Tradition in Osttirol: Die Zukunft ist nicht genug
Es war eine glückliche Fügung, dass ein Dorf in Osttirol zum Drehort für den neuen Bond-Streifen "Spectre" wurde. Das brachte der Region jene Aufmerksamkeit, die sie längst verdiente.
Wer zum ersten Mal in Osttirol ist, fragt sich, warum er noch nie dort war. Die Gegend um den Großglockner besticht durch eine faszinierende Landschaft und liebenswerte Gastgeber.
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"Moneypenny, ist James schon zurück?" "Nein, er hat, ääh, Skiurlaub". "Skiiuurlaub? Immer dieses Osttirol." Bevor Freunde des Geheimagenten im Auftrag Ihrer Majestät nun befürchten, etwas versäumt zu haben: Dieser Dialog stand in keinem Drehbuch. Er entsprang der Fantasie kreativer Texter für den Radiospot einer Urlaubsregion, die zunehmend auf sich aufmerksam macht. Auch ohne den Liebhaber des geschüttelten Martini. Aber weil 007 ein paar Drehtage lang für den aktuellen "Spectre" in der Gegend war, bot sich die wohl einmalige Gelegenheit, ihn nach erfolgreicher Erfüllung seiner Mission zur Erholung dorthin zu schicken. Bestimmt wäre er nicht nur gerührt, sondern fasziniert.
Den 1. April 2014 wird Hansjörg Schneider sein Leben lang nicht vergessen. "Ich hab' gedacht, da legt mich einer," erinnert sich der Leiter des Tourismusbüros von Obertilliach, nachdem ihn ein Fremder vertraulich-verschwörerisch darüber informiert hatte, dass in der 700-Seelen-Gemeinde im Osttirol.r Lesachtal Szenen eines "sehr großen Filmprojekts" gedreht werden sollten. Es war kein Aprilscherz. Die Sequenz in "Spectre", wo Bruchpilot Bond erst durch eine Waldschneise und dann durch eine Scheune fliegt, entstand in und um Obertilliach. Ein paar Leinwand-Minuten waren Segen für ganz Osttirol. Um die vier Millionen Euro Einnahmen brachte der Dreh, dazu einen enormen Image-Gewinn. Heute erinnert nichts mehr an die turbulenten Tage, an denen Hubschrauber am Himmel knatterten, Explosionen die denkmalgeschützten Häuser erschütterten und Paparazzi das Filmset belagerten. Auch die eigens aufgebaute Scheune ist weg. Und Obertilliach ist wieder, was es immer wahr: verträumt, beschaulich, unaufgeregt. "Die James-Bond-Scheune hätten wir gerne behalten," bedauert Hansjörg Schneider.
Im exakt 38,5 Kilometer entfernten Grand Hotel Lienz hätten sie es gerne gesehen, wenn Bond-Darsteller Daniel Craig dort länger als zwei Nächte gewohnt hätte. Gesichtet hat ihn außer dem Roomservice und einer millionenfach beneideten Masseurin, die für eine Anwendung Hand anlegen durfte, niemand. Zurück vom Dreh nahm er den Lift in der Tiefgarage und zog sich direkt in seine Royal Suite 218 zurück. Das Abendessen ließ er sich bringen - am ersten Abend einen Caesar Salad mit ausdrücklich einem gegrillten Scampi (weil im Martini auch nur eine Olive schwimmt?), am zweiten orderte Mr. Craig ein saftiges Steak ("Medium rare, please!").
"Ein unauffälliger Gast," lächelt Hoteldirektor Johannes Westreicher. "Von den Schauspielern ließ sich nur Dave Bautista im Restaurant blicken". Vermutlich wollte sich Bond von Profikiller Mr. Hinx nicht auch noch das Abendessen verderben lassen. Okay, hier mischen sich Fiction und Realität. Aber warum nicht? Das Fünf-Sterne-Haus Grand Hotel bietet mittlerweile ein Arrangement "Auf den Spuren von 007" an. Royal Suite, Bond-Menü und "Spectre"-Massage inklusive. Und wer sich aus Bond nichts macht oder eine andere Herberge bevorzugt, für den haben sich 16 weitere Hotels der Fünf-, Vier- und Drei-Sterne-Kategorie zur Vereinigung der "Spitzcialhotels" zusammengeschlossen. Klingt zungenbrecherisch, beinhaltet aber ein Qualitätsversprechen, dem sich die beteiligten Häuser verpflichtet haben.
