VW Golf GTI W12
Man kann VW wirklich nicht unterstellen, dass ihnen nach 25 Millionen Golf nichts mehr zum Thema einfällt. Der GTI mit W12-Mittelmotor und 650 PS ist dafür ein spektakulärer Beweis.
Nein, nein, dieses Auto wird nicht in Serie gebaut.“ Das ist die offizielle Sprachregelung in Wolfsburg zum wohl aufregendsten Golf aller Zeiten, dem GTI W12-650. Doch nach der ersten kleinen Probefahrt, die auto motor und sport exklusiv absolvieren durfte, drängt sich die Frage auf: Warum eigentlich soll von diesem Mega-Über-Hammer-Golf nicht eines Tages eine Kleinserie aufgelegt werden? Soll dieses herrliche Auto nach ein paar Gastspielen auf VW-Treffen etwa im Museum landen und sich dort die extrabreiten Yokohama-19- Zoll-Schlappen eckig stehen?
Nein, ein solch trauriges Schicksal hätte dieser Golf wirklich nicht verdient. Schon allein deswegen, weil dann niemand in den Genuss käme, dem wundervollen Sound des kompakten Zwölfzylinder. zu lauschen. Der Sechsliter- Motor in W-Bauweise mit doppelter Aufladung ist eine Leihgabe aus dem herrschaftlichen Bentley Continental.
Im Golf zeigt dieses unkonventionelle Stück feinen Maschinenbaus, was wirklich in ihm steckt. Denn anders als in seinen üblichen Wirkungsstätten, dem VW Phaeton, dem Audi A8 oder eben dem noblen Briten, wo der mächtige Kraftwürfel seiner Arbeit möglichst diskret nachgehen muss, darf sich der W12 im metallic- weißen Kraft-Golf exhibitionistisch gebärden.
Er beherrscht alle Tonlagen perfekt, vom autoritären, extra-bassigen Leerlaufgrummeln über schrillen Sopran beim blitzartigen Hochdrehen bis zu heiserem, durch die beiden Turbolader kaum gedämpftem Brüllen, wenn es in Richtung Höchstdrehzahl geht.
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Die Passanten können es kaum fassen: Was hier klingt wie ein Supersportwagen aus Italien, das soll ein Golf sein? Auf dem Parkplatz können sie sich mit einem Blick durch die hinteren, leicht nach innen gestellten Seitenscheiben Gewissheit verschaffen: Jawoll, es ist wahrhaftig ein Zwölfzylinder.
Dort, wo sonst oft Maxi-Cosys für die lieben Kleinen montiert sind, thront jetzt der Motor – die Ansaug- rohre sauber gescheitelt und nach beiden Seiten gekämmt. Eine Glasscheibe trennt den nunmehr zweisitzigen Fahrgastraum des Golf vom mittschiffs werkelnden Motor, der seine gewaltige Kraft – 650 PS und bis zu 750 Newtonmeter – an eine Sechsgang-Automatik weiterreicht.
Die Kraftübertragung ist eine Leihgabe aus dem Phaeton, mit dem Unterschied, dass nur eine der beiden Ausgangswellen benutzt wird: Im Gegensatz zum allradgetriebenen Luxus-Liner begnügt sich der Golf mit Heckantrieb. Die Gewichtsverteilung von 45 : 55 zugunsten der Hinterachse verspricht beste Traktion und unterhaltsames Handling.
ESP soll jedoch auch im Über-Golf dafür sorgen, dass unplanmäßige Ausfallschritte des Hecks schon im Ansatz unterbunden werden. Fernreisetauglich ist der Golf W12 allerdings nur dann, wenn das Gepäck im Begleitwagen mitkommt: Denn unter der vorderen Haube finden nun ein 80-Liter-Benzinfass Platz sowie der Wasserkühler und zwei Batterien.
In der Ära Ferdinand Piëch wurde das Leistungsprinzip beim Volkswagen- Konzern zum Credo. Das gilt sowohl für die Mitarbeiter wie auch für die Produkte. Nachdem das 400-km/h-Thema mit dem 1001 PS starken Bugatti Veyron endlich abgearbeitet ist, kehrt jetzt so etwas wie Bescheidenheit auf hohem Niveau ein. Bei 325 km/h soll im Golf W12 Schluss sein mit der Beschleunigungsorgie. „Dann wird abgeregelt“, heißt es bei VW hinter vorgehaltener Hand. Wobei nicht ganz klar ist, ob dies scherzhaft gemeint ist.
Damit die rasche Fahrt nicht zum Himmelfahrtskommando wird, bekam der Golf W12 allerlei abtriebsfördernde Accessoires mit auf seinen eiligen Weg: Der über das nach hinten stark abfallende Dach strömende Fahrtwind passiert an der Heckklappenkante einen integrierten Flügel; am Unterboden kümmert sich ein breiter Diffusor um Anpressdruck. „280 km/h hat der Prototyp schon geschafft“, ist zu hören. „Völlig problemlos.“
Die Designer griffen beim schnellsten Golf aller Zeiten beherzt in den Schminkkoffer: Der böse Blick am Bug wurde im Vergleich zur Serie nochmals geschärft. Um 16 Zentimeter verbreiterte Kotflügel hinten schaffen Platz für Kingsize- Bereifung, hinten im 295er-Format. Die gewaltigen Lufteinlässe vor den Hinterrädern beliefern den Motor mit Atemluft.
Vier Auspuffrohre sorgen bei den soeben Überholten für Klarheit, dass es ein ganz besonderer Golf war, der eben an ihnen vorbeizischte. Obwohl die 20-köpfige Entwicklungsmannschaft nur sechs Wochen Zeit hatte, den Golf W12 auf die Räder zu stellen, findet sich im Interieur des Prototyps eine Vielzahl liebevoller Details: Der Handbremshebel in Ultraleichtbauweise, die gelochten Türverkleidungen sowie die alcantarabezogenen, mit roten Kedern abgesetzten Sitze sorgen für Pläsier. So aufgeregt sich der Golf nach außen hin gebärdet, so dezent benimmt er sich bei der Probefahrt: Die Sitzposition passt perfekt, die Bedienung gibt keine Rätsel auf, und die Lenkung arbeitet, wie sie sollte: zielgenau, rückmeldend und leichtgängig. Automatik-Wahlhebel auf „D“, und der Golf fährt los, wie ein Golf eben losfährt, abgesehen vom höchst eindrucksvollen Sound. Doch wer das Gaspedal auch nur ein paar Millimeter durchdrückt, hat kaum noch Zweifel daran, dass der rund 1700 Kilogramm schwere VW in atemberaubenden 3,7 Sekunden auf 100 km/h sprinten kann. Angesichts der souveränen Vorstellung und der professionellen Machart dieser GTI-Studie kann man einfach nicht glauben, dass es wirklich bei dem Einzelstück bleiben soll. Schließlich gab es schon einmal einen sportlichen Golf, von dem es zunächst auch hieß: „Serienfertigung? Ausgeschlossen!“ Das war der Ur-GTI, vor ziemlich genau 30 Jahren. Und dieser anfangs 110 PS starke Renner, der laut zeitgenössischem Begleittext „auch zum Einkaufen in Schrittgeschwindigkeit ruckfrei zu fahren ist“, entwickelte sich zu einem Bombenerfolg: 1 670 000 GTI wurden seither verkauft. Kaum ein Auto bewegt die Deutschen eben so sehr wie der 25 Millionen Mal verkaufte Golf – sowohl stückzahlmäßig wie auch emotional.