Kann ein Reifenplatzer die Unfall-Ursache sein?
Diogo Jota, portugiesischer Offensivstar des FC Liverpool, ist bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen. Die Unfallursache ist offiziell noch nicht bekannt. Immer mehr im Fokus: die Reifen.
Die Fußballwelt trauert um Diogo Jota. Der Offensivstar des FC Liverpool und portugiesische Nationalspieler, der erst kürzlich geheiratet hatte und nur 28 Jahre alt wurde, starb bei einem tragischen Autounfall in Spanien. An Bord des Lamborghini Huracan befand sich auch sein jüngerer Bruder André Silva, Spieler beim portugiesischen Fußball-Zweitligisten Penafiel.
Reifenplatzer, Überschlag, Feuer
Inzwischen sind erste Details zum Unfallhergang bekannt. Diogo Jota und André Silva waren auf der A-52 auf Höhe der in Nordwestspanien an der portugiesischen Grenze gelegenen Stadt Cernadilla (Provinz Zamora) unterwegs, als sie ein anderes Auto überholen wollten. Dabei soll Polizeiangaben zufolge einer der beiden hinteren Reifen geplatzt sein. Ein Video der Lokalzeitung "Diario de Castilla y León" von der Unfallstelle zeigt eine Reifenspur, die nach links von der Fahrbahn weg Richtung Grünstreifen führt. Dort hat der Lamborghini offenbar eine Leitplanke durchbrochen, woraufhin er sich überschlagen und daraufhin Feuer gefangen habe.
Die beiden Männer haben sich nicht aus dem Auto befreien können und sind den Flammen zum Opfer gefallen. Auf Fotos und Videos im Internet ist zu sehen, dass der Sportwagen bis zur Unkenntlichkeit zerstört wurde. Im Umkreis von etwa 100 Metern von der Stelle, an der der Lamborghini letztlich ausgebrannt war, sollen Trümmerteile des Unfallwagens gefunden worden sein.
Kann ein Reifen wirklich so plötzlich platzen?
Nach dem fatalen Unfallereignis rund um Diogo Jota und seinen Bruder stellt sich die Frage, ob ein moderner Reifen wirklich einfach so platzen kann. Tatsächlich sind Reifenplatzer nämlich extrem selten – und wenn, dann gibt es immer einen triftigen Grund dafür. Denn die Kräfte, die zur Zerstörung eines frischen und funktionstüchtigen Autoreifens nötig sind, sind gigantisch. Auch im Fall von Diogo Jota könnten also eigentlich nur äußere Umstände zu einem solch schlimmen Ereignis geführt haben. Noch können wir darüber nur spekulieren – aber wenn es tatsächlich ein Reifenplatzer gewesen ist, dann kämen theoretisch folgende Ursachen dafür infrage:
1. Zu geringer Luftdruck
Bei zu geringem Luftdruck erhitzt sich der Reifen durch das ständige Walken der Flanke sehr schnell – besonders bei höheren Geschwindigkeiten. Die Reifenseiten werden mit der Zeit so heiß, dass sie sogar anfangen können, zu brennen. Tatsächlich ist das bei Lkw gar nicht so selten, besonders an langen Aufliegern. Hier merkt der Lkw-Fahrer nicht unbedingt, dass einer der vielen Reifen seinen Dienst aufgrund von zu wenig Luft quittiert, bis sich dessen Lauffläche ablöst. Man sieht solche Laufflächen oft an Autobahnrändern liegen. Die Folgeschäden eines Reifenbrands können verheerend sein, wenn die Ladung oder der gesamte Lkw Feuer fängt.
Pkw-Fahrer dürften solche, sich androhenden Schäden aber schnell bemerken. Zum einen gibt es nur vier Räder, zum anderen sind elektronische Reifendruck-Verlustwarner seit langem Pflicht. Die Ausrüstung mit einem solchen Reifendruckkontrollsystem (RDKS), auch TPMS (Tyre Pressure Monitoring System) genannt, ist seit dem 1. November 2014 für alle Neuwagen verpflichtend, die in der EU zugelassen werden. Der Lamborghini von Diogo Jota konnte sogar den genauen Reifendruck jedes Rades über das Reifendruckkontrollsystem anzeigen. Dass einer der vier Reifen schon weit vor dem Unfall viel zu wenig Luft hatte, ist also relativ unwahrscheinlich.
2. Überladung des Fahrzeugs
Reifen sind mit einem sogenannten Traglastindex gekennzeichnet, der angibt, wie viel Gewicht ein einzelner Reifen maximal tragen darf. Diese Kennzahl steht direkt auf dem Reifen und kann über eine genormte Tabelle in Kilogramm umgerechnet werden. Beispiel: Ein Traglastindex von 91 bedeutet, dass der Reifen bis zu 615 Kilogramm tragen kann.
Da ein Auto auf vier Reifen steht, muss die Tragfähigkeit pro Reifen zur Gesamtmasse des Fahrzeugs (inklusive Zuladung) passen. Der Traglastindex ist auf der Reifenflanke neben der Reifengröße angegeben, zum Beispiel: "205/55 R16 91V". Hier steht die "91" für den Traglastindex.
