„Bin nicht absichtlich der Bad Boy“
Nikita Mazepin hat direkt in seiner ersten Formel-1-Saison für ordentlich Wirbel gesorgt. Im Interview mit auto motor und sport spricht der Haas-Rookie über seinen Aufstieg in die Königsklasse, Eingewöhnungsprobleme mit dem Auto und das nicht immer harmonische Verhältnis zu Teamkollege Mick Schumacher.
Wie wird man als junger Russe zum Formel-1-Fahrer?
Mazepin: Ich habe schon im Alter von fünf Jahren mit Go-Karts angefangen. Ich hatte Glück, dass ich dabei auf Oleg Guskov getroffen bin. Er ist der Vater von Pavel Guskov, der damals Daniil Kvyat trainiert und nach oben gebracht hat. Vor zehn Jahren brauchte man in Russland noch die Hilfe der richtigen Leute, um nach Europa zu kommen und vernünftige Karts und Motoren auszuwählen.
War das Kartfahren als Kind Ihr einziges Hobby?
Mazepin: Ich habe damals auch noch Kunstturnen und Kampfsport betrieben. Die Schule stand aber immer an erster Stelle. Als ich klein war, wollte ich entweder ein Kämpfer, ein Rennfahrer oder ein Geschäftsmann werden.
Sie sind dann in einem Kart-Team mit Mick Schumacher gefahren. Was ist aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?
Mazepin: Im Kart war das alles wie eine große Familie. Dabei bin ich auch oft mit Michael Schumacher zusammengekommen. Wir haben nicht viel miteinander gesprochen, aber ich wusste natürlich, welche Rolle er für den gesamten Motorsport gespielt hat. Ich bin immer noch fasziniert von seinen großen Erfolgen.
Wie war das Verhältnis zu Mick? Wer war schneller?
Mazepin: Als wir gemeinsam Kart gefahren sind, hatte er nicht seine besten Jahre. Wir waren in der KF3-Klasse. Ich bin dann als Vize-Weltmeister aufgestiegen, und er hat noch ein Jahr drangehängt. Damals hatte ich die Oberhand.
Hatte er damals durch seine Herkunft einen Vorteil?
Mazepin: Wenn man 12 oder 13 Jahre alt ist, dann denkt man nicht darüber nach, ob ihm sein Vater vielleicht einen Vorteil verschafft hat. Mick ist damals ja nicht einmal unter seinem richtigen Namen angetreten.
Ihr Umstieg in die Formel-Autos lief zunächst nicht reibungslos. Erst in der GP3 hat es geklickt. Was war der Grund dafür?
Mazepin: Bei mir ist es so, dass ich mich im Rennauto wohlfühlen muss. Erst dann kann ich besser sein als andere. Leider dauert es immer eine Zeit. Es gibt viele Naturtalente, die auch auf einem Rasenmäher schnell sind. Ich bin definitiv nicht einer von ihnen. Nur durch harte Arbeit und meinen Ehrgeiz schaffe ich es, diese Fahrer irgendwann zu übertrumpfen.
Was war im Kart einfacher als in richtigen Rennautos?
Mazepin: Die Budgets sind viel niedriger und man kann so viel testen, wie man mag. Nur durch Übung wird man gut. In unserem Sport kann man leider nicht viel trainieren. Deshalb braucht es vor allem Talent. Und wenn man davon nicht so viel besitzt, dann ist Geduld gefragt.
Sie haben vor Ihrem F1-Einstieg schon Tests für Mercedes und Force India absolviert. War es das Geld wert?
Mazepin: Das ist schwer zu sagen. Mein jetziges Auto ist das anspruchsvollste, das ich in meiner Rennfahrerkarriere bisher gefahren bin. Wenn man ein Auto nicht weiterentwickelt, das schon von Beginn an nicht gut war, dann wird es nur noch schwerer. Von meinem einen Testtag mit Mercedes weiß ich, wie gut sich ein Formel-1-Auto anfühlen kann. Da habe ich ein paar Sachen gelernt, die ich jetzt bei Haas anwenden kann.
Ist es nicht ein Vorteil, wenn man seine Karriere hinten im Feld beginnt, wo man nicht im Rampenlicht steht?
Mazepin: Dass ich nicht im Rampenlicht stehe, würde ich nicht behaupten. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Wenn man in die Formel 1 kommt, kann man sich sein Auto sowieso nicht aussuchen. Für mich war es wichtig, überhaupt die Formel 1 zu erreichen. Hoffentlich kann ich dabei helfen, das Team besser zu machen. Und vielleicht bekomme ich dann auch irgendwann ein Angebot von einem besseren Team.
Lag die Leistungssteigerung zuletzt nur am Wechsel des Chassis oder an Ihrer persönlichen Entwicklung?
