Jaguar XK8 und Mercedes CL500 Fahrbericht
In das 1999 vorgestellte neue CL-Coupé der S-Klasse packte Mercedes mehr Hightech und Elektronik als jemals zuvor. Kann der viel bescheidener auftretende Jaguar XK8 da noch mithalten?
Vor 17 Jahren war es mal wieder so weit: Man bewunderte „den besten Mercedes aller Zeiten“. So lautete das Testurteil in auto motor und sport über den CL 600 mit 367 PS starkem V12-Motor. Dafür gab es viele Gründe, von denen wir hier einige nennen wollen, weil sie auch für den CL 500 mit 306 PS starkem V8 gelten. Diese preisgünstigere Variante des CL 600, die damals 178.292 Mark kostete und damit rund 60.000 Mark günstiger als das V12-Coupé war, tritt bei unserem Fahrbericht gegen den Jaguar XK8 an. Dessen Vierliter-V8 leistet 284 PS. Welchen dieser Youngtimer mit V8 sollte man sich eher kaufen?
Der gigantische Technikaufwand, den Mercedes mit der C 215 genannten CL-Baureihe betrieb, zeigt sich bereits in dem gewichtssparenden Materialmix der elegant und luftig modellierten Karosserie: Dach, Motorhaube, Türen, Rückwand und hintere Seitenteile bestehen aus Aluminium, der Türinnenbereich aus Magnesium, Frontkotflügel, Kofferraumdeckel und Stoßfänger aus Kunststoff. Zusammen mit den deutlich kleineren Außenmaßen reduzierte sich das Gewicht gegenüber dem massigen C-140-Vorgänger um satte 240 Kilogramm.
Das große Chassis-ABC
Eine der wichtigsten Technik-Neuerungen ist die auf einer Stahlfederung basierende aktive Radaufhängung, genannt Active Body Control (ABC). Mithilfe von sensorgesteuerten Hydraulikzylindern kompensiert ABC permanent die Wank- und Nickbewegungen der Karosserie – beim Anfahren, beim Bremsen und auch in schnell gefahrenen Kurven. Das höhenverstellbare aktive Fahrwerk mit seiner 200 bar leistenden Hochdruckhydraulik erhielten nur die CL-Coupés, während die dazu gehörende S-Klasse-Limousine W 220 lediglich eine Luftfederung mit adaptivem Dämpfungssystem (ADS) besitzt. Weitere Neuerungen, die das C-215-Coupé laut auto motor und sport zu einem „Pionier des technischen Fortschritts“ machte, sind: Bremsassistent, automatische Abstandsregelung Distronic, Bi-XenonScheinwerfer, Keyless Go und das Comand-System mit Multifunktionsbildschirm zur zentralen Regelung von Radio, Soundsystem, Telefon, Navi, TV-Empfänger, CD- und sogar Kassettenspieler. Distronic, Telefon, Navi und TV-Gerät kosteten im „kleinen“ CL 500 natürlich extra.
Die zentnerschweren Vordersitze mit Memory-Funktion und integriertem Gurtsystem besitzen auf Wunsch sich ständig der Fahrsituation anpassende aufblasbare Seitenpolster sowie eine Kühl- und Massagefunktion. Allein für die Erklärung aller Sitzeinstellungen benötigt die Betriebsanleitung 13 Seiten. Das Beste an den Sitzen ist jedoch, dass Mercedes jetzt auf den schwankenden und schnarrenden Gurtbringer verzichten konnte, der bei einigen Coupés ohne B-Säule zum Einsatz kam.
Mit E-Klasse-Gesicht
Den Stuttgartern ist mit dem CL 500 ein extrem schönes Coupé gelungen. Besonders in der lang gestreckten Seitenansicht zeigt das Fünfmeter-Schiff mit seinem geschwungenen Dachaufbau und der charakteristischen PanoramaHeckscheibe eine sympathische Frische und Dynamik. Nur das Vier-AugenGesicht im Stil der bereits 1995 präsentierten E-Klasse W 210 mit dem übergroßen Spaltmaß an der Motorhaubenkante schmälert etwas den exklusiven Auftritt des großen Mercedes.Coupés.
