Red Bull sauer auf Mercedes
Jeder Grand Prix eine neue Regel. In einer Technischen Direktive fordert die FIA Mindestabstände zwischen den einzelnen Arbeitsschritten beim Boxenstopp. Red Bull glaubt, dass Mercedes hinter der neuen Anweisung steckt. Das strengere Prozedere kostet die WM-Spitzenreiter 0,35 Sekunden.
Zuerst die biegsamen Heckflügel. Dann die Reifendrücke. Jetzt die Boxenstopp-Abläufe. Die FIA-Kommissare schreiben fleißig Technische Direktiven, um bestehende Regeln strenger auszulegen. Red Bull sieht sich in allen drei Fällen als Opfer. Und mindestens zwei Mal soll WM-Gegner Mercedes die FIA mit der Nase auf das Problem gestoßen haben.
So auch die jüngste Klarstellung, die den Teams drei Tage nach dem GP Frankreich auf den Tisch flatterte. Da zieht der Verband den Teams beim Boxenstopp die Daumenschrauben an. Es gelten jetzt Mindestabstände für die einzelnen Arbeitsschritte.
Zwischen dem Signal, dass alle vier Radmuttern ordnungsgemäß befestigt sind und der manuellen Bestätigung durch die entsprechenden Mechaniker an den Schlagschraubern müssen mindestens 0,15 Sekunden vergehen. Erst danach darf das Auto von den Wagenhebern gelassen werden.
Von dem Moment, an dem das Auto mit den neu aufgezogenen Rädern die Erde berührt bis zum Grünlicht verlangt die FIA einen Mindestabstand von 0,2 Sekunden. Damit werden für die Teams, die praktisch alles gleichzeitig erledigt haben, die Boxenstopps um mindestens 0,35 Sekunden länger.
Sieben Jahre Arbeit beschädigt
Die Initiative der Regelhüter kam für einige Teams aus heiterem Himmel. Es gab in dieser Saison keinen dramatischen Fall, in dem ein Auto mit einem losen Rad die Boxengasse verlassen hätte.
Red Bull-Sportdirektor Helmut Marko schimpft: "Das hat Mercedes angeschoben, weil sie uns den Vorteil beim Boxenstopp klauen wollen. Wir verlieren bis zu vier Zehntel. Es stecken sieben Jahre Arbeit und Training in der Konstanz und Geschwindigkeit unserer Boxenstopps."
Aus FIA-Kreisen hören wir, dass einige Teams um die Klarstellung gebeten hätten. Um welche Teams es sich handelt, wird aber nicht verraten. Toto Wolff gibt sich auf Anfrage schmallippig: "Wir hatten vor einigen Wochen wegen eines Sicherheitssystems für die Boxenstopps nachgefragt. Ob das dann zu der technischen Direktive geführt hat, weiß ich aber nicht."
Alpine zumindest klatscht leise Beifall. "Es war höchste Zeit, dass da etwas passiert. Die Regeln verlangen, dass der Mensch den Befehl gibt. Wenn man die Boxenstopps von Red Bull analysiert, dann liegen einige Abläufe unterhalb der menschlichen Reaktionszeit", erzählt Einsatzleiter Alan Permane.
Auch McLaren-Teamchef Andreas Seidl ist zufrieden: "Wir begrüßen die FIA-Initiative, weil uns die Sicherheit bei den Boxenstopps sehr wichtig ist. Es ist gut, dass sie jetzt kommt, bevor etwas passiert. Die Boxenstopps sind ein wichtiges Schlachtfeld geworden, auf dem sich die Teams hart bekämpfen. So wie wir unsere Boxenstopps durchführen, haben wir bereits alles ausgereizt, was erlaubt ist. Wir müssen unsere Abläufe durch die neue TD also nicht ändern." Aus Sicht von Red Bull sind diese beiden Teams Profiteure der strengeren Grenzwerte. Alpine liegt in der Boxenstopp-Rangliste auf Platz 7, McLaren auf Rang 8.
Keine Boxenstopp-Rekorde mehr
Alfa Romeo-Sportdirektor Beat Zehnder behauptet: "Wenn man sich an die Regel hält, sind Boxenstopps unter zwei Sekunden nicht möglich." Red Bull hat die Zweisekunden-Grenze in dieser Saison schon drei Mal gebrochen. In Bahrain wurde Max Verstappen in 1,93 Sekunden abgefertigt, in Portimao und Baku in jeweils 1,98 Sekunden.
Die Konkurrenz sah darin einen gewissen Automatismus: "Bei Red Bull sind die Autos schon abgelassen worden, da steckten die Schlagschrauber noch in den Radmuttern. Das war alles ein einziger Vorgang, gestartet durch die Sensormeldung nach dem Anziehen der Radmuttern. Drücken des Knopfes, Ablassen, Abziehen der Schlagschrauber, Losfahren."
Marko wundert sich, wie die FIA die neuen Vorschriften überwachen will. "Während des Rennen ist das praktisch unmöglich. Sie müssten es danach machen. Wollen sie dann Teams nachträglich bestrafen?"
Der Grazer glaubt, dass sich die FIA da ein Eigentor geschossen hat: "Das Sicherheitsargument ist keines. Wir riskieren doch nicht ein schlecht angezogenes Rad. Da bist du raus aus dem Rennen. Das ist die Höchststrafe. Wir verschlechtern mit dieser Maßnahme die Show. Zweisekunden-Stopps faszinieren die Leute. Außerdem bestraft die Regel die Guten."