VW Sharan und Chrysler Voyager im Test
Chrysler hat in der Klasse der Vans die stolze Stückzahl von fünf Millionen Exemplaren verkauft, bevor VW mit dem ersten Sharan überhaupt auf den Markt gekommen ist. Kann der neue unter den Vans mit dem Bestseller mithalten?
Klein soll er sein, der neue Chrysler Voyager. Dabei erscheint der sogenannte Minivan mit seiner massigen Karosserie eher als Maximallösung für den Alltagsverkehr: Bei 4,73 Meter Länge fehlt nicht mehr viel zum Gardemaß von fünf Metern, und mit 1,95 Meter Breite kratzt der Chrysler auch verdächtig knapp an der Zwei-Meter-Grenze, bei deren Überschreitung ein Auto in Autobahnbaustellen die linke Spur nicht mehr benutzen darf.
Obwohl der VW Sharan von der Silhouette her seinem Konkurrenten ähnelt wie ein Ei dem anderen, ist seine Statur sehr viel zierlicher als die des Voyager. Der Van aus Wolfsburg ist elf Zentimeter kürzer und 14 Zentimeter schmaler, doch mit 1,73 Meter Scheitelhöhe nur einen Zentimeter niedriger. Dabei ist der Raum im Sharan nicht in dem Maß enger, wie es die Zahlen glauben machen. Vorne sitzt man kommod, die Beifahrer auf den mittleren Sitzen sind sogar ausgesprochen generös untergebracht. Nur in der dritten Sitzreihe wird es großgewachsenen Personen eng ums Haupt, weil die Karosserielinie des VW nach hinten etwas abfällt. Der knappe Kofferraum des Sharan faßt gerade 250 Liter und damit die Hälfte dessen, was der Voyager zu bieten hat. Die Schiebetüren des Voyager mögen vielen Van- Käufern praktischer erscheinen als die Klapptüren des Sharan, doch es sind schwere Bauteile, die beim Öffnen Kraft erfordern und immer wieder knallend ins Schloß fallen.
Auf den Vordersitzen offeriert der Voyager mehr Raum, doch ist die Geräumigkeit gekennzeichnet vom Hang zur Verschwendung: Wegen der üppigen Innenbreite ist die Fensterkante zum gemütlichen Armauflegen zu weit entfernt. Zwischen Sitz und Tür verbleibt im Grunde nutzloser Raum, der nur dem subjektiven Gefühl einer überdurchschnittlich geräumigen Karosse dient. Man thront aufrecht hinter dem verstellbaren Voyager. Lenkrad, genießt einen guten Überblick über die geordnet liegenden Instrumente und Schalter. Nur die aufgesetzte Leiste mit Kontrolleuchten oben auf der Armaturentafel sitzt für den Fahrer im Blickschatten des Lenkrads – ein Entgleisung, die von den ganz auf Funktionalität fixierten Designern in Wolfsburg niemals toleriert würde.
Der Blick nach vorne geht bei beiden Vans durch eine riesige Frontscheibe und verrät nicht viel über die wahren Raumverhältnisse rund um das Auto, so nötig das bei Einparkmanövern auch wäre. Es bleibt keine andere Wahl, als solange zu trainieren, bis der Fahrer den Umgang mit der hohen Karosserie im Griff hat. Dabei sind die Rückspiegel, die in beiden Fällen aus modischen Gründen recht klein ausgefallen sind, eine schlechte Hilfe. Immerhin gelingt es leidlich, den schmalen Sharan in normalen Parklücken unterzubringen, an denen der größere Voyager vorbeifahren muß.
