Mercedes SLR McLaren im Test

Der Mercedes SLR McLaren hat 626 PS, trägt ein Kleid aus Karbonfasern und kostet 435.000 Euro – der Supersportwagen im ersten Test: mit 334 km/h an die Spitze?
Ein passender Vergleich für den Mercedes SLR McLaren? Schwierig. Unmöglich sogar, sagen die Verantwortlichen von Mercedes. Streetracer wären etwas anderes, also kein Ferrari Enzo und auch kein Porsche Carrera GT. Highend-Coupés á la Ferrari 575M oder Aston Martin Vanquish hingegen verdienten es nicht, im gleichen Atemzug genannt zu werden: zu zahm. Einzigartig, weil unvergleichlich, ist die von Mercedes bevorzugte Vokabel – nicht besonders originell, aber glaubhaft. Die Bestätigung liefert schon der erste Augenschein: ein Mercedes, unverkennbar, aber mit Proportionen wie im Zerrspiegel. Auf der Motorhaube des Mercedes SLR McLaren könnte ein Hubschrauber landen, von der Garnierung ganz zu schweigen. Die markante Nasenspitze soll – vielleicht nicht ganz opportun – an die Formel 1 erinnern, Luftschlitze in den Flanken atmen den Geist des sagenhaften Ur- SLR der fünfziger Jahre, unterstützt von Abgasrohren, die hinter den Vorderrädern ins Freie münden.
Mercedes SLR McLaren – Sportwagen-Karrikatur oder Design- Ikone?
Für Schaueffekte ist beim Mercedes SLR McLaren also gesorgt, auch wenn sich bei der Würdigung die Geister scheiden. Sportwagen-Karrikatur oder Design- Ikone? Letzteres wohl kaum, aber sicher ein Cocktail, der den Atem raubt – stark im Aroma, kantig im Abgang. Mit anderen Worten: Wen ein Carrera GT an eine Bettdecke mit Auspuffrohren erinnert, der liegt hier richtig. Keinen Unterschied gibt es hingegen beim Material. Wie Porsche leistet sich Mercedes den Luxus, den Supersportler Mercedes SLR McLaren im Modellprogramm ganz in teuren Kohlefaserkunststoff (CFK) einzukleiden. Wer es nicht weiß, ahnt es beim genaueren Studium der Oberflächen. Blech ist glatter, aber eben auch 50 Prozent schwerer. Gebacken wird das kunstvolle Gehäuse (vier bis fünf Mal steifer als eine Stahlkonstruktion) bei McLaren in England, dem Formel 1-Partner, dem Mercedes auch die Entwicklung des Mercedes SLR McLaren anvertraute. Nicht ohne strikte Vorgaben, versteht sich. Schließlich sollte am Ende kein McLaren, sondern ein Mercedes.McLaren herauskommen.
Immerhin war es den Konstrukteuren gestattet, beim Fahrwerk auf schwere Luxustechnik zu verzichten – keine aktive Federung oder verstellbare Dämpfer also, sondern klassische Doppelquerlenker und ebensolche Feder-Dämpfer-Einheiten. Die Zahnstange für die Servolenkung besorgte man sich der Einfachheit halber bei der A-Klasse, die elektro-hydraulischen Bremsen (SBC) entsprechen im Prinzip jenen im SL, allerdings umklammern die Bremssättel beim Mercedes SLR McLaren Keramikscheiben gewaltigen Durchmessers.
