Ferrari 488 Spider (2016) im Test
Ferrari ist zurück im Turbogeschäft. Kann der neue Ferrari 488 Spider mit seinem 3,9-Liter-Turbo-V8 und schlappen 670 PS überzeugen? Wir prüfen das im Test.
Selten, ganz selten zeigt sich die Realität epischer als ein Film: Die Autobahn-Linkskurve vor der langen Geraden ist dreispurig, leer und dank des Berganstiegs übersichtlich. Volllastig krakeelt ein Ferrari 488 Spider dahin. Am Gipfel leuchtet der Sonnenuntergang, quietschorange mit glutrotem Feuerball. Als sich das Szenario formatfüllend in die Frontscheibe schiebt, vermeldet die Beifahrerin: „300.“ Vollgasfest zitiert sie das Tempo von einem kleinen Display im Armaturenbrett – ein aufpreispflichtiges Gimmick, das mit seiner Botschaft durchaus den innerhäuslichen Frieden gefährden könnte. Denn der Mittelmotor-Zweisitzer zaubert dank 670 PS und 760 Nm schwindelerregende Zahlen auf die Anzeige.
Zur Deeskalation würde beitragen, die nächste Abfahrt zu nehmen, das Dach zu lupfen und durch die Landschaft zu gondeln. Offen bewegt kehrt der 488 Spider eine gewisse Sanftmut heraus, denn das Fahren unter freiem Himmel stellt dem Reiz der Geschwindigkeit eine Attraktion zur Seite. Das Tempo muss sich nicht erst mühsam durch Türdichtungen kämpfen, sondern schwappt ungehindert über den Scheibenrahmen. Schon der Unterschied zwischen geöffneter und geschlossener Heckscheibe ist enorm.
Akustische Abrissbirne./strong>
Eigentlich dient die elektrisch aus- und einfahrbare Heckscheibe lediglich als durchsichtige Barriere gegen Kälte und Lärm. Im offenen Ferrari dagegen übernimmt sie die Funktion eines Windschotts. Und bei geschlossenem Dach verwandelt sie den 488 Spider auf Wunsch in eine Art Landaulet: oben Blech, hinten offen.
Durch die Luke im Heck dringen die Geräusche des Achtzylinders fast unverstellt ans Ohr – die Witterung bleibt weitgehend draußen. Nur der Ton der Verlockung darf rein.
Sein Animationscharakter ist enorm, auch wenn der Biturbo nicht die irrwitzige Ekstase des V8-Saugers erreicht. Zwerchfell-massierende Bässe lösen Trommelfell-kitzelnde Höhen ab. Der 4,5-Liter kippte von Brodelnd nach Fies; der 3,9-Liter klingt dagegen tief und voluminös, erhöht mit der Drehzahl lediglich die Sound-Frequenz.
Was der Biturbo an Aggressivität verliert, gewinnt er an Energie und wird zur akustischen Abrissbirne. Wer mit geöffneter Heckscheibe oder gar mit versenktem Blechdach an einer Felswand entlang beschleunigt, muss Angst vor herunterfallenden Felsbrocken haben – das Echo rollt wie Donnergrollen zurück.
Noch immer ist der Mittelmotor-Zweisitzer exzessiv, doch verlagert er seine Ausschweifungen: Reagierte der Sauger fiebrig aufs Gaspedal, drehte hysterisch gegen den Begrenzer, so antwortet der Biturbo im Vergleich minimal verzögert – aber mit ungeheurem Punch.
Exzess liegt in der Brutalität: Bei Vollgas schleudert es den 488 gegen den Horizont. Und der Schub nimmt mit steigender Drehzahl noch zu; bis knapp vor 8.000/min scheint der Ladedruck des Turbos stetig anzuschwellen. Demgegenüber steht eine Durchzugsgewalt, die kein straßentauglicher Saugmotor bietet. Weil das Doppelkupplungsgetriebe sofort antwortet, macht das Herunterschalten via Lenkradpaddel Laune, ist aber unnötig: Gasgeben im siebten Gang reicht, um selbst aufgeblasene Drehmomentdiesel – die Angstgegner jedes Sportmotors – im Rückspiegel schrumpfen zu lassen.