Wichtig ist, immer Reifen mit dem vom Fahrzeughersteller vorgeschriebenen oder einem höheren Traglastindex zu wählen – sonst kann es gefährlich werden und auch die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs erlöschen. Aber auch eine Überladung des Lamborghinis von Diogo Jota ist unwahrscheinlich. Schließlich besitzt er nur zwei Sitze und einen sehr kleinen Kofferraum. Selbst die bei Volllast auftretenden Kräfte durch die dynamische Achslastverschiebung nehmen Reifen problemlos auf.
3. Alte oder beschädigte Reifen
Da Reifen aus Gummi bestehen, unterliegen sie einem natürlichen Alterungsprozess, der hauptsächlich durch starke Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen beschleunigt werden kann. Damit ein alter Reifen aufgrund von porösem Gummi platzt, muss er allerdings schon sehr alt werden. Der Lamborghini Huracán lief zwischen 2014 und 2024 vom Band in Sant'Agata Bolognese. Im schlimmsten Fall hatten die Reifen von Diogo Jota also höchsten elf Jahre auf dem Buckel. In einem solchen Alter ist ein Reifenwechsel zwar empfohlen. Die Pneus dürften ihren Dienst aber längst noch nicht versagen.
Wahrscheinlicher ist da schon ein Schaden am Reifen – gerade weil Sportwagenreifen nur eine sehr flache Flanke besitzen. Tiefe Schlaglöcher oder Bordsteinkontakte können sie dadurch einfach nicht so gut verdauen. Und im Gegensatz zur dicken und robusten Lauffläche sind die seitlichen Reifenflanken relativ empfindlich, gerade wenn sie zwischen scharfem Felgenrand und Bordsteinkante eingeklemmt werden. Spätestens in einer Werkstatt oder bei einer Hauptuntersuchung werden solche Schäden aber streng bemängelt.
4. Plötzlicher Schaden durch Fremdkörper
Der dramatische Unfall von Diogo Jota könnte auch durch einen plötzlichen Reifenschaden verursacht worden sein. Dafür muss es am Hinterrad des Lamborghinis unserer Ansicht nach aber eine massive Fremdeinwirkung gegeben haben. Eine Schraube oder ein Nagel können sich zwar ebenso durch die Lauffläche bohren, sie verursachen in aller Regel aber keinen Reifenplatzer, sondern eher einen schleichenden Plattfuß.
Ist Diogo Jota kurz vor dem Unfall also mit höherer Geschwindigkeit über ein Hindernis gefahren, müsste das schon eine Bordsteinkante, eine scharfe Kante oder ein größerer harter Gegenstand gewesen sein. Auf den Fotos der Unfallstelle ist zumindest keine Bordsteinkante zu sehen. Von anderen Hindernissen ist bisher nicht die Rede. Denkbar wären auch beschädigte, scharfkantige Carbon- oder Blechteile des Fahrzeugs selbst.
Was passiert, wenn der Reifen platzt?
Können die genannten Ursachen vermieden werden, muss statistisch niemand Angst vor einem plötzlichen Reifenplatzer haben. Kommt es dennoch zu so einer solch plötzlichen Reifenpanne, dann gibt es zwischen Vorder- und Hinterrädern gravierende Unterschiede. Platzt ein Reifen an der Vorderachse, wird man das zwar direkt merken – das Fahrzeug wird aber je nach Geschwindigkeit noch relativ gut beherrschbar zum Straßenrand manövriert werden können.
An der Hinterachse kann das anders aussehen, denn die hinteren Räder sind für die Richtungsstabilität verantwortlich. Verliert ein Reifen plötzlich die Führung, kann sich das Heck sehr schnell eindrehen und das Auto unkontrolliert ausbrechen lassen. Auf solche Fälle ist auch das ESP nicht vorbereitet, zumal es über den beschädigten Reifen keine Bremskraft mehr übertragen kann. Besonders dramatisch kann eine solche Situation werden, wenn der Großteil des Fahrzeuggewichts auf der Hinterachse lastet. Im Falle des Mittelmotorsportlers Lamborghini Huracan von Diogo Jota lasten knapp 60 Prozent der Masse auf der Hinterachse. Das Eindrehen passiert in einem solchen Fahrzeug noch plötzlicher und vehementer als etwa bei Fahrzeugen mit Frontmotor. Ist der Eindrehimpuls zu groß, hat selbst das modernste ESP keine Chance, das Auto unter Kontrolle zu bringen.
Jota hinterlässt Frau und Kinder
Diogo Jota hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder, die zwischen 2021 und 2024 geboren sind. Er gewann mit der portugiesischen Nationalmannschaft zweimal die UEFA Nations League und wurde je einmal englischer Meister, FA-Cup- und Ligapokalsieger. In 190 Premier-League-Spielen in England schoss Jota 63 Tore. Im Trikot der Nationalmannschaft seines Landes erzielte er 14 Tore in 49 Länderspielen.