Mazepin: Von beidem ein bisschen. Bei den Bahrain-Tests vor der Saison war meine Pace sehr gut. Ich habe nur wenige Fehler gemacht, war sehr konstant. Dann habe ich zum ersten Freien Training ein anderes Chassis bekommen und plötzlich war alles scheiße. Es hat eine Zeit gedauert, bis wir die Probleme erkannt haben. Das Team musste auch lernen, einem neuen Fahrer zu vertrauen. Natürlich hätte ich etwas schneller sein können. Aber wie Niki (Lauda) immer gesagt hat: Man lernt mehr von den schlechten als von den guten Tagen. Vielleicht hatte es etwas Gutes. Ich musste nicht nur das Fahren lernen, sondern auch im Kopf stark bleiben.
Sie haben mal gesagt, dass Sie im Rennen oft besser sind als im Qualifying. War das schon immer so?
Mazepin: Das ist auf jeden Fall ein Trend in meiner Karriere. Ich habe ein gutes Gefühl im Auto und weiß, wie man sich im Zweikampf durchsetzt. Die meisten blicken nur auf die Qualifying.Bilanz, aber es geht doch darum, im Rennen viele Punkte zu sammeln. Für einen besseren Reifenverschleiß schenke ich lieber im Qualifying etwas her. Außerdem gebe ich niemals auf und schlage meistens am Ende zu, wenn andere mit Problemen kämpfen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Mick Schumacher heute?
Mazepin: Das ist wie bei einer Familie – manchmal läuft es besser, manchmal schlechter. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in der Kartzeit so viele Probleme hatten. Damals gab es zwar schon mal ein paar Berührungen, aber nichts Wildes. Leider sind die Unterschiede jetzt auf den Plätzen 19 und 20 so gering. Man muss also immer wieder versuchen, im direkten Duell kleine Siege zu feiern, um sich zu motivieren.
Wäre das Verhältnis besser, wenn man mehr gegen andere Autos kämpfen würde?
Mazepin: Das würde die Sache auf jeden Fall einfacher machen. Dann könnten wir uns verbünden und unsere Gegner gemeinsam angreifen. Wir dürfen jetzt auf keinen Fall die Motivation verlieren und aufgeben. Das Team braucht zwei Fahrer, die sich auf der Strecke jedes Mal richtig pushen, egal um welche Position es geht.
Sind Sie einer der jungen Piloten, die zu Hause viel am Computer fahren?
Mazepin: Ich fahre lieber in der Realität. Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein, ich liebe den Geruch von Benzin und das Gefühl eines richtigen Motors. Wenn ich mal ein paar Stunden Zeit habe, dann setze ich mich auf ein Quad-Bike oder einen Buggy und fahre draußen durch die Gegend.
Fans beklagen oft, dass in der Formel 1 die Charaktertypen fehlen. Sie ernten dagegen viel Kritik dafür, dass Sie ehrlich Ihre Meinung sagen. Finden Sie das unfair?
Mazepin: Das spüre ich gar nicht. Natürlich gab es berechtigte Kritik an dem, was vor der Saison gelaufen ist. Da hatten einige Leute schon ihre vorgefertigte Meinung. Aber man muss sich treu bleiben. Man lernt immer dazu und entwickelt sich weiter. Ich war ja gerade noch ein Teenager. Ich bin hier in diesem Fahrerlager, um mein Team und meinen Vater stolz zu machen.
Sie pflegen also nicht absichtlich das Image des harten Hundes?
Mazepin: Auf keinen Fall. Das kommt vielleicht manchmal so rüber, wenn man auf der Strecke mit unterlegenem Material gegen deutlich schnellere Autos kämpft. Man versucht alles, um für das Team vielleicht doch irgendwie einen Punkt zu holen. Manchmal unterlaufen mir dabei Fehler. Ich analysiere das und versuche es beim nächsten Mal besser zu machen. Aber ich versuche sicher nicht, absichtlich der Bad Boy zu sein.
Das Team hat dieses Jahr die Entwicklung eingestellt, um nächstes Jahr zu profitieren. Wie optimistisch sind Sie für 2022?
Mazepin: Ich bin mir sicher, dass wir um Punkte kämpfen können. Ich weiß natürlich nicht genau, wie gut unsere Pace sein wird. Aktuell fehlt uns noch eine Sekunde zum nächsten Auto. Es kann also nur besser werden. Als Team muss man manchmal Gegenwind aushalten, um dann einen großen Sprung zu machen. Natürlich schläft die Konkurrenz auch nicht. Wir werden sicher nicht auf einmal mit Red Bull und Mercedes kämpfen. Unser Projekt ist langfristig ausgelegt. Jetzt bilden wir gerade erst das Fundament.
Sind Sie auch persönlich bereit für den großen Schritt?
Mazepin: Ich bin aktuell noch weit von meiner Spitzenleistung entfernt. Aber ich bin sicher, dass es mit den Jahren immer besser wird. Ich hoffe, dass ich noch lange in der Formel 1 bleiben und auf meiner Erfahrung aufbauen darf. Ich bin auf jeden Fall bereit für den Kampf um Punkte, wenn man mir das richtige Auto gibt.