Mit Brustwarzen-Tattoos gegen die Spuren von Krebs

In Deutschland erkranken jährlich rund 70.000 Frauen an Brustkrebs. In etwa 25 Prozent der Fälle ist eine operative Entfernung der Brust (Mastektomie) medizinisch notwendig. Im Anschluss an eine solche Operation entscheiden sich viele Patientinnen für einen Brustwiederaufbau. Zwar lassen sich Form und Volumen durch chirurgische Eingriffe rekonstruieren - doch ein wesentliches Detail bleibt oft aus: die Brustwarze.
Eine fotorealistische Brustwarzentätowierung kann helfen, das äußere Erscheinungsbild zu vervollständigen. Andy Engel hat sich genau darauf spezialisiert. Seit 2008 bietet der erfahrene Tätowierer Patientinnen nach einer Mastektomie die Möglichkeit, die Brustwarze mithilfe einer realistischen Tätowierung optisch rekonstruieren zu lassen. Seit 2020 unterstützt er zudem die Kampagne #wiederganzich, initiiert von Bepanthen, mit dem Ziel, dass sich Frauen mit Brustkrebs wieder ganz als Frau fühlen und mit der Erkrankung abschließen können. "Die fehlende Brustwarze und die Narben erinnern sie ständig an ihre Erfahrungen", weiß Engel und klärt im Interview über die wichtigsten Fragen zu seiner besonderen Arbeit auf.
Herr Engel, wie sind Sie zur Spezialisierung auf medizinisch-rekonstruktive Tätowierungen, insbesondere Brustwarzen-3D-Tattoos, gekommen?
Andy Engel: 2008 kam eine Kundin zu mir, die an Brustkrebs erkrankt war, eine einseitige Mastektomie hatte und in Folge auch einseitig ihre Brustwarze verloren hat. Die Kundin kannte mich aus einem Fernsehbericht und war der Meinung, wenn ich doch Portraits tätowieren könne, sollte ich ihr auch mit einer fotorealistischen Brustwarze helfen können. Ich war zu dem Zeitpunkt weltweit schon bekannt als Spezialist für fotorealistische Portraits. Vor allem, weil die Tätowierungen auch wirklich dauerhaft waren, was bei vielen anderen Portraitkünstlern nicht der Fall war. Wir haben uns beraten und ich habe die Brustwarze dann schlussendlich tätowiert. Die Kundin war so glücklich darüber, dass sie zu einem Radiosender in Nürnberg gegangen ist und dort berichtete, dass ich noch vielen weiteren Frauen helfen könne. Und von diesem Beitrag haben wiederum diverse Ärzte und Kliniken erfahren und so kam das ganze Thema dann ins Rollen.
Welche speziellen Techniken und Farbtöne verwenden Sie, um die Illusion von Dreidimensionalität zu erzeugen?
Engel: Ich habe im Laufe der Jahre spezielle Techniken, Farben und Maschinen entwickelt, weil ich gemerkt habe, dass das "normale" Tätowieren in diesen Arealen der Haut nicht funktioniert. Aufgrund von starker Vernarbung, verschiedenen Hauttransplantationen, der Chemotherapie und der Bestrahlung verändern sich die Hautzellen. Die Haut an sich lässt sich dann ganz anders tätowieren. Ich möchte eine lebensecht anmutende Tätowierung machen, die wirklich so aussieht, als wäre sie eine echte Brustwarze. Dafür habe ich eine spezielle Technik und Farbtöne entwickelt, natürlich konform der Richtlinien für Tätowiermittel (REACH-Verordnung). Auch spezielle Maschinen haben wir entwickelt, mit denen man mehr Möglichkeiten hat, verhärtete und vernarbte Haut zu tätowieren. Beispielsweise haben die Nadelspitzen eine spezielle Struktur, damit sie die Farbe in das schwierige Gewebe einbringen. In jeder Kundenakte ist genau vermerkt, welche Farben verwendet wurden, wie die Farben angemischt sind, welche Nadeln zum Einsatz kamen. So kann ich alles nachvollziehen und wiederum daraus lernen, was bei welcher Frau funktioniert hat.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen bei der 3D-Brustwarzenrekonstruktion?
