Der Rosberg-Rücktritt

Das hat es in der Formel 1 erst drei Mal gegeben. Der Weltmeister tritt zurück. Aber noch nie hat es einer mit dieser Konsequenz gemacht wie Nico Rosberg. Sein mutiger Schritt erntet Lob und Kritik.
Zugegeben, wir mussten uns erst ein paar Tage sammeln. Nico Rosberg tritt zurück. Als frisch gebackener Weltmeister. Das saß. Wer sagt, er hätte es so erwartet, lügt sich selbst in die Tasche. Obwohl Psycho-Analytiker vielleicht schon am Sonntag nach dem Rennen die ersten Indizien entdecken hätten können. Erst war Rosberg am Boden zerstört, weil ihn der mentale Stress des letzten Rennens und die Sorge, am Ende alles doch noch zu verlieren, mental ausgelaugt hatten. Dann hat er so ausgelassen gefeiert wie schon lange kein Weltmeister mehr.
Ausgerechnet Rosberg, der sich sonst immer so gut unter Kontrolle hat. Hätten wir uns da nicht schon alle Gedanken machen sollen? Vielleicht. Zwischen Erschöpfung und Feiern sprach er davon, dass er sein großes Ziel erreicht hat, dass es ihn aber auch unendlich viel Arbeit und Opfer gekostet hat. Wieder so ein Anzeichen. Doch an diesem Abend haben wir alle weggehört. Er hat ja auch erzählt, dass er noch nicht wisse, ob er 2017 mit der Startnummer 1 oder 6 antrete. Als er fünf Tage später seinen Rücktritt verkündet hat, waren wir alle platt.
Rosberg wie Hawthorn
Die Reaktionen schwanken zwischen Bewunderung und Kritik. Bewunderung für so viel Konsequenz. Immerhin schießt Rosberg rund 50 Millionen Euro für zwei weitere Jahre bei Mercedes in den Wind. Da muss man schon wirklich vom Rücktritt überzeugt sein. Nur ganz wenige schaffen es, am Höhepunkt loszulassen. Weil ja nach dem erreichten Ziel alles leichter wird. Man ist schon Weltmeister. Man hat das Etikett, das einen von normalen Rennfahrern abhebt. Man wird nicht mehr hinterfragt und muss nichts mehr beweisen. Man läuft durchs Fahrerlager, und die Leute sagen „Champion“ zu dir.
Jackie Stewart und Alain Prost sind auch als Weltmeister zurückgetreten. Aber der eine war es drei, der andere vier Mal. Stewart hatte 1.000 gute Gründe seinen Helm an den Nagel zu hängen. Zu seiner Zeit war Motorsport noch Russisch Roulette. Alain Prost ist von Anfang an nur für das eine Jahr mit Williams zurückgekommen. Weil er darin die goldene Chance sah, mit einem haushoch überlegenen Auto den Erzfeind Ayrton Senna noch einmal zu schlagen. Eine weitere Konfrontation im gleichen Team wollte sich der Franzose nicht noch einmal antun.
So ist Rosbergs Rücktritt am ehesten mit dem von Mike Hawthorn 1958 zu vergleichen. Der Engländer verabschiedete sich mit den Worten: „Es war mein Ziel, erster englischer Weltmeister der Formel 1 zu werden. Das habe ich erreicht. Es gibt nichts mehr zu tun.“ Hört sich das nicht ein bisschen wie Rosberg an? Nicht ganz. Hawthorn fuhr in einer gefährlichen Zeit. Innerhalb von eineinhalb Jahren waren mit Eugenio Castellotti, Luigi Musso, Peter Collins und Stuart Lewis-Evens vier Kollegen und Freunde gestorben. Und seine eigene Lebenszeit war wegen eines schweren Nierenleidens begrenzt.
Das Diplom ist geschafft. Wozu ein zweites?
Immerhin, Hawthorn wusste schon, was er tun würde, wenn er nicht mehr Rennen fährt. Er sollte die Autogarage seines Vaters übernehmen. Es kam nicht mehr dazu. Drei Monate nach seinem Titelgewinn kam Hawthorn bei einem Straßenunfall ums Leben.
Rosberg lässt sich die Zukunft noch offen. Kann er auch. Er hat genug verdient. Doch so ganz im Nichtstun kann man sich den Champion auch nicht vorstellen. Ich glaube allerdings nicht, dass er in einer anderen Funktion in den Motorsport zurückkehrt. Als Fahrer schon gar nicht. Dafür fehlt ihm der Stallgeruch und die absolute Leidenschaft für diesen Sport. Hätte er sie, hätte er weitergemacht. Nico Rosberg wirkte im Gegensatz zu seinem Vater nie wie ein Racer. Bei ihm war Berechnung Trumpf, nicht das Herz. Nicht falsch verstehen: Rosberg fuhr gerne schnell Auto. Aber irgendwie war es Mittel zum Zweck.