Dessen Tradition als Topmodell aller Personenwagen mit Stern und Vorreiter für neue Technik geht bis zum Adenauer-Coupé 300 Sc von 1955 zurück, das derzeit bis zu eine halbe Million Euro kostet. Unser Mercedes.Meilenstein CL 500, der damals beste Mercedes aller Zeiten, ist bereits für weniger als 10.000 Euro erhältlich. Wird vielleicht die zum Großteil elektronisch geregelte Supertechnik der CL-Coupés nach bald 20 Jahren zum Fluch? Geht der Käufer unkalkulierbare Reparaturrisiken ein, wenn das Auto auch in Zukunft vernünftig fahren und alles so perfekt wie bei der Auslieferung funktionieren soll? Und: Wäre man vielleicht mit einem einfacher gestrickten Jaguar XK8 ohne all diese Elektronik-Gadgets besser bedient?
Tatsächlich kann der Jaguar im direkten Vergleich mit den Technikerrungenschaften des CL 500 kaum mithalten. Die Luxusausstattung des XK8 liegt in etwa auf dem Niveau eines aktuellen Golf GTI. Auf ein aktives Fahrwerk, automatische Abstandsregelung zum Vordermann oder Sitze mit Kühl- und Massagefunktion muss der XK8-Fahrer verzichten. Dafür kann der Jaguar mit seinem modernen V8 unter der rundlich geformten Nase punkten. Motorblock und Zylinderköpfe bestehen wie beim Mercedes.Aggregat komplett aus Leichtmetall. Allerdings besitzt der Jaguar.V8 je Zylinderbank zwei obenliegende Nockenwellen, der Mercedes.V8 nur eine. Außerdem gibt es beim Jaguar vier Ventile pro Zylinder, beim Mercedes sind es nur drei. Trotz einem Liter weniger Hubraum beträgt die Leistungsdifferenz des Jaguar zum Mercedes nur 22 PS. Weil der Brite 175 Kilogramm weniger auf die Waage bringt, sollte dies zu etwa identischen Fahrleistungen führen. Beiden dient zur Kraftübertragung eine Fünfgangautomatik.
GT-Gefühl im Jaguar./strong>
Doch jetzt wollen wir endlich am Lenkrad erfahren, welche Unterschiede es zwischen dem Hightech-Mercedes und dem eher konventionellen Jaguar gibt. Die beginnen bereits beim Einstieg in den eng geschnittenen und nur 1,3 Meter hohen Briten.
Hier heißt es: Kopf einziehen und eine sportliche Punktlandung auf den tief montierten Sitz absolvieren. Bei geschlossener Tür entsteht dann hinter dem Lenkrad richtiges GT-Feeling, fast wie in einem jüngeren Porsche 911. Der typische Automatikwählhebel in der J-Kulisse sowie ein opulentes, rundum abgepolstertes Holzarmaturenbrett, in das die Rundinstrumente und Belüftungsgitter eingelassen sind, bringen echtes britisches Jaguar.Feeling in die SportwagenBude. Allerdings besitzt das spiegelartig glänzende Wurzelholzfurnier bei Weitem nicht die Dicke und Solidität des Armaturenbretts einer klassischen MkIX-Limousine.
Klingt wie ein Mustang
Mit dem Dreh am Zündschlüssel endet jedoch jede Jaguar.Tradition. Der dezent grollende V8 klingt eher wie ein Ford Mustang. Kein Wunder, denn von 1989 bis 2008 war Jaguar ein Bestandteil des US-Ford-Imperiums, das an der Entwicklung des 1996 präsentierten XK8 maßgeblich beteiligt war. Der AJ-8 getaufte DOHC-V8 ersetzte 1997 bei Jaguar sowohl den modernen 24-V-Sechszylinder als auch den klassischen V12.
Beim Fahren zeigt der XK8 beste US-amerikanische Tugenden: Der V8 hängt richtig gierig am Gas. Dank der direkt und wachsam agierenden ZFAutomatik wird jeder Gasfußbefehl in hurtigen Vortrieb umgesetzt. In Verbindung mit einer druckvoll zupackenden Bremse wirkt der XK8 fast so leichtfüßig, wie es sein Markenname verspricht. Die etwas zu weiche Fahrwerksabstimmung mit einer leichten Neigung zum Aufschaukeln nach abrupten Bremsmanövern oder langen Bodenwellen ist vielleicht Folge der beachtlichen Laufleistung unseres Fotomodells, das immerhin 190.000 Kilometer auf dem Tacho vorweist.