Mercedes SLR McLaren mit Bose-Soundsystem
Das dem Anlass entsprechende Feuer steuert die Mercedes Tuning-Tochter AMG bei. Acht Zylinder, 5,4 Liter Hubraum plus Kompressor machen bei 6.500/min 626 PS, während bei 3.250/min ein Drehmoment von 780 Nm anfällt – mehr Ochse als Drehwurm mithin. Die Ähnlichkeit mit dem Motor des SL 55 AMG beschränkt sich im Übrigen weitgehend auf die Architektur. Alles andere wurde umgekrempelt, der Ölhaushalt auf Trockensumpf umgestellt (separates Ölreservoir statt Ölwanne), der Lader vergrößert. Keine falschen Kompromisse also, was freilich nicht bedeutet, dass man bei McLaren ganz ohne bittere Pillen davonkam. Welcher Supersportwagen leistet sich etwa den Luxus einer Automatik, noch dazu mit nur fünf Gängen? Und wer hat schon elektrisch verstellbare Sitze, GPS, Bose- Soundsystem, elektrische Lenkradverstellung, Front-, Kopf-, Thorax- und Knieairbags, eine links und rechts getrennt regelbare Klimaautomatik? Genau, nur der Mercedes SLR McLaren, denn, so das eherne Gesetz: Wo Mercedes drauf steht, muss Mercedes drin sein.
Geschätzte 200 Kilogramm kostet die Verwöhnausstattung – schlecht für die Diät, wie das Testauto auf der Waage demonstriert: 1,747 Tonnen, 285 Kilogramm mehr als ein Carrera GT. Die gute Nachricht: 50 Prozent des Gewichts lasten auf den Hinterrädern des Mercedes SLR McLaren. Der SLR kann es gebrauchen, verfügt er doch über ESP und ASR, aber nicht über eine traktionsfördernde Differenzialsperre. Ob das gut geht, muss sich zeigen, aber zuvor gilt es, den Einstieg zu meistern. Die Pforten zum Glück öffnen sich spektakulär nach schräg oben, was in Parklücken auch praktische Vorteile hat. Dann mit dem Hintern voraus über die voluminösen Schweller in die schmucken Schalensitze, Beine reinziehen, Tür zu. Erster Eindruck: Wer den SL gewohnt ist, fühlt sich im SLR wie zu Hause, vom knappen Raumangebot und den unbequemeren Sitzen mal abgesehen. Statt Exotik Vernunft nach Benzen Art (Abteilung Edles), was ja auch seine Vorteile hat. Man versteht alles, findet alles, alles ganz normal: Außen Monster, innen Mercedes, das beruhigt. Kleines Gepäck findet in der Mittelkonsole und unter einer Klappe hinter den Sitzen Platz, größeres im Heck, wo 272 Liter Laderaum bereitstehen. Wieso sollten Besitzer von Supersportwagen immer nur mit Zahnbürste reisen dürfen? Im SLR kann es auch schon mal das Hermés- Köfferchen sein.
Zeit, um gentlemanmäßig die Maschine zu starten, per Knopfdruck natürlich, wozu es zuerst – kleiner Gag am Rande – einen Deckel auf dem Wählhebel zu öffnen gilt. Die Auspuffstutzen an der Seite versprechen nicht zu viel: brüllendes Inferno schon beim Anlassen, dann Leerlauf-Brabbeln im Country & Western-Stil. Keine Frage: Es wird heiter werden. Es gehört zu den Spezialitäten des SLR, dieses Versprechen schon bei minimalem fahrerischen Einsatz einzulösen. Um seine Urgewalten zu entfesseln, genügt es, das Gaspedal in die Auslegware zu drücken. Alles andere besorgt die Technik. Das Resultat dürfte selbst abgebrühten Sportwagenfahrern an die Nieren gehen, buchstäblich, denn wie festgenagelt presst es die Insassen in die Sitzlehnen. Derweil schickt sich der SLR an, begleitet vom Stakkato der Antriebsschlupfregelung Beschleunigungsrekorde zu brechen. Die Bestwerte stellen sich freilich bei abgeschalteter Elektronik und eingeschaltetem Human-ASR ein: Eine angemessen gefühlvolle Gaspedalbehandlung lässt den SLR in 3,8 Sekunden auf 100 km/h donnern (zeitgleich mit dem Carrera GT), weitere 7,5 Sekunden genügen für die Spanne von 100 bis 200 km/h.