So muss man auch seinen Rücktritt verstehen. Er hat alles gegeben, alles geopfert, auf vieles verzichtet, um dieses eine Ziel zu erreichen. So wie ein Student sein Diplom, ein Forscher seinen Doktor-Titel. Jetzt hat er den Titel. Was soll er da noch mit einem zweiten? Rosberg ist schlau genug zu begreifen, dass er einen weiteren Titel wahrscheinlich nicht mehr gewinnt. Weil er noch mehr Opfer, noch mehr Arbeit, noch mehr Verzicht bedeutet hätte. Und das wollte er nach 206 Grand Prix und 11 Jahren in der Formel 1 nicht mehr. An diesem Punkt sind auch andere angekommen. Aber eben erst nach ihrem dritten, vierten oder siebten WM-Titel.
Lewis Hamilton war jetzt vorgewarnt. Er weiß, dass seine natürliche Begabung allein nicht mehr ausreicht, diesen Rosberg zu besiegen. Wäre der Weltmeister geblieben, hätte Hamilton dort weiter gemacht, wo er aufgehört hat. Auf einem Niveau, auf dem er kaum zu schlagen ist. Dazu kommen 2017 vielleicht noch ganz andere Gegner, weil das neue Reglement möglicherweise den Vorsprung der Mercedes eindampft. Rosberg weiß genau, dass Ricciardo, Verstappen, Vettel und Alonso so gut wie Hamilton sein können, wenn sie nur im richtigen Auto sitzen.
Was will man mit einem Weltmeister, der nicht fährt?
Ich nehme Rosberg deshalb nicht ab, dass er weitergemacht hätte, wäre er in Abu Dhabi nicht Weltmeister geworden. Auch wenn er im Sommer seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert hat. Da war der Titelgewinn noch weit weg. Er wurde erst nach dem Sieg in Suzuka wirklich greifbar, als das Schicksal in den eigenen Händen lag.
Für mich hätte sich der 23-fache GP-Sieger von demTiefschlag einer Niederlage nicht mehr erholt. Nicht, nachdem er schon so nah dran war. Rosberg sagte ohne es zu wollen in seiner Rücktrittserklärung auch warum. Weil er nicht noch einmal so viel Aufwand in das Unternehmen Weltmeister.chaft wollte. Er hätte aber bei einer Niederlage seinen Einsatz noch einmal erhöhen müssen, unter der vagen Aussicht, dass so eine Chance wie in Abu Dhabi vielleicht nie wieder kommt. Es war schon bewundernswert wie Rosberg nach der Niederlage 2015 die Wende schaffte. Ein zweites Mal, unter viel schwierigeren Umständen, wäre das kaum möglich gewesen.
Gerhard Berger bewundert den Mut der Entscheidung ( Artikel). Da hat er Recht. Es mag für Rosberg selbst einfach gewesen sein, einen Schlussstrich zu ziehen. Doch der 31-jährige Deutsche wusste auch, welcher Rattenschwanz an so einer Entscheidung hängt. Deshalb war sie kein leichter Schritt. Mercedes und die Sponsoren können ihn jetzt kaum noch vermarkten. Was will man mit einem Weltmeister, der nicht fährt?
Und Mercedes muss ein Cockpit besetzen. Zu einer Zeit, an dem alle Topfahrer bereits gebunden sind. Vor einer Saison, die für Mercedes schwieriger wird als die drei zuvor, weil die Gegner auf der Motorseite ständig aufholen und neue Aerodynamikregeln für alle die Uhr auf Null stellen. 2017 werden sich die Autos während der Saison so stark verändern wie nie zuvor, weil jeder nach den neuen Limits sucht. Da braucht es Fahrer mit Erfahrung. Fahrer wie Rosberg.
Und es braucht einen, der Hamilton antreibt. Der Hamilton der letzten sechs Rennen ist das Produkt des Duells mit Rosberg. Wenn neben dem Engländer einer fährt, der im Schnitt acht Zehntel langsamer ist, schläft er vielleicht wieder ein. Mal abgesehen davon, dass es auch um die Konstrukteurs-WM geht. Und da fährt Mercedes gegen Teams, die exzellent besetzt sind.
In den letzten Tagen hat Mercedes viele gute Ratschläge bekommen. Nehmt doch Vettel, Alonso oder Hülkenberg. Sie sind alle unter Vertrag. Und warum soll ausgerechnet ein Gegner einen Fahrer freiwillig herschenken, wenn er sich dadurch in die gleiche Notlage begibt, in der Mercedes jetzt steckt?
Für Pascal Wehrlein ist es die einmalige Chance. Eine, von der Rennfahrer eigentlich gar nicht träumen dürfen, weil sie zu schön ist, um wahr zu sein. Im zweiten Jahr gleich im Weltmeister.Team. Aber die Aufgabe hat auch einen Haken. Wehrlein wird sich sofort Rosbergs Schuhe anziehen müssen. Und die sind ziemlich groß.