In Fahrt sorgen die beiden Vans für ein verblüffend normales, limousinenhaftes Fahrgefühl. Die Sechszylinder-Motoren tragen beide ihre Arbeitseinheiten in platzsparender VForm, doch der VW holt aus weniger Hubraum (2,8 Liter) mehr Leistung (174 PS) als der Chrysler. Dessen 3,3 Liter-Motor begnügt sich mit 158 PS, erreicht aber beim Drehmoment (275 Nm bei 3250/min) einen höheren Gipfelwert als der Sharan (235 Nm bei 4200/min). Deutlich mehr Temperament hat der VW. Mit seinem gut übersetzten Fünfgangschaltgetriebe sprintet er dem Chrysler auf und davon, der serienmäßig eine Getriebeautomatik mit vier Fahrstufen besitzt. Bis Tempo 100 liegen die Meßwerte wenig auseinander (11,7 zu 12,6 Sekunden), doch bis Tempo 160 braucht der zu lang übersetzte Chrysler fast doppelt soviel Zeit wie der VW, der diese Marke bereits nach 32 Sekunden passiert.
Der VR6-Motor von VW brummt bei steigenden Drehzahlen vernehmlich und mischt die Melodie seines Ansaugtraktes wie ein Sportmotor in die allgemeine Geräuschkulisse, ohne dabei laut zu werden. Der Chrysler-Sechszylinder läuft dagegen praktisch unhörbar. Mehr als das Heulen des Ventilators ist auch dann nicht zu vernehmen, wenn der Motor per Kickdown in höhere Drehzahlregionen getrieben wird, was wegen der nervösen Schaltcharakteristik leider recht häufig vorkommt. Der Griff zum wenig exakt geführten Wahlhebel ist im Chrysler vor allem beim Verzögern notwendig, wenn die lange Übersetzung und der weiche Wandler kaum unterstützende Bremswirkung aufkommen lassen. Leider sind die Bremsen des Voyager auf die Unterstützung durch die Motorbremse angewiesen, denn sie neigen bei hoher Belastung in beträchtlichem Maß zum Fading. Von solchen Schwächen abgesehen gestaltet sich das Fahren im Voyager jedoch durchweg angenehm. Offensichtlich wurde der Van aus Amerika für die Fertigung bei Steyr-Daimler- Puch in Graz erfolgreich europäisiert.
Der Chrysler federt kommod über Unebenheiten aller Art und unterläßt jenes Schlingern, das man bei den unterdämpft wirkenden Autos seiner Heimat früher häufig vorfand. Allerdings beherrscht er den Umgang mit Querfugen und kurzen Unebenheiten nicht so perfekt wie der VW. Der Unterschied wirkt jedoch vor allem deshalb ausgeprägt, weil der Sharan so geschmeidig federt wie eine gut abgestimmte Limousine. Der Fahrkomfort ist außerordentlich gut, nur bei voller Zuladung neigt die Karosserie zum Nachschwingen, was für die Passagiere hinten nicht gerade angenehm ist.
Im Verbrauch zeigt sich keine vorbildliche Genügsamkeit, schließlich geht es in beiden Fällen darum, ein rund 1,8 Tonnen schweres Auto mit einem mehr als 150 PS starken Motor in Bewegung zu setzen. Das sorgt für einen kräftigen Durst, doch kann der Testverbrauch des Sharan (13,2 Liter auf 100 km) angesichts der gebotenen Transportkapazität noch als angemessen gelten.
Der Chrysler braucht schon deshalb, weil er den Komfort der automatischen Kraftübertragung bietet und außerdem fast 100 Kilogramm schwerer ist, einen guten Liter mehr auf 100 Kilometer, kommt jedoch mit Normalbenzin aus. Aber daß der Verbrauch eines Vans stets deutlich über dem einer gleichstarken Limousine liegt, ist keine neue Erkenntnis.
Der Voyager 3.3 LE ist zum Preis von 62 120 Mark um gut 3000 Mark teurer als der Sharan mit Schaltgetriebe in Carat- Ausstattung, zu der auch die dringend notwendige Klimaanlage gehört. Ausstattungsbereinigt werden daraus 700 Mark Preisnachteil für den Sharan mit Automatik, bei dem man solche Annehmlichkeiten wie Dachreling und Fernbedienung für die Zentralverriegelung extra bezahlen muß. Mit ihren kräftigen Benzinmotoren sind Sharan und Voyager kultivierte und komfortable, jedoch reichlich teure Raumfahrzeuge. Wirtschaftlich gesehen sind die Turbodiesel-Versionen die bessere Alternative.