Ministerpräsident Kretschmann zu Tempo 130
Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) will Tempo 130. Den Kampf um die Geschwindigkeitsbegrenzung überlässt er inzwischen aber anderen.
Die doppelte Geschwindigkeit verbraucht die vierfache Energie: Wenn der Ministerpräsident zum Rotstift greift, um auf einem Blatt Papier per Formel (E=1/2mv²) zu erklären, warum für ihn an einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen kein Weg vorbeiführt, dann hat der gelernte Naturwissenschaftler aus dem Stand die volle Aufmerksamkeit der versammelten auto motor und sport-Journalisten. Es war das allererste Mal, dass Winfried Kretschmann bei einer Autozeitschrift Station machte. Ein Grüner im Herzen der Auto-Enthusiasten. Kann sowas gut gehen? Es kann. Weil der grüne Ministerpräsident kein Problem mit kontroversen Meinungen hat. Und sehr genau weiß, wie elementar die Automobilindustrie für Baden-Württemberg ist.
Nähe zur Autoindustrie ohne Kuschelkurs
Geht er deshalb auf Kuschelkurs mit den Autobauern? Sicher nicht. Vor allem nach dem Beginn des Dieselskandals war es ihm wichtig, sich nicht von den Konzernen zu entfernen. „Da habe ich nicht Abstand genommen, sondern bin näher an sie herangerückt. Weil du als Ministerpräsident nur so das richtige vom falschen Jammern unterscheiden kannst!“. Und deshalb ist er sich jetzt auch sicher, „ dass die das Thema jetzt verstanden haben!“. Der Flurschaden am eigentlich so wichtigen Diesel hält er aber für kaum mehr umkehrbar. Genau deshalb setzt Kretschmann jetzt auch alles daran, die Weichen für eine neue Mobilität zu setzen. „Wir wollen ja nicht nur bessere Diesel!“.
Den Transformationsprozess der Autoindustrie, die er für das Rückgrat der deutschen Wirtschaft hält, will Kretschmann vor allem mit Forschung und Innovationen unterstützen. Ein Debakel wie bei der Standortwahl für die Batteriezellforschung (Münster statt Ulm) in Deutschland, dürfe nicht wieder vorkommen. „Eine solche Batteriezellenforschungsfabrik nicht an einen Automobilstandort zu geben, ist nicht nachvollziehbar“, sagte Kretschmann bereits am Dienstag (8.10.). Man müsse verstehen, dass deutsche Automobilstandorte nicht mit Mecklenburg-Vorpommern konkurrierten, sondern mit dem Silicon Valley oder China.
Offen für Brennstoffzelle, Priorität auf E-Autos
Bei alternativen Antrieben bekannte sich der Ministerpräsiden des Auto-Bundeslandes Baden-Württemberg zur Technologieoffenheit, allerdings mit einem klaren Schwerpunkt auf batterieelektrische Autos. Brennstoffzellen könne er sich für Busse mit festen Routen gut vorstellen, Kraftstoffe aus synthetischen Energieträgern für Transporter. Er habe sich auch dafür eingesetzt, dass im Parteiprogramm der Grünen nicht einfach vom Ende des Verbrennungsmotors die Rede ist, sondern vom Ende des fossil betriebene Verbrennungsmotors. Im ersten Schritt müsse man aber den Hochlauf der Elektroauto-Produktion verfolgen.
Prioritäten setzen. Das ist ihm wichtig.
Das gilt auch fürs Thema Tempolimit. Da habe sich seine Haltung nie geändert. Emotional kann er den Spaß am schnell Fahren sehr gut verstehen. Dennoch ist für Kretschmann „ein Tempolimit ein Gebot der Vernunft!“. Der Kampf um die Durchsetzung einer Geschwindigkeitsbegrenzung hat für ihn allerdings keine große Priorität mehr. „Das habe ich aufgegeben!“, so Kretschmann im Redaktionsgespräch mit auto motor und sport.
Den Kampf ums Klima nicht. Das Paket der Bundesregierung reicht Kretschmann nicht aus. Sein größter Kritikpunkt: Der CO2-Preis sei viel zu niedrig, als dass er eine Lenkungswirkung entfalten könne. „ Mit zehn Euro lenkt man gar nichts,“ so Kretschmann. Der CO2-Preis sei das zentrale, weil marktwirtschaftliche Instrument. Darum hätten die Grünen 40 Euro vorgeschlagen, in Schweden beispielsweise liege der Preis für die Tonne CO2 schon jetzt bei 100 Euro. Ziel solch marktwirtschaftlicher Instrumente sei immer, eine gewisse Dynamik in Gang zu bringen und eine Situation zu schaffen, in der es sich für Unternehmen mit ökologischen Ideen lohnt, zu investieren und aus Ideen echte Innovationen zu machen.