Wolff fordert Rückkehr zur Top-Form

Mercedes-Fehlerliste wird länger: Wolff fordert Rückkehr zur Top-Form
Für Mercedes setzte es in Baku die nächste Pleite. Es kam noch schlimmer als in Monte Carlo. Auto, Team, Fahrer: Die Weltmeister hecheln ihrer Bestform hinterher. Teamchef Toto Wolff spricht von einer "nicht akzeptablen Situation" und fordert eine schnelle Reaktion. In Brackley rauchen die Köpfe.
Toto Wolff rang nach dem GP Aserbaidschan um die richtigen Worte. Der Mercedes-Teamchef suchte nach Erklärungen. Doch er tat sich schwer, sie zu finden. Der Schmerz saß nach der Pleite von Baku zu tief. Zum ersten Mal seit dem GP Österreich 2018 erzielten weder Lewis Hamilton./span> noch Valtteri Bottas Punkte. Nach 55 Rennen setzte es mal wieder eine Nullrunde für die erfolgsverwöhnte Mannschaft aus Brackley.
Und so sparte der Teamchef nicht mit Kritik an der Vorstellung seines Teams. "Wir müssen schnellstmöglich wieder zurück zu unserer Bestform. Sonst gewinnen wir diese Weltmeisterschaft nicht. Wir sind in so vielen Bereichen nicht bei unserem A-Game. Operativ nicht. Mit unserem Auto nicht. Wir waren das ganze Wochenende nicht da – weder in der Qualifikation noch im Rennen. Wir müssen ohne Fehler auskommen. Das ist weder Team noch Fahrern gelungen."
Topteams in Gefühlsachterbahn
Mercedes blieb unter seinen Möglichkeiten, ja. Andererseits hätte der Titelverteidiger auch als der große Gewinner abreisen können. Nach dem Unfall von Max Verstappen war der Sieg zum Greifen nah. Beim Neustart war Hamilton dem Red Bull von Sergio Perez schon eine Nasenspitze voraus und zudem auf der besseren Spur. Ohne den kapitalen Verbremser hätte der siebenmalige Titelträger wohl gewonnen. Perez wäre der Konter in einem verwundeten Red Bull schwer gefallen.
Diese eine Szene zeigt, wie nah Sieg und Niederlage manchmal zusammenliegen. Ohne den Verbremser könnte Hamilton die Weltmeisterschaft mit 21 Punkten anführen. Und Mercedes die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. "Es schmerzt umso mehr, weil wir schon eine Hand an der Trophäe hatten. Das war eine gute Gelegenheit, weil Max nicht gepunktet hat. Der Frust ist deshalb umso erdrückender", beschrieb Wolff seine Gefühlslage.
Der Kommandostand des Erzrivalen saß ebenfalls in einer Achterbahn der Gefühle. "Wir waren mit Max auf dem Weg zum Sieg und der schnellsten Rennrunde. Er hätte seine Führung auf Hamilton um elf Punkte ausgebaut. Mit dem Reifenschaden waren alle Hoffnungen weg und die Furcht da, dass Hamilton voll zuschlägt", erzählt Red Bulls Teamchef Christian Horner. "Ich bin in einer Stunde um 20 Jahre gealtert. Zum Glück hat Sergio trotz des Hydraulik-Problems gewonnen. Und zum Glück hat Lewis nicht aus dem Pech von Max Kapital geschlagen."
Keiner der WM-Favoriten punktete. Deshalb bleibt es beim Zwischenstand von 105 zu 101 für Verstappen in der Fahrerwertung. Red Bull baute durch den Sieg den Vorsprung im Konstrukteurs-Pokal allerdings auf 174 zu 148 aus.
Mercedes hält an Entwicklungsplänen fest
Mercedes spürt den Druck. Dieser Gegner hat ein Auto, das auf allen Strecken wettbewerbsfähig ist. Auf verwinkelten Stadtkursen wie auf permanenten Rennstrecken. Im Regen wie im Trockenen. Der Honda-Motor hat beinahe zum Klassenprimus aufgeschlossen. Und mit einer weiteren Absicherung der Standfestigkeit sollen Verstappen und Perez ab dem GP Frankreich noch mehr Leistung abrufen können.
