Kann ein Fenstersturz als Arbeitsunfall gelten?

Glück im Unglück gibt es häufiger, als man denkt, wie so mancher sicher bestätigen kann. Allerdings halten sich beide Seiten der Medaille dabei nicht immer haargenau die Waage. In manchen Fällen scheint insgesamt mehr Glück, in anderen mehr Unglück im Spiel zu sein.
Als ganz besonders großer Unglücksrabe, der sich am Ende doch noch als Glückspilz herausstellte, erwies sich kürzlich ein selbstständiger Kfz-Lackierer aus Nordrhein-Westfalen. Es hatte sich selbst in seiner Wohnung eingesperrt und erlitt bei seinem waghalsigen Ausbruchsversuch einen Knochenbruch. Und wo bleibt das Glück im Unglück, fragen Sie? Nun, wie so oft ist die Sache ein wenig kompliziert.
Gefangen in der eigenen Wohnung mit dem Fenster als einziger Ausweg
Alles fing im Grunde harmlos an. Der bereits genannte Experte für aufwendige Lackierarbeiten hatte beschlossen, sich kurz vor einem Kundentermin eine Ruhepause in seiner Wohnung zu verordnen. Als er sich regeneriert hatte, schickte er sich an, nichts dem Zufall zu überlassen, und er verließ zeitig vor der wichtigen Verabredung sein Apartment.
Oder vielmehr: Er unternahm den Versuch dazu. Denn er hatte die Tür von innen abgeschlossen, was ihm zum Verhängnis wurde. Der Schlüssel blieb im Schloss stecken und brach ab.
Was sich bislang als mittelschweres Malheur erwiesen hatte, mauserte sich kurz darauf zu einem waschechten Super-GAU: Obwohl sich die Wohnung des Lackierers im Dachgeschoss befand, wählte er in seiner Verzweiflung tatsächlich den Ausweg aus dem Fenster.
Kfz-Lackierer als menschliches Fallobst
Und es kam, was kommen musste. Bei seinem Versuch, von seinem Fenster.ims aus auf das Vordach in zwei Metern Tiefe zu klettern, verlor er den Halt und stürzte ab. Zwar gelang es dem Mann auf diesem Weg, sein Ziel zu erreichen, doch der heftige Aufprall war dafür verantwortlich, dass er sich den rechten Unterschenkel brach.
Der Leidensweg des Mannes war übrigens hiermit noch nicht zu Ende. Es dauerte nämlich eine volle Stunde, bis eine Nachbarin auf die Hilferufe des auf dem Vordach gestrandeten, verletzten Pechvogels aufmerksam wurde und einen Krankenwagen rief.
Auch Pechvögel können Glück vor Gericht haben
Sie fragen immer noch, wann das versprochene Glück im Unglück die Bildfläche betritt? Kaum zu glauben, aber an dieser Stelle war es endlich soweit. Es gelang dem gesetzlich versicherten Kfz-Lackierer tatsächlich, das schmerzhafte Fiasko als Arbeitsunfall geltend zu machen.
Zugegeben, nicht sofort. Denn das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatte wenig Verständnis für den Unglücksraben und wies darauf hin, dass er „nur“ auf das Vordach gefallen sei. Die Richter wiesen darauf hin, dass sich der Unfall im öffentlichen Raum hätte ereignen müssen, um durch den Versicherungsschutz erfasst zu sein. Dies sei in einem solchen Fall nicht gegeben.
Bundessozialgericht: Der Arbeitsweg kann auch durchs Fenster führen
Doch der Unglücksrabe gab nicht auf, ging in Revision und hatte vor dem Bundessozialgericht (BSG) Erfolg. Hier argumentierten die Richter, dass sich der Mann auf dem direkten Weg zur Arbeit befunden hatte, als er aus dem Fenster kletterte und dabei zu Fall kam.
Und obwohl besagte Alternativroute durch das Fenster fraglos mit Gefahren verbunden war, eignete sie sich gemäß der Meinung der Richter objektiv gesehen, um den Arbeitsplatz des Kfz-Lackierers zu erreichen. Kurz gesagt: Seien alle Wege versperrt, eigne sich auch der Weg durchs Fenster für den Weg zur Arbeit.
Zugegeben, das war wirklich sehr viel Pech und im Vergleich dazu ein kleines Quäntchen Glück – doch so ist das Leben! Selbstverständlich wünschen wir dem vor Gericht erfolgreichen Pechvogel keinesfalls, dass er jemals wieder eine ähnliche Situation durchstehen muss. Doch sollte es dazu kommen, hoffen wir, dass ihn der rettende Einfall ereilt, den Schlüsseldienst zu rufen, anstatt sich erneut in Lebensgefahr zu bringen.
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