Der Ferrari kann also Autobahn, verwöhnt seine Passagiere dank adaptiver Stoßdämpfer mit geschmeidigem Federungskomfort und dank Klappenauspuff mit modulierbarem Verbrennungsgeräusch. Dennoch ist die Fernstraße nicht sein Revier. Den Spider zieht es hinaus aufs Land. Dorthin, wo die Verkehrsdichte ab- und die Kurvendichte zunimmt.
Sehr detaillierte Informationen
Hier sitzt man mittendrin im Geschehen. Sogar die Knöpfe für Scheibenwischer, Fernlicht und Blinker liegen auf oder hinter dem Lenkrad, was wie in einem F1 die Voraussetzung für perfekte Kontrolle schafft. Und man sitzt mittendrin im Schwerpunkt, ja irgendwie auch mittendrin in der Kurve. Zumindest fühlt es sich so an, denn der Ferrari teilt alles extrem detailliert mit: Straßenoberfläche, Reibwert, Querkraft, einfach alles.
Diese ständige Zwiesprache aus Aktion und Reaktion erlaubt nicht nur das perfekte Beurteilen des Grenzbereichs. Nein, es unterstreicht eine wichtige Seite des Ferrari: Weil er nicht jegliche Störgröße wegfiltert, hat schon vergleichsweise niedriges Tempo einen hohen Erlebniswert. Und Letzterer potenziert sich, wenn das zweiteilige Dach in der Versenkung verschwindet.
Natürlich gibt es Cabrios, die deutlich mehr Luft hereinlassen; die Frontscheibe liegt relativ nahe an der Stirn, und so richtig stürmt es erst bei hohem Tempo. Doch gerade weil man geschützt sitzt, surrt das Hardtop selbst bei halblebigem Herbstwetter in den Verdeckkasten. Und weil man geschützt sitzt, konzentriert sich die Sensorik auf Gerüche, Geräusche und Grip. Der Grip macht nicht nur die Alliteration perfekt, sondern er ist ein weiterer entscheidender Faktor für den Fahrspaß. Trotz des Berserker-Drehmoments überrumpelt der V8 die Hinterachse nicht; Vortriebskraft und Traktion stehen in einer Balance, die das elektronisch gesteuerte Hinterachsdifferenzial so unauffällig arbeiten lässt, dass die Traktionskontrolle bei Trockenheit kaum eingreifen muss.
Das bringt die befriedigende Erkenntnis, die gebotene Leistung wirklich nutzen zu können. Weil der Achtzylinder dank Aufladung schon im mittleren Drehzahlbereich so enorm anschiebt, lenkt man einen Gang höher als im 458 Spider ein, was keinen Deut langsamer ist, aber weniger Hektik in den Antriebsstrang bringt. So bleiben endlos anmutende Reserven, falls der Kurvenausgang mehr verträgt als zunächst angenommen.
Trotz 100 Kilogramm zusätzlich auf den Reifen (1.544 zu 1.650 Kilogramm) springt das Cabrio aus dem Stand in 3,1 Sekunden auf Tempo 100, lenkt allerdings etwas weniger leichtfüßig ein als das Coupé – den doppelten Spurwechsel durchpfeilt der GTB mit 155,3 und der Spider mit 153,5 km/h. Ein marginaler Zahlendreher, der aber ein dumpfes Gefühl belegt: Der offene Zweisitzer wirkt in Kurven etwas gesetzter, distanzierter, ja sogar größer als die geschlossene Version, obwohl das rein physikalisch natürlich Unfug ist.
Damit zu einem Kritikpunkt, der anders als der schwindelerregende Preis, das komplizierte Infotainment oder der hohe Verbrauch fahraktive Kunden wirklich stören könnte: die Dimensionen. Über die Jahre wurden die Mittelmotor-Zweisitzer zu groß und zu schwer. Bitte, bitte, Ferrari: Macht den Nachfolger kleiner. Stark genug ist schon der 488.