Red Bull-Honda will den WM-Titel mit Macht erobern. Mercedes muss dagegenhalten. Wolff warnt trotz der Misere vor einer Überreaktion. "Wir haben unsere Entwicklungspläne bereits angepasst. Wegen zwei schlechten Rennen in Serie werden wir nicht alles über den Haufen werfen. Zumal Monaco und Baku die schlechtesten Strecken für uns sind. Trotzdem müssen wir festhalten, dass wir unterhalb unseres gewohnten Standards operieren." Für Mercedes sind es gute Nachrichten, dass dem W12 nach der Singapur-Absage ein weiteres Stadtrennen erspart bleibt.
In Brackley wird in den zwei Wochen bis Paul Ricard kein Stein auf dem anderen bleiben. Angefangen mit einer intensiven Besprechung am Montag nach dem Aserbaidschan-Rennen. Das Rätsel, warum die Vorderreifen in Kurven mit kurzen Radien nicht auf Temperatur kommen, muss gelöst werden. Mercedes braucht ein verlässliches Paket unter allen Rahmenbedingungen: kühl oder heiß, langsame oder schnelle Kurven, glatter oder rauer Asphalt, weiche bis harte Reifenmischungen.
Nur wenn man weiß, was schiefgelaufen ist, kann man Gegenmaßnahmen einleiten. "Es ist nicht akzeptabel, dass wir direkt nach den Boxenstopps Sekunde über Sekunde verlieren, bis wir das Auto wieder in einem Fenster haben, in dem es funktioniert."
Zu weit weg vom A-Game
Wer ein 100-prozentiges Verständnis hat, läuft auch weniger in Gefahr, in Fehler getrieben zu werden. Beim Neustart unternahm Hamilton alles, um die Vorderreifen sofort anzuzünden. Sie wollten schon das ganze Wochenende nur widerwillig mitspielen. Für den Extremfall hat Mercedes einen "magischen Knopf" am Lenkrad, der die Bremsbalance weit nach vorne schiebt, um darüber Temperatur zu erzeugen.
Aufmerksame Fans konnten über die Onboard-Kamera auf dem Lenkrad eine Verschiebung auf 86,5 Prozent ablesen. Der Weltmeister stellte zurück auf 51:49 Prozent (Bremsbalance Vorder-, Hinterachse), geriet in der Hektik des Starts aber wieder auf den "Magic Button". "Ich habe ihn aus Versehen getroffen."
Die Liste an Unpässlichkeiten im Weltmeister-Team wird länger. Hamiltons verhauener Neustart in Baku. Der Ausrutscher im Regen von Imola. Der Bottas-Crash mit George Russell in Imola. Der Schluckauf am Motor in Portugal. Sonst hätte der Finne Verstappen noch den zweiten Platz abnehmen können. Der Pannenstopp von Monte Carlo. Die langsameren Boxenstopps gegenüber Red Bull allgemein.
Der Titelverteidiger sieht sich im Hintertreffen. "Red Bull hat das schnellste Auto. Es war sehr schwer, mit ihnen mitzuhalten. Überhaupt so nah dran zu bleiben, war schon großartig. Es ist umso schwerer zu schlucken, mit leeren Händen nach Hause zu fahren", sagte Hamilton. Jetzt unternimmt Mercedes alles, damit Monaco und Aserbaidschan die einzigen Ausrutscher der Saison werden. "Wir können es uns nicht erlauben, weiter so viele Punkte wie zuletzt zu verlieren. In keiner der beiden Weltmeisterschaften", so der Teamchef.
Hamilton motiviert seine Mannschaft. Der kleine Aufschwung nach drei Katastrophen-Trainings sei ein Hoffnungsschimmer und Mutmacher. "Wir müssen uns neu sortieren und stärker zurückkommen. Es gibt aber auch Positives mitzunehmen. Wir haben uns nach den schlechten Trainings immerhin halbwegs erholt."