Porsche 911 GT1 im Test
Wild, weiß und wuchtig wie ein wohlgeformter Wal: Weltexklusiv testete auto motor und sport den 544 PS starken 911 GT1, mit dem Porsche bei den Supersportwagen jetzt ein neues Machtwort spricht. Die Sprinterqualitäten des 790.000 Euro teuren Zweisitzers sprechen für sich – so schnell lagen noch nie 200 km/h an.
Bereits die Eckdaten der Zivilausführung des GT1 verdichten sich zu einem kräftigen Arbeitstakt der Vorfreude: 544 PS stehen nur 1150 Kilogramm Leergewicht gegenüber. Daraus errechnet sich ein Leistungsgewicht von 2,1 kg/PS, und dies verspricht ein so beschleunigtes Fortkommen, wie es einst der Baron von Münchhausen beim Ritt auf der Kanonenkugel verspürt haben mag. Der weiße Zweisitzer ist der aktuelle Gipfel dessen, was sich die Porsche-Rennabteilung im 111. Jahr des Automobils unter einer ultradynamischen Fahrmaschine für die Straße vorstellt. Ein einziges Exemplar seiner Art würde genügen, um den Zulassungsbestimmungen für GT-Rennen wie etwa Le Mans zu entsprechen.
Doch sollen nach dem Willen des zahlenden Publikums bis Mitte nächsten Jahres nicht nur rund 15 Rennautos, sondern auch etwa 30 Straßenexemplare zum Stückpreis von 1,5 Millionen Mark gebaut werden. Da steht er. Und alle Fragen nach dem Warum und dem Woher verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit in jener weißen Hügellandschaft, die auf dem flimmernden Asphalt in träger Lauerstellung vor sich hin dämmert. Der breite und flache und trotzdem wild zum Himmel emporschwellende Porsche 911 GT1 wartet auf Zündschlüssel, Gasfuß und einen gefühlvollen Gegenlenker. Die federleichte Carbonfiber- Tür mit der eingeklebten, nicht versenkbaren Scheibe schwingt auf, als besäße sie mangels Masse auch keine Trägheit. Der Weg ins Cockpit ist ein gewundener Pfad über das seitliche Rohrkreuz des inneren Käfigs, der das versteifende Skelett des GT1 bildet.
Der Vorderwagen entspricht in seiner Struktur dem Porsche Carrera, was dem Werk bei der Straßenzulassung aufwendige Crashtests erspart. Neu sind dabei die Anlenkpunkte der doppelten Querlenker. Etwa ab Höhe des Fahrersitzes wächst der GT1 dann als reines Rohrrahmen- Auto seinem Ende entgegen. Der im Prinzip auf dem Porsche 962 basierende Motor sitzt vor der Hinterachse und trägt nicht mit. Dahinter schließt sich das mit einem kräftigen Leichtmetall-Joch an zwei Rahmenauslegern fixierte Getriebe an. Soweit die Theorie. Der Platz hinter dem Lenkrad bietet in der Praxis vergleichsweise die anheimelnde Enge japanischer Hotelzimmer: Unbarmherzig schient der Schalensitz jede Fahrerfigur – derzeit ist er nur in einer Größe lieferbar.
Der Dreipunkt-Automatikgurt schiebt den letzten Riegel vor. Instrumente und Bedienteile entsprechen dem bekannten Carrera-Standard, und auch das Zündschloß sitzt porschetypisch dort, wo das Herz des Fahrers schlägt: auf der linken Seite. Neu ist nur der Schaltknauf des Sechsganggetriebes; stolz ragt er wie ein polierter Aluminium-Spargel der Extraklasse aus dem Dunkel. Der wassergekühlte 3,2 Liter- Sechszylinder röchelt im Heck los wie ein leicht belegter Herkules, der sich vor der nächsten Heldentat noch einmal kräftig räuspert.
Diese Geräuschkulisse, das Hecheln und Hämmern und Fauchen, ist pures Racing – eine akustische Auskoppelung aller Sportwagenschlachten zwischen Daytona und Le Mans, der reine Soundtrack eines Triumphmarsches, in dem die Porsche-Renntypen 956 und 962 jahrelang den Ton angaben. So klingt es, wenn zwei kräftige Turbolader warmlaufen, um sechs Brennräume und 24 Ventile dergestalt unter Druck zu setzen, daß rund 170 PS pro Liter Hubraum anfallen. Ausrücklager und Sintermetallscheibe der Rennkupplung im Zweimassenschwungrad melden sich mit metallischem Klang beim Einrücken des ersten Gangs zur Stelle, und mit 1.200 U/min setzt sich das Abenteuer GT1 geschmeidig in Bewegung.
Die Servolenkung vermittelt perfekten Fahrbahnkontakt und zeigt sich der Carrera- Lenkung technisch eng verwandt, wirkt aber durch einen modifizierten Steuerdruckverlauf in der Hydraulik noch etwas direkter. Auch die Bremse hält weder in der nachmittäglichen Rush-hour noch im vollen Galopp auf der Autobahn gewöhnungsbedürftige Überraschungen bereit. Porsche verzichtet auf die Montage exotischer Kohlenstoffscheiben, die ja ohnehin nur auf der Rennstrecke ihre optimale Betriebstemperatur erreichen. Der GT1 verzögert mit gewaltigen Stahlscheiben von 380 Millimeter Durchmesser.