Jetzt wechseln wir in den Mercedes. Das geht im Gegensatz zum Jaguar ganz limousinenhaft und ohne Yoga-Erfahrung. Das CL-Coupé ist zehn Zentimeter höher, und die Türausschnitte sind zum Dach hin groß- zügiger bemessen. Außerdem fahren beide Türen beim Öffnen dank einer trickreichen Kinematik rund zehn Zentimeter nach vorn. Eine konstruktive Eigenart, die nur das C-215- Coupé mit seinen langen Türen vorweist. Durch diese wird der Einsteig in den geräumigen Fond, in dem auch zwei Erwachsene sitzen können, erheblich erleichtert.
Wir richten uns jedoch hinter dem Lenkrad ein, das fast wie im Jaguar mit einem Mix aus Holz und Leder dekoriert ist und verschiedene Bedienknöpfe für den Bordcomputer und das Soundsystem besitzt.Lenkrad, Sitz und Außenspiegel lassen sich in beiden Coupés selbstverständlich elektrisch verstellen. Die vier maximal halbkreisförmigen Mercedes.Instrumente sitzen unter einer gemeinsamen Abdeckung, ihre Skalen bestehen aus LED-Leuchten. Eine komplett mit Holzfurnier eingekleidete Mittelkonsole bemüht sich trotz Minibildschirm, Telefontastatur und drei Joystick-Schalterchen für Radio und Getrennt-Klima um einen Hauch von Luxus und Geborgenheit, was dem Jaguar deutlich besser gelingt.
Viel Platz im Mercedes./strong>
Dafür genießt man im etwas breiteren und helleren Mercedes ein besseres Raumgefühl als im Jaguar. Nach dem Dreh des Zündschlüssels meldet der Mercedes.V8 durch ein kurzes Rauschen, dass er für eine Ausfahrt bereitsteht. Ein leise brodelndes Standgasgeräusch wie beim XK8 unterschlägt das diskret und fast schon unterwürfig agierende CL-Coupé. Beschauliches Losfahren erzeugt vorne im Motorraum kaum mehr als ein bienenhaftes Summen.
Auch in anderen Bereichen arbeitet die Technik im Mercedes äußerst unauffällig. Schließlich soll der CL-Fahrer von den Tücken des Straßenverkehrs so wenig wie nur möglich mitbekommen. Dazu zählen auch Kurven, die der Mercedes dank seines aktiven ABC-Fahrwerks mit einer sensationellen Gelassenheit umrundet.
Wir bemerkten dies bei gemeinsamen Fotofahrten in einem großzügig ausgebauten Kreisverkehr. Während der ohnehin hinten etwas hochbeinig wirkende Jaguar bereits Blicke auf sein vom Vorgänger XJS übernommenes Chassis zuließ, drehte der Mercedes seine Kreisbahnen fast so unbewegt wie das viel zitierte Brett.
Leider demonstriert der CL 500 auch seine Gelassenheit in einem Bereich, wo man sie nicht unbedingt braucht: beim Beschleunigen. Zumindest in den unteren Temporegionen wirkt der bei Bedarf fröhlich losstürmende XK8 etwas agiler als der distinguierte Daimler. Spontane Gasbefehle scheinen den V8 und vor allem die Fünfgangautomatik zu überraschen, die erst nach kurzer Überlegung einen oder zwei Gänge runterschaltet. Aber dann spurtet der Daimler mit dezentem V8-Knurren vehement los.
Im Testbetrieb von auto motor und sport hatte der Mercedes bei den Sprintmessungen seine E-Klasse-Nase vorn. Von 0 auf 100 km/h unterbot er den Jaguar mit dessen 6,7 Sekunden um 0,4 Sekunden, bis auf 200 km/h sogar um 5,3 Sekunden. Und dazu benötigte der CL 500 weder seine Massagesitze noch den Abstandswarner oder das ABC-Fahrwerk.
Fährt auch ohne Gadgets
Auch umgekehrt haben wir im agilen Jaguar keines der hochgepriesenen Mercedes.Gadgets vermisst. Insofern könnte der stilsicher eingerichtete Brite aus heutiger Sicht der vernünftigere Kauf sein, bietet seine überschaubare Technik doch weniger Angriffsflächen für Verschleiß und Defekte.
Der damals beste Mercedes aller Zeiten muss sich heute jedoch vor dem Versagen seiner hochsensiblen Technik fürchten. Zumindest die derzeit extrem günstigen Einstiegspreise lassen diese Einschätzung zu. Trotzdem ist auch er aufgrund seiner überragenden Optik und seiner wichtigen Stellung innerhalb der Mercedes.Modellreihen ein Youngtimer mit gesicherter Klassiker-Zukunft.