Engel: Die größte Herausforderung bei einer dreidimensionalen Brustwarzenrekonstruktion ist es, ständig mit unterschiedlichen Hautarealen zu tun zu haben. Es ist immer individuell, wie die Haut transplantiert wurde oder wie gut die Narben die Pigmente aufnehmen. Erschwerend kommt dazu, dass bestrahlte Haut viel schneller rötet als normale Haut. Es ist herausfordernd, die unterschiedlichen Farbtöne zu erkennen, wenn die Haut innerhalb von fünf Minuten richtig rot wird. Das heißt, man muss genau wissen, was man tut, damit man eben nicht die Hautstellen überarbeitet und es im Nachgang zu dunkel oder zu kräftig wird. Erfahrung ist hier elementar. Ohne ausreichende Erfahrung sollte keine Brustwarzentätowierung stattfinden!
Wie gut sind Patientinnen heutzutage über die Möglichkeit einer solchen rekonstruktiven Tätowierung nach einer Brust-OP informiert?
Engel: Ich halte seit 17 Jahren Vorträge in Krankenhäusern und Kliniken, auf Ärztetagungen und auf Patiententagen, um zu informieren und aufzuklären. Wir erreichen die Frauen leider immer noch nicht flächendeckend. Zielsetzung ist es, die Ärzte und Kliniken, das gesamte Fachpersonal, die Krebsorganisationen, die Rehakliniken darüber aufzuklären, wie man den Frauen helfen kann, ohne eine weitere Therapie oder Operation riskieren zu müssen. Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit der Initiative #wiederganzich von Bepanthen daran, die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und machen hier aktiv Aufklärungsarbeit.
Seit 2020 ermöglicht die Kampagne #wiederganzich jährlich drei Frauen eine kostenlose Brustwarzenrekonstruktion. Was bedeutet es Ihnen persönlich, durch Ihre Arbeit auf diese Weise helfen zu können?
Engel: Die Kampagne liegt mir sehr am Herzen, weil wir dadurch die Möglichkeit haben, Frauen zu helfen, denen die Behandlung von der Krankenkasse nicht bezahlt wird. Ohne die Kampagne wäre es mir nicht möglich, diesen Frauen zu helfen. Mir bedeutet es wahnsinnig viel, den Frauen zu helfen, weil ich weiß, dass es sehr wichtig ist, sich wieder wohlzufühlen, wenn man in den Spiegel blickt und nicht länger automatisch an die Krankheit erinnert wird. Viele Frauen sagen, dass sie vorher den Krebs "noch sehen würden". Die fehlende Brustwarze und die Narben erinnern sie ständig an ihre Erfahrungen. Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst schon gesehen hat, wie wichtig die Brustwarzen für eine Frau sind.
Ab wann nach einer Operation ist ein Brustwarzen-Tattoo überhaupt möglich - und welche medizinischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Engel: Ab sechs Monaten nach der letzten Behandlung ist es möglich, die Haut zu tätowieren, wenn die Narben gut ausgeheilt sind. Sie dürfen nicht mehr rot oder extrem geschwollen sein. Die Wundheilung muss gut abgeschlossen sein, damit das Tätowieren überhaupt gelingen kann.
Wie reagieren Ihre Kundinnen nach der Behandlung? Gibt es Rückmeldungen, die Sie besonders berührt oder beeindruckt haben?