Vorn arbeiten Achtkolben-Festsättel, und an der Hinterachse bremsen immerhin noch vier Kolben pro Zange. Diese Anlage beißt zu wie der weiße Hai nach Ablauf der Fastenzeit. Was die GT1-Bremse an feinnervigem Ansprechverhalten, exaktem Druckpunkt, höchster Fading- Freiheit und gewaltiger Leistung aufbietet, ist weltrekordverdächtig. Schon aus Tempo 100 wird mit 10,7 m/s² verzögert. Steigt die Geschwindigkeit, steigert auch die Bremse ihre Formkurve. Unterstützt durch den hohen aerodynamischen Abtrieb, der den Sportwagen zusätzlich zum statischen Gewicht auf die Fahrbahn preßt, bremst das edle Coupé etwa bei 200 km/h bereits mit einer Verzögerung von 11,8 m/s². Porsche hat bei Testfahrten aus gut 300 km/h schon 1,5 g Negativbeschleunigung gemessen und errechnet, daß der GT1 mit einer Bremsleistung von rund 2.000 PS aufwartet.
Diese Werte tröpfeln beruhigend wie eine Baldrian-Medizin in das Bewußtsein des Fahrers, wenn er sich anschickt, im teuersten Zweisitzer der Welt den Drehzahlbereich jenseits der 4000/min zu erkunden. Sobald sich der volle Ladedruck – drehzahlabhängig zwischen 0,95 und 1,05 bar – zur Stelle meldet, wird der Porsche auf der Hinterhand leicht unruhig. Sind die Reifen noch kalt, verstärkt sich das Schwanzwedeln – das Power-Coupé schreit mit durchdrehenden Antriebsrädern nach Grip, Grip und nochmals Grip. Packt der Gummi endlich, antwortet der Pilot in geziemender Demut: „ Grip, Grip, hurra.“ Ab 4.250 U/min reißt das volle Drehmoment die flache Flunder so vehement vorwärts, daß es unvorbereiteten Passagieren gewissermaßen die Augäpfel nach hinten dreht und die Zunge auf Nimmerwiedersehen in den Schlund drückt. Der GT1 beschleunigt so brutal, daß dort, wo eben noch ein langes Stück Straße vor dem Frontspoiler lag, ganz plötzlich schon die gartenzaunbewehrten Auslaufzonen winken. Bei den auto motor und sport-Meßfahrten tobte der GT1 jedenfalls bereits nach 10,5 Sekunden mit Tempo 200 dem Horizont entgegen. Schneller war bisher kein anderer Straßen-Sportwagen. Am anderen Ende der Skala posiert die Höchstgeschwindigkeit: Erst bei 308 km/h hielten sich im Test Luftund Rollwiderstände mit der Motorleistung die Waage.
Als limitierende Faktoren bremsen den GT1 die Übersetzung und die Position des Heckflügels, der mit rund fünf Grad Anstellwinkel mehr auf Abtrieb als auf Topspeed justiert blieb. Das aerodynamische Wohlverhalten trägt entscheidend zu dem angenehmen Gefühl bei, auch im Bereich extremer Geschwindigkeiten jederzeit hinreichenden Fahrbahnkontakt zu genießen. Je schneller der GT1 wird, desto heftiger saugt er sich dank Spoiler, Heckflügel und ausgeklügeltem Unterboden an die Fahrbahn. Nur auf Querfugen oder sehr kurzen Wellen gerät die überaus straff gefederte und gedämpfte Hinterachse bisweilen durch einen kecken Sprung etwas aus dem Gleis. Das Fahrerlebnis entspricht in seiner nüchternen Summe einem kompakten, unglaublich faszinierenden Trip in die exclusive Welt des Rennsports. Alltägliche Überholmanöver rücken in den Rang von Überrundungen, das kompromißlos harte Fahrwerk schüttelt den Fahrer durch wie einen Cocktail der Kneipen-Koryphäe Charles Schumann, und der Sechszylinder brüllt dem Piloten sein Stakkato in die Ohren wie ein nimmermüder Dezibel- Generator.
Um den GT1 im Boost, also dem Bereich des vollen Ladedrucks zu halten, will das Sechsganggetriebe fleißig geschaltet werden. Die exakte Definition der Kulisse und die kurzen Schaltwege erfreuen dabei auch kritische Vertreter unter den Feinmechaniker-Fans. Das Eigenlenkverhalten des weißen Wals gibt selten Rätsel auf: In zu schnell angegangegen Kurven schiebt der GT1 zunächst untersteuernd über die Vorderräder zur Kurvenaußenseite; unter Last schwenkt er dagegen übersteuernd das Heck nach außen. Der Driftwinkel sollte hierbei tunlichst nicht zu groß ausfallen – der knappe Lenkeinschlag begrenzt die Korrekturmöglichkeiten. Wer sich einen GT1 injiziert, gibt sich die Droge Rennfaszination im höchsten Reinheitsgrad, der rezeptfrei für den Straßenbetrieb erhältlich ist. Wem dies als Kaufargument nicht genügt, den möge folgendes überzeugen: Der GT1 muß nur alle 10.000 Kilometer zur Inspektion. Ein Formel 1 bringt es bei der gleichen Laufleistung immerhin auf 33 Revisionen.