McLarens Trumpf war Ausgeglichenheit

In seinem letzten Jahr bei McLaren ließ sich Sainz nicht hängen. 105 WM-Punkte reichten zu Platz 6 in der Fahrerwertung. Das Teamduell gegen Lando Norris gewann er knapp.
Das wahre Rennen in der Formel 1 fand ab Platz drei statt: Racing Point, McLaren, Renault, Ferrari und Alpha Tauri kämpften um die Bronzemedaille bei den Konstrukteuren und lieferten die Show, die man sich an der Spitze wünscht. Was waren die Stärken und Schwächen der fünf Kandidaten?
Das war keine Saison für Zocker. In acht von 17 Grands Prix standen die gleichen drei Herren auf dem Podium: Lewis Hamilton, Valtteri Bottas und Max Verstappen. Für diese Wette gab es nur bescheidene Quoten. Zum Ausgleich für so viel Berechenbarkeit bekamen wir in Monza und Sakhir zwei Siegertrios, die keiner auf der Rechnung hatte.
Doch der Formel 1-Alltag sah zumeist anders aus. Zwei schwarze Mercedes vor einem Red Bull, und dann erst mal lange nichts. Was danach kam, war allerdings sein Geld wert. Fünf Teams kämpften in ständig wechselnder Reihenfolge um die Plätze hinter Mercedes und Red Bull. Racing Point, McLaren, Renault, Ferrari und Alpha Tauri waren in der Gesamtwertung teilweise nur durch 45 Punkte getrennt. Und in der Startaufstellung manchmal nur durch 0,559 Sekunden wie zum Beispiel in Imola. Der Abstand zur Spitze war in der Regel größer. Racing-Point-Technikchef Andy Green schwärmte: "So muss Rennsport sein. Der kleinste Fehler, und du bist raus."
Der Abstand auf der Uhr blieb das ganze Jahr über konstant. Nur die Punktabstände wuchsen im Finale der Saison an. McLaren hatte mit 68 Punkten aus den letzten vier Rennen den besten Schlussspurt, gefolgt von Racing Point (61), Renault (46), Ferrari (28) und Alpha Tauri (18). Und genau so war auch der Zieleinlauf.
McLaren räumt meiste Geld ab
Der Dritte McLaren hatte am Ende mit 202 Punkten fast doppelt so viel auf dem Konto wie Alpha Tauri, die es auf 107 Zähler brachten. Das entsprach nicht dem Kräfteverhältnis auf der Strecke. Die fünf Teams lieferten eine Show, die man sich für das ganze Feld wünscht. Es gab keinen eindeutigen Favoriten. Mal hatte der eine das beste Paket, mal der andere. McLaren in Spielberg und Bahrain, Racing Point in Budapest, Barcelona und Sakhir, Renault in Spa und am Nürburgring, Ferrari in der Türkei und Alpha Tauri in Imola.
Es ging bei der Schlacht um die Bronzemedaille in der Konstrukteurs-WM nicht nur um die Ehre. Für den dritten Platz gibt es nach dem neuen Auszahlungsmodus von Liberty ein Preisgeld von 108 Millionen Dollar. Der siebte Rang zahlt 77 Millionen, immer vorausgesetzt, der Sport kehrt in eine normale Welt ohne Corona zurück. 31 Millionen Dollar haben oder nicht haben zählt in dieser Liga noch etwas.
McLaren hat dieses Rennen im Rennen gewonnen, weil man in allen Disziplinen gut aufgestellt war und keine richtigen Schwächen hatte. Alpha Tauri war zwar auch relativ ausgeglichen, aber insgesamt auf niedrigerem Niveau. Racing Point, Renault und Ferrari scheiterten an ihren starken Schwankungen. Wir haben das Mittelfeld in fünf Disziplinen analysiert, die das Endergebnis ganz gut erklären.