Engel: In aller erster Linie sind die Kundinnen erstmal extrem überrascht, wie echt die Brustwarze aussieht. Die Reaktionen reichen dann von Umarmungen bis zu Freudentränen, die fließen. Es ist großartig, Teil dieser Veränderung sein zu dürfen. Man hat das Gefühl, die Frauen sind nach all ihren schlimmen Erfahrungen endlich wieder frei(er). Es wird oft als sichtbares Zeichen erlebt, den Krebs hinter sich gebracht zu haben. Es gibt auch immer wieder im Nachgang viele E-Mails von den Kundinnen, wie gut es ihnen getan hat und wie gut es ihnen bei uns gefallen hat. Von der ersten Begrüßung und dem Vorgespräch mit meiner lieben Mitarbeiterin Simone, welche ihnen die Angst genommen hat, das Tattoo machen zu lassen, bis hin zur eigentlichen Behandlung. Und es ist einfach großartig zu sehen, wie man den Menschen helfen konnte, wenn sie strahlend zum Kontrolltermin kommen.
Wie hoch sind die Kosten für ein Brustwarzen-Tattoo - und in welchen Fällen übernimmt die Krankenkasse die Behandlung?
Engel: Die Kosten für eine Brustwarzentätowierung belaufen sich auf einmalig 1.960 Euro. Darunter fällt nicht nur die Rekonstruktion der Brustwarze, sondern auch das Retuschieren jeglicher Narben, die auf der Brust zu finden sind. Werden nur die Narben oder die Form korrigiert, sind es einmalig 1.400 Euro brutto. Wir behandeln die Kundinnen so lange kostenlos weiter, bis jede glücklich das Studio verlässt. In welchen Fällen die Krankenkasse die Kosten übernimmt, ist immer eine Einzelfallentscheidung. Aber wir können nach 17 Jahren sagen, dass mittlerweile 60 bis 70 Prozent der Krankenkassen den vollen Betrag übernehmen. Andere übernehmen diesen anteilig, manche lehnen eine Anfrage komplett ab.
Neben Brustwarzenrekonstruktionen bieten Sie auch Narbenkorrekturen an. Welche Arten von Narben eignen sich grundsätzlich für eine solche Behandlung per Tattoo?
Engel: Generell lassen sich alle Narben tätowieren, sofern sie weiß geworden sind. Solange die Narben noch rot oder bräunlich sind, kann man sie nicht tätowieren, da man mit einer Tätowierung nur nachdunkeln und nicht aufhellen kann. Mit heller Farbe dunkle Narben zu tätowieren, hält meist nicht mehr als ein paar Wochen. Wir bieten Kundinnen ein medizinisches Micro-needling kostenlos an. Hierbei wird steriles Wasser mit einer Nadel in die Haut gestochen. Dies hat den Effekt, dass die Narbe heller, weicher und flacher wird. Diesen Prozess kann man zwei- bis dreimal wiederholen. Grundsätzlich gilt, dass man die meisten Narben behandeln kann. Alle hellen, flachen Narben kann man dem umliegenden Gewebe angleichen. Ich habe eine spezielle Farbe und Technik entwickelt, um genau das möglich zu machen.
Sie gelten weltweit als einer der führenden Tattoo-Künstler im Bereich der medizinischen Rekonstruktion. Wie lange müssen Patientinnen aktuell auf einen Termin bei Ihnen warten?
Engel: Diese Frauen müssen bei uns nicht länger als zwei bis drei Monate auf einen Termin warten, weil sie bei mir bevorzugt behandelt werden. Ich habe spezielle Tage, an denen ich ausschließlich die medizinischen Tätowierungen durchführe. An den anderen Tagen kommen meine normalen Tattookunden. Das funktioniert hervorragend. Aktuell läuft die Ausschreibung der Kampagne #wiederganzich, wo sich betroffene Frauen für ein kostenloses Brustwarzentattoo bewerben können. Ein Expertengremium wählt dann die drei Frauen aus, die bei mir tätowiert werden. Die Tage für die Tätowierungen sind bereits geblockt - Anfang September ist es so weit. Bewerben kann man sich unter www.bepanthen-bwk.de noch bis Ende Juni.