Aber auch dann stürmt der SLR mit kaum vermindertem Nachdruck weiter, lärmend, vibrierend, aber zugleich ohne erkennbare Mühe. Bei 275 km/h schaltet die Automatik in den Fünften, ohne dass der Beschleunigungsvorgang damit abgeschlossen wäre. Erst bei Tempo 334 erreicht der Mercedes sein Limit. In diesen Sphären noch die Bodenhaftung zu bewahren, gehört zur Kür der Aerodynamiker, zumal wenn das Gefährt ohne prollige Spoiler auskommen soll. Beim SLR führt ein so genannter Diffusor unter dem Heck zum Ziel. Ganz ohne Spoiler geht es freilich nicht: Normalerweise unauffällig im Heckdeckel ruhend, justiert er sich ab Tempo 100 automatisch auf einen Winkel von zehn Grad, bei heftigen Bremsmanövern im Interesse der Fahrstabilität auf 65 Grad. Das Ganze funktioniert weitgehend im Sinne der Erfinder – der SLR macht auch bei voller Fahrt keine Anstalten, ins Orbit abzudriften. Gleichwohl ist beim Bremsen Vorsicht geboten: Reicht die Verzögerung nicht aus, um den Spoiler zu aktivieren, kommt Leben ins Heck – bei über 300 km/h kein Vergnügen. Immerhin bleibt die Option, die aerodynamische Hilfe per Schalter selbst zu aktivieren. Der für diesen Fall vorprogrammierte Winkel von 30 Grad legt dem SLR in den oberen Regionen zwar spürbar die Zügel an, reduziert aber zugleich den Pulsschlag des Fahrers.
Gut zu wissen, dass auch auf die Bremsanlage Verlass ist. Im Test glänzte sie durch sensationelle Verzögerungswerte, allerdings enttäuscht die Dosierbarkeit: Man glaubt, auf weiches Gummi zu treten. Auch an anderer Stelle vermischt sich beim SLR Bewundernswertes mit weniger Gutem. Zur ersten Kategorie gehört die Automatik. Sie arbeitet zügig und unauffällig und verkneift sich im Manualmodus eigenmächtiges Hochschalten. Bei Bedarf lassen sich die Gänge mittels Tasten am Lenkrad wechseln, und es darf zwischen drei verschiedenen Schaltgeschwindigkeiten gewählt werden – da weint man den sequenziellen Schaltgetrieben keine Träne nach. Weniger begeisternd dagegen die Eindrücke abseits jener gut ausgebauten Straßen, die dem SLR auf den Leib geschneidert sind. Für enge, kurvenreiche Strecken ist er zu ausladend und zu unübersichtlich. Die lange Haube entzieht sich weitgehend den Blicken des Fahrers, aber auch die ausgeprägte Neigung, bei Fahrbahnunebenheiten den Kurs zu wechseln, macht die Sache nicht leichter. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lenkung Direktheit mit Nervosität verbindet, und obendrein den optimalen Fahrbahnkontakt vermissen lässt. Überraschend angenehm dafür der Komfort: Den harten Bolzen markiert der SLR nur bei niedrigem Tempo, ansonsten bleibt man von heftigen Schlägen weitgehend verschont.
Dennoch: Das SLR-Nirwana ist die schnelle Piste, vorzugsweise unter Ausschluss öffentlichen Verkehrs. Nur hier lässt sich sein enormes Potenzial ausschöpfen, hier krallt er sich in die Kurven, als gelte es, den Asphalt aufzureißen. Die Grenzen diktiert vor allem die Traktion, die den einfallenden Kräften nicht gewachsen ist. Bei abgeschalteter Elektronik ist die Kunst des Dosierens gefordert – zu viel Gas beantwortet der normalerweise untersteuernde SLR mit einem Ausschwenken des Hecks, wie man es sonst nur bei Krokodilen erlebt. Zu wenig des Guten? Es kommt auf den Standpunkt an. Schließlich gehörte bei den Supersportwagen Perfektion noch nie zu den Gepflogenheiten. Aufregend müssen sie sein und teuer. So gesehen ist der SLR ein Volltreffer.