Immer mehr leben von staatlichen Lohnzuschüssen

Immer mehr Menschen in Deutschland reicht der normale Arbeitslohn nicht zum Leben. Sie müssen zusätzliche staatliche Unterstützung via Hartz IV beantragen, um über die Runden zu kommen. Diese Entwicklung hängt nicht mit der Finanzkrise zusammen, auch schon zu Zeiten des Aufschwungs stieg der Anteil derer, die Lohnzuschüsse beziehen, an.
Anzahl der Zuschuss-Bezieher auch 2008 gestiegen
Die Zahl der Erwerbstätigen, die vom regulär bezogenen Lohn nicht selbständig leben können, ist auch im Jahr 2008 weiter angestiegen. Dies geht aus den Zahlen einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor, über die die "Süddeutsche Zeitung" zuerst berichtete.
Demnach zeigt die statistische Datenreihe der BA, die Zahlen bis Juli 2008 berücksichtigt, dass in allen Einkommensgruppen der bezuschussten Geringverdiener die Anzahl der Zuschuss-Empfänger gestiegen ist. Allein im Jahr 2008 (von Januar bis Juli) stieg in der Gruppe derer, die mindestens 800 Euro brutto verdienen, die Zahl der Bezuschussten von 369.597 auf 384.467 Personen, ein Plus von 47.870.
Auch in der darunter liegenden Einkommensgruppe (von 400 bis 800 Euro monatliches Brutto) stieg die Zahl der Aufstocker an, es sind nun 12.000 mehr bei insgesamt 243.550. Damit kann noch nicht von einer Trendwende in der Statistik gesprochen werden, die Zahl der Aufstocker war zwar im Winter 2007/2008 leicht rückläufig gewesen, allerdings verweist eine Sprecherin der BA hier auf "saisonale Einflüsse".
Den langfristigen Trend bestätigt auch Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes. In seiner eigenen Statistik weist er aus, dass sich die Anzahl der Hartz IV Empfänger, die arbeitslos sind, zwar um ein Fünftel verringert hat. In seiner Studie für die BA, die als Bezugspunkt den September 2005 hat, wird dieser langfristige Trend deutlich: Die Anzahl der Aufstocker hat von September 2005 bis Ende 2007 um 50 Prozent zugenommen (in der Einkommensgruppe von 400 - 800 Euro), in der Einkommensgruppe über 800 Euro immerhin um fast 40 Prozent.
Auch in florierender Wirtschaft mehr Aufstocker
Adamy zeigt sich besorgt über diese langfristige Entwicklung. Denn eigentlich hätte es aufgrund der florierenden Wirtschaft in den letzten beiden Jahren wesentlich weniger Menschen geben sollen, die ihren Lohn bezuschussen lassen müssen. Das Gegenteil ist der Fall, so zeigt es seine Statistik. Adamy sieht es für die Betroffenen als "demoralisierend, wenn sie voll arbeiten, mit ihren Beiträgen zur Finanzierung des Sozialstaats beitragen und trotzdem auf staatliche Leistungen angewiesen sind".
Das Ansteigen der Anzahl der bezuschussten Jobs in Deutschland – auch in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten – zeige, dass die staatlichen Zulagen den Niedriglohnsektor gestärkt und ausgeweitet hat. So verweist Adamy auf eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). In einer Befragung haben etwa 20% der großen Unternehmen angegeben, dass seit der Einführung der staatlichen Bezuschussung die Arbeitnehmer grundsätzlich eher bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten und sich den Rest vom Staat zu holen.
Verbreitet sei das Aufstocken von Löhnen vor allem in der Gastronomie, im Verkehrsgewerbe, bei Reinigungsdiensten und in der Leiharbeitsbranche, so Adamy weiter.
Wasser auf die Mühlen der Mindestlohnbefürworter
Die Situation zeige, dass einige Unternehmen vorwiegend Beschäftigte zu niedrigem Lohn einstellen, die sich wiederum einen Zuschuss vom Staat holen. Damit kommt es quasi zu einer staatlichen Förderung von Niedriglöhnen. Diese Kritik äußert auch Adamy. Einen Ausweg sieht er in der Einführung von Mindestlöhnen, die diesen Missstand beseitigen könnten.
Adamy findet die Erhöhung des Kinderzuschlags und des Wohngelds für Bezieher von Hartz IV zwar für positiv und hält eine Reduzierung der Aufstocker für möglich, aber auch hier leben diese Menschen dann von staatlicher Unterstützung. Ein Mindestlohn hingegen würde es den Menschen ermöglichen, in stärkerem Umfang alleine von dem Geld zu leben, was sie sich selbst verdient haben.
Mindestlohn würde Staat 1,5 Milliarden Euro sparen
Nicht nur die Menschen würden mit der Einführung eines Mindestlohns aus der Lohndumping-Falle rauskommen, auch der Staat würde eine beträchtliche Summe an Geld sparen. Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (Die Linke), wie hoch das Einsparpotential beim Staat bei Einführung eines Mindestlohns von 7,50 Euro sei, teilte das Bundesarbeitsministerium in einer Stellungnahme mit, das Einsparpotential liege bei etwa einer bis 1,5 Milliarden Euro.
Abbau der Langzeitarbeitslosen als Ursache für steigende Zahl der Aufstocker
Etwas Positives kann Ulrich Walwei, stellvertretender Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Entwicklung einer steigenden Aufstockerzahl abgewinnen. Denn er führt diese auf den erfolgreichen Abbau der Langzeitarbeitslosen zurück. Zwischen Januar und Juli 2008 ging deren Zahl tatsächlich um 20.000 zurück.
Da diese Langzeitarbeitslosen häufig gering qualifiziert seien, würde auch das Lohnniveau dieser Arbeiter geringer ausfallen, so Walwei. Dennoch hält er es für deutlich besser, dass diese Menschen zumindest einen Teil ihres Lebensunterhaltes mit eigener Arbeit erbringen können, als weiterhin vollständig von Staatleistungen leben zu müssen. Denn so sei es "ein wichtiges psychologisches Zeichen, dass sie und ihre Arbeit gefragt sind".