Das Auto
Der Racing Point RP20 war im Schnitt das schnellste Auto. Das zeigt sich am durchschnittlichen Rückstand auf die Pole Position. Der beträgt bei Racing Point 0,999 Sekunden, bei Renault 1,129 Sekunden, bei Ferrari 1,141 Sekunden, bei McLaren 1,220 Sekunden und bei Alpha Tauri 1,351 Sekunden. Trotzdem wurde Racing Point nicht Dritter. Team und Fahrer haben zu wenig aus ihrer Mercedes-Kopie gemacht. Auf eine Runde am Samstag, und über die Distanz am Sonntag. In beiden Disziplinen hatte McLaren die Nase vorn. Die Summe aller Startplätze beträgt 281, die aller Rennergebnisse 308. Im Vergleich dazu Racing Point: 300 in der Qualifikation, 317 im Rennen.
Renault hatte das zweitschnellste Auto, ein gleich gutes Qualifying-Ergebnis wie Racing Point (Startplatzsumme 300) und minimal besseres Rennergebnisse (316), dafür aber weniger Nuller in der Punktetabelle. Ferrari und Alpha Tauri fallen in beiden Disziplinen deutlich ab. Charles Leclercs Chaosrunden haben Ferrari im durchschnittlichen Rückstand auf die Quali-Bestzeit geschmeichelt. Da ist die Summe der Startplätze von 329 aussagekräftiger. Alpha Tauri kommt in der Wertung nur auf 380. Das gleiche Bild bei den Rennergebnissen. Alle Platzierungen addiert sind es bei Ferrari 368 und bei Alpha Tauri 374.
Die Fahrer
Ferrari hatte mit Charles Leclerc den schnellsten Fahrer, Renault mit Daniel Ricciardo den komplettesten und Racing Point mit Sergio Perez den zuverlässigsten. Und doch stach die Trumpfkarte der Ausgeglichenheit. McLaren verfügte über die gleichwertigste Fahrerpaarung. Carlos Sainz und Lando Norris qualifizierten sich 27 Mal für das Q3. Sergio Perez, Lance Stroll und Nico Hülkenberg schafften das 25, Daniel Ricciardo und Esteban Ocon 23, Pierre Gasly und Daniil Kvyat 16 und Charles Leclerc und Sebastian Vettel nur 13 Mal.
Gleiches Bild bei den WM-Punkten. Sainz kam auf 105, Norris auf 97. Also fast Gleichstand. Bei Perez (125) und Stroll (75) geht die Schere schon weiter auf. Ricciardo (119) und Ocon (62) trennen 57 Zähler, bei Gasly (75) und Kvyat (32) sind es 43 und bei Leclerc (98) und Vettel (33) immerhin 65. Ferrari bezahlte dafür, dass nur einer der beiden Fahrer Vertrauen in das Auto fand.
Die Zuverlässigkeit
Auch hier punktet McLaren. Zwei Defekte, zwei Unfälle. Nur Alpha Tauri kann mit der gleichen Bilanz mithalten. Ferrari blieb zwei Mal aus technischen Gründen stehen, drei Mal wegen Unfällen. Racing Point versemmelte den dritten Platz in den letzten drei Rennen mit zwei Schäden an der Antriebseinheit von Sergio Perez. In Bahrain ging die MGU-K in Flammen auf, in Abu Dhabi brach der Stirnradsatz. Also ein klassischer Motorschaden.
Mit vier Defekten und vier Unfällen schrieb Racing Point gleich acht Nuller. Die Renault-Piloten zeigten die größte Disziplin. Ricciardo und Ocon hielten ihre Autos bei allen 17 Rennen auf der Strecke. Aber sie blieben auch fünf Mal mit technischen Schwierigkeiten stehen. Öfter als jedes andere Team. Die hohe Anfälligkeit kostete der Sprung aufs Treppchen. "Wenn du dein Auto schneller machst, gehst du in allen Bereichen mehr ans Limit", entschuldigte Technikchef Marcin Budkowski die Schwachstelle des R.S.20.
Strategie und Boxenstopps
In der Boxengasse war das Mittelfeld schlechter als auf der Rennstrecke. Renault, Alpha Tauri, McLaren, Ferrari und Racing Point belegten in der DHL-Wertung nur die Plätze fünf bis neun. Ferrari und McLaren verdarben einige Pannen beim Reifenwechsel die Bilanz. Sie schafften auch nur 12 respektive 11 Top Ten-Platzierungen.