266 Dreitausender und jede Menge Tradtion
Und nun ist auch gut mit 007, schließlich ist Osttirol keine 08/15-Destination. Ganz im Gegenteil. Die Lienzer Dolomiten, Defereggental, Hochpustertal und der Nationalpark Hohe Tauern bergen Naturschätze, die von Urlaubern gefunden werden wollen. 266 Dreitausender rund um den Großglockner, mit seinen 3.798 Metern der höchste Berg Österreichs, gibt es dort. Und 1.500 Quadratkilometer unberührter Natur mit zauberhaften Wäldern und traumhaften Almen, die sich in die Landschaft schmiegen. Noch weitläufiger ist der Nationalpark Hohe Tauern, mit 1.856 Quadratkilometern der größte seiner Art in Mitteleuropa. Von solch beeindruckenden Zahlen gibt es mehr, und verblüfft fragt man sich, warum einem dieses Juwel nicht genauso geläufig ist wie das angrenzende Südtirol. Der Versuch einer Erklärung ist die Bescheidenheit der Menschen, die dort leben, nicht einmal 50.000 sind es. Was sie auszeichnet, ist die Verbundenheit zu ihrer Heimat, die ihnen gehört. Sie mit Besuchern zu teilen, tun sie mit großer Herzlichkeit. Vermutlich haben sie nur versäumt, ihre Vorzüge in die Welt zu tragen. Aber das ist kein Nachteil, die Bewahrung alter Werte und ihrer Tradition liegt im Trend. Und der verspricht dieser Urlaubsregion eine verheißungsvolle Zukunft.
Winter in Osttirol. Das sind 150 Kilometer Skipisten an Hochstein und Zettersfeld, dem Großglockner Resort um Kals und Matrei sowie das Defereggental mit Sankt Jakob. Die Loipen der Langläufer, gut 400 Kilometer insgesamt, führen auch ins Villgratental, dem ursprünglichsten aller Täler in Osttirol. Bergbahnen und Lifte sucht man dort vergebens, das Tal hat sich solcher Technik schlicht verweigert, um seine Vergangenheit zu bewahren. Und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Vielfalt der Möglichkeiten, die schönsten Tage des Jahres in Osttirol zu genießen. Dem Fortschritt verschließen sich die Talbewohner dennoch nicht, wie das Beispiel von Josef Schett zeigt. Der bekennende Bergbauer und gelernte Bankkaufmann, der mit seiner Familie und 80 Schafen auf einem Bauernhof lebt, macht seit 1989 in großem Stil auf Wolle. In seinem Geschäft in Innervillgraten, gleichzeitig Produktionsstätte, gibt es alles, was Schafe hergeben: Dämmstoff für den Hausbau, Füllungen für Matratzen und Kissen, Kleidung, Pantoffeln, Seifen... Die Wolle von 25.000 Schafen wird bei "Villgrater Natur" von einem Dutzend Mitarbeiter jährlich verarbeitet, und außer in den USA werden die Erfolgsprodukte weltweit vertrieben. In der "Wollhütte" vor dem Shop demonstriert Ehefrau Bernadette oder eine ihrer fünf Töchter, wie die Wolle auf überlieferte Art und Weise gewickelt und gesponnen wird, und wenn zweimal im Jahr auf der Oberstaller Alm die Schafscherung zelebriert wird, sind das Festtage für die Schetts, zünftig begleitet von einer Trachtenkapelle. "Wir haben immer aus wenig viel gemacht," sagt Bernadette Schett. Eine höchst bescheidende Erklärung für eine Erfolgsstory im Villgratental.
Der etwas andere Wert-Stoff-Hof
Eine andere ist die des 600 Jahre alten Wurzerhofs in Ausservillgraten. Hoferbe Josef Leiter, den natürlich alle Sepp nennen, war Anfang der 80er-Jahre vor dem herrischen und sich jeglichem Fortschritt verweigernden Vater geflüchtet und wurde für 17 lange Jahre ein begeisterter Fernfahrer in Kufstein. Von Gläubigern und Banken alarmiert, kehrte er 1998 zurück. "Der Hof war völlig heruntergekommen," erinnert er sich. "Ich hätte am liebsten alles verkauft und wäre davongelaufen". Alles, das sind 275 Hektar Land bis auf 2.500 Meter hinauf, 17 (!) Gebäude, zwei Almhütten, ein Jagdrevier nebst einigen anderen Kleinigkeiten, aber dazu gleich mehr. Ein Tiroler Gesetz, das unabhängig vom Gebot immer die Einheimischen bevorzugt, machte einen Verkauf völlig unattraktiv. Und so kam dem Sepp in der Not eine grandiose Idee: Aus dem Wurzerhof wurde ein "Wert-Stoff-Hof". Gemacht aus dem Stoff, aus dem die Sehnsucht nach alten Werten sind.
