicht das Problem. Wir schaffen es einfach nicht, Grip aufzubauen. Da muss etwas fundamental falsch sein."
Die Faktoren gegen Mercedes./strong>
Mercedes steht ein langer Abend bevor. Die Ingenieure müssen Lösungen finden, für ein Problem, das die Silberpfeile schon die ganze Saison verfolgt, ihnen aber erst seit Monaco die Flügel stutzt. Weil es sich auf langsamen Stadtkursen verstärkt. Egal, wie heiß es ist, die Reifen wollen am Mercedes einfach nicht schnell genug auf Temperatur kommen. Hamilton und Bottas verfehlen in ihren W12 meilenweit das magische Reifen.enster. Mit unterkühlten Reifen geht in jeder Kurve Rundenzeit verloren. Und das summiert sich in 20 Ecken auf einer 6,003 Kilometer langen Runde.
Selbst ein in der Sonne bis zu 50 Grad heißer Asphalt nutzte den Dauersiegern nichts. Mercedes hatte bereits im Vorfeld erwartet, dass es auch auf dem zweiten Stadtkurs nach Monte Carlo zu Reifen.roblemen kommen könnte. Doch nicht in diesem Ausmaß. Die lange Runde in Baku sollte das Vorbereiten der Reifen eigentlich erleichtern. Dazu die hohen Temperaturen. Red Bull und Ferrari machen es wieder einmal vor. Beide bekommen zuverlässig Temperatur in die Reifen – egal um welche Mischung es sich handelt.
Die roten Renner haben dafür ein anderes Problem. Sie überstrapazieren die Reifen. Gegen Ende seines Longruns auf Mediumreifen schmierte Charles Leclerc völlig ab. Mit Graining auf den Hinterrädern büßte der Monegasse mehr als drei Sekunden ein. So werden die Ferrari im Rennen keinen Blumentopf gewinnen. Red Bull zündet die Reifen schnell an und verschleißt sie dagegen nicht über Gebühr.
Mercedes stören ganz offenbar verschiedene Einflussgrößen. Es gibt zu wenig schnelle Kurven, um Energie und damit Wärme im Reifen zu erzeugen. In der Sonne mag der Asphalt zwar heiß sein, doch viele Kurven liegen in den Häuserschluchten im Schatten. Da fällt die Streckentemperatur schnell mal um bis zu 20 Grad Celsius. Die Mehrzahl der Kurven werden im zweiten oder dritten Gang und mit Geschwindigkeiten von unter 140 km/h durchfahren. Zu langsam für die Mercedes, mit zu kurzen Radien und zu wenig Lenkeinschlag. Der Asphalt ist zu glatt und zu rutschig. Und die Geraden zwischen den vielen 90-Grad-Ecken zu lang. Die Reifen kühlen wieder aus.
Das überholfreundliche Baku
Erst im Longrun finden die Autos zu ihrer Form. Je mehr Runden, desto stärker nähern sich die Mercedes von unten dem Reifen.enster. Und nach ein paar Umläufen treffen sie es. "Dann sind wir die schnellsten", stellt Teamchef Toto Wolff fest. Mehr Gewicht durch viel Benzin hilft zusätzlich, weil die Belastung auf die Reifen naturgemäß steigt.
Die Mercedes.Ingenieure stehen vor einem großen Problem. Wie kann man das Auto verändern, um sich auf eine Runde zu verbessern, ohne dem W12 seine Stärke über die Distanz zu berauben? In Monte Carlo schossen sie über das Ziel hinaus. Radikale Fahrwerkseinstellungen sorgten zwar zumindest bei Bottas dafür, dass er um die Pole-Position kämpfte. Hamilton fasste selbst dann nicht das letzte Vertrauen. Im Rennen killten die sonst so reifenschonenden Mercedes allerdings ihre Reifen.
Einfach einen größeren Flügel aufzuschnallen, wird in Baku nichts bringen. Dann wäre der Zeitverlust auf der 1,9 Kilometer langen Zielgerade vermutlich zu groß – und die Mercedes könnten im Rennen schwer überholen. Deshalb muss eine Lösung über das Setup her. Das Ziel ist es, den Schaden im Qualifying zu begrenzen. "Wir dürfen nicht von zu weit hinten starten. Mit unserer Pace im Rennen haben wir Möglichkeiten", sagt Teamchef Wolff. Der Stärke im Rennen will sich Mercedes in keinem Fall berauben. Denn Überholen ist in Baku eine der leichteren Übungen. 2019 gab es mehr 51 Manöver. 2018 waren es 49. "Wir hatten in Monaco mit Lewis auch ein schnelles Rennauto. Nur konnte er es nie zeigen, weil er immer hinter anderen Autos feststeckte."