Strategisch machte McLaren die wenigsten und Racing Point die meisten Fehler. Perez verlor zwei Mal ein sicheres Podium. In Spielberg, weil er ein Mal zu wenig Reifen wechselte, in Imola ein Mal zu oft. Ferrari hatte Höhen und Tiefen am Kommandostand. Es war nicht besonders schlau, Vettel in Imola in der Safety Car-Phase ein weiteres Mal stoppen zu lassen, Leclerc dafür im Finale in Abu Dhabi trotz der Safety Car-Phase auf der Strecke zu lassen. Bei Alpha Tauri mussten die zwei Reifenwechsel im zweiten Bahrain-Rennen hinterfragt werden. Renault machte es besser, splittete die Taktik und räumte 28 Punkte ab.
Die Weiterentwicklung
McLaren fuhr das aggressivste Entwicklungsprogramm. Die Truppe von James Key brachte regelmäßig und bis fast zum Schluss Upgrades ans Auto. Vergleichbar mit Red Bull. Es zahlte sich für beide aus. In den letzten vier Rennen machte McLaren die entscheidenden Punkte gut. Racing Point war das Gegenteil. Ein großes Aero-Upgrade in Mugello, das in Sotschi mit einer neuen Hinterradaufhängung komplettiert wurde. Das reichte, um ein gutes Fundament bis zum Saisonende konkurrenzfähig zu halten.
Renault begann schwach, geigte im Mittelteil der Saison groß auf und verlor am Ende ein bisschen den Faden. Das Auto war ab Spa auf jeder Rennstrecke bei der Musik, doch im Finale fehlten die Ausschläge nach oben. Dabei brachten die Franzosen drei Mal größere Ausbaustufen: In Spielberg, Silverstone und Sotschi.
Ferrari wusste schon nach dem ersten Rennen, dass man vor einem nahezu unlösbaren Problem stand. Dem Motor fehlte Leistung. Das war auf Grund des Entwicklungsstopps nicht zu beheben. Der SF1000 produzierte zu viel Luftwiderstand und instabilen Abtrieb. Während das erste Upgrade beim zweiten Rennen wirkungslos verpuffte, stabilisierte das zweite, das ab Sotschi in drei Stufen kam, den Anpressdruck. Es machte aus dem Ferrari trotzdem kein Auto, mit dem man konstant um den dritten Platz im Feld fahren konnte.
Alpha Tauri profitierte in diesem Jahr deutlich mehr vom Red Bull.Knowhow. Das Schwesterteam von Red Bull stieg mit drei Zehnteln Rückstand auf seine Mitbewerber ein und hatte die Lücke bis zum siebten Rennen im Jahr geschlossen. Drei sichtbare Upgrades machten dem AT01 Beine. Auf manchen Strecken wie Imola, Bahrain oder Abu Dhabi reichte es für beide Autos in die Top Ten der Startaufstellung.
Protest entscheidet Mittelfeld-Rennen
McLaren hat sich für die beste Gesamtleistung belohnt. Die Leistungskurve des zweitältesten Rennstalls in der Formel 1 stimmt, wie folgende Zahlenspiele beweisen: 2017 Neunter, 2018 Sechster, 2019 Vierter und 2020 Dritter. Auch der Punktestand spricht für diesen Trend: 30, 62, 145, 202.
Es muss aber auch gesagt werden, dass bei einer normalen Saison Racing Point auf dem dritten Platz gelandet wäre. Trotz aller Schwächen. In der Endabrechnung brach der Abzug von 15 Punkten dem Team aus Silverstone das Genick. Es war das Ergebnis eines Protestes von Renault gegen Gleichteile zwischen dem Racing Point RP20 und dem Mercedes W10 von 2019.
Nutznießer der Aktion war aber nicht Renault, sondern McLaren. Andy Green behielt mit seiner Prophezeiung vor dem letzten Saisonviertel Recht: "Am Ende der Saison werden vier Teams zurückblicken und sich ärgern, dass sie den dritten Platz mit einem blöden Fehler weggeworfen haben. Hätten alle immer das Maximum aus ihrem Paket rausgeholt, dann wären wir locker Dritter geworden."