Das Haupthaus, wo früher die Bauersfamilie gemeinsam mit 20,30 Knechten und Mägden unter einem Dach wohnte, ist jetzt mit Gruppen von Urlaubern belegt, die sich nach dem einfachen Leben sehnen. Von Managern, die Luxushotels satt haben, auch von Firmen, die ihren Mitarbeitern Teambuilding verordnen. Und bis vor einigen Jahren gab es noch Gäste, überwiegend aus Italien, die sich der erwähnten Kleinigkeiten wegen einnisteten: Die Wälder um den Wurzerhof sind ein Pilzparadies, und während die italienischen Männer die begehrten Delikatessen eimerweise anschleppten, standen die Mamas in der Küche, um sie für den Transport zu kochen oder einzufrieren. Weil der Wurzerhof nur als Selbstversorgerhof zu mieten ist, konnten die italienischen Pilzfreunde ungestört ihrem lukrativen Job nachgehen. Dass sie inzwischen ungebetene Gäste sind, kümmert sie wenig. Jetzt sind sie eben als Pilzwilderer unterwegs, woran auch die Warnschilder nichts ändern, die Josef Leiter aufgestellt hat: "Attentione! Funghi di Tschernobyl. Morte subito!"
Goldgrube Wurzerhof. Jedes Jahr kommen rund 2.500 Menschen, um sich bei Führungen das entbehrungsreiche Leben vor hundert Jahren und mehr zeigen zu lassen: Getreide mahlen mit Mühlsteinen in der Mühle, Brot backen im Holzofen, Holzbearbeitung im alten Sägewerk. Die Almhütten sind dauervermietet (Ex-Bundespräsident Köhler war auch schon da), die Jagd ist verpachtet. In der Hofkapelle wird geheiratet, Mädchen lieben die beiden Haflinger, außerdem trägt der Wurzerhof längst das Siegel eines Demeter-Hofes. Zuletzt: Schottische Hochlandrinder, Mangalitza Wollschweine oder Huzulenpferde machen den Hof zum geförderten Zuchtbetrieb für aussterbende Tierarten. Ex-Trucker Sepp und seine Frau Vroni haben alles richtig gemacht.
Heilwasser, Schnaps und ein Olympiasieger
Ortswechsel. Das Defereggental ist das bekannteste Urlaubsgebiet in Osttirol. Und jetzt um eine Attraktion reicher, von dem sich die ganze Region ganz viel verspricht. Kurz vor Sankt Jakob sprudelt eine Quelle aus 1.900 Meter Tiefe, Millionen von Jahren alt und mit dem Prädikat Heilwasser versehen. Ärztlich nachgewiesen ist bereits, dass u.a. Wunden schneller heilen und Neurodermitis erfolgreich behandelt werden kann. Durch Aufsprühen, oder durch das Auftragen einer Salbe. Gleichgültig in welcher Form - das "Deferegger Heilwasser" soll die Welt erobern. Langsam, aber sicher, wie es die Osttirol.r am liebsten haben. Dafür haben sie eigens die "Sironahöhle" gebaut, einen kleinen, feinen Showroom, in dem die Förderung des Wunderwassers in faszinierenden Bildern und Grafiken dargestellt wird. Erst im letzten August eröffnet, hat Geschäftsführer Egon Kleinlercher gemeinsam mit einem Mitarbeiter schon über 800 Führungen hinter sich. Er sagt: "Wir wissen, dass dieses Wasser auf der Welt einzigartig ist".
Soviel gesammeltes Wissen über Osttirol macht hungrig. Der empfohlene "Tirolerhof" in Dölsach, wo Hans-Peter Sander ein Gourmetmenü auf den Tisch zaubert, ist ein grandioser Tipp. Zufällig machen wir die Bekanntschaft mit Fritz Strobl, dem legendären Abfahrtsläufer, Olympiasieger von Salt Lake City 1982 und zweimaligem Kitzbühel-Gewinner. Beim gemeinsamen Wildholunder-Schnaps legt Fritz großen Wert darauf, dass er in Lienz geboren wurde, während Wirtsgattin Waltraud darauf besteht, dass wir den Brenner des bemerkenswerten Destillats unbedingt kennenlernen müssen. Und so landen wir am Ende unserer Reise bei Siegfried und Silvana Steidl - er Gemeindeangestellter in Döslach, sie Hausfrau -, und beide zusammen leidenschaftliche Kleinstproduzenten von 50 verschiedenen Schnäpsen und Likören.
Aber das ist wieder eine neue von vielen Geschichten, die es in Osttirol zu erleben gibt. Sie handeln von Begegnungen mit liebenswerten Menschen, die gemeinsam mit der Natur großartige Gastgeber sind. Vergleichbar mit der "Lienz Rose", dem Wappensymbol der Stadt. Sie ist eine Bodendeckerrose und damit in ihrem Wuchs dem Charakter der Osttirol.r nicht unähnlich, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Weitere Informationen